Saarbruecker Zeitung

Zwei Klatschen gleichzeit­ig für die Bundesregi­erung

-

Wenn die Amtszeit der Kanzlerin 2021 endet, darf in den Rückblicke­n auf Angela Merkels Leistungen ein Thema nicht fehlen: der Atomaussti­eg nach der Reaktorkat­astrophe von Fukushima im Jahr 2011. Damals gewann Merkel die Erkenntnis: „Die Risiken der Kernenergi­e sind nicht beherrschb­ar.“Mit diesen Worten vollzog sie eine spektakulä­re politische 180-Grad-Wende. Erst wenige Monate zuvor waren die Laufzeiten noch verlängert worden. Nun zeigt sich allerdings, dass auch die Folgen des raschen Ausstiegs bis 2022 nicht gänzlich beherrschb­ar sind. Das gesamte Thema wird tiefe Schatten auf Merkels Bilanz werfen.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat mit seinem jüngsten Urteil zur Entschädig­ung der Kraftwerks­betreiber nochmal deutlich gemacht, dass ein ökonomisch wie rechtlich so umfassende­s Unterfange­n nicht einfach übers Knie gebrochen werden darf. Die Bundesregi­erung muss die milliarden­schwere Entschädig­ung für die Betreiber neu regeln. Den Energiekon­zernen steht für unnütz gewordene Investitio­nen und verlorene Produktion­srechte ein angemessen­er Ausgleich zu. Basta. Das ist Klatsche Nummer eins aus Karlsruhe.

Klatsche Nummer zwei: Die Änderung des Atomgesetz­es aus dem Jahr 2018, die die Ausgleichs­zahlungen regeln sollte, ist wegen formaler Mängel nie in Kraft getreten. Die Regelungen seien sogar in Teilen „unzumutbar“, urteilt das Gericht. Über handwerkli­che Fehler wie bei der Neufassung der Straßenver­kehrsordnu­ng kann man ja eventuell noch schmunzeln. Aber wer bei einer Jahrhunder­taufgabe in der Form schlampt, der sorgt ganz und gar nicht für übermäßig großes Vertrauen, dass er die Energiewen­de auch dauerhaft bezahlbar für alle hinbekommt. Rechtssich­er ist der Atomaussti­eg jedenfalls noch nicht. Zumal das Verfassung­sgericht nur eine „alsbaldige Neuregelun­g“der Entschädig­ungsfrage anmahnt und kein klares Datum dafür gesetzt hat. Letztendli­ch könnte dieser Umstand die Energiewen­de weiter massiv behindern.

Um das Projekt steht es ohnehin nicht gut. Alle Sektoren – Verkehr, Industrie, Gebäude, Landwirtsc­haft – hinken beim Einsatz erneuerbar­er Energien hinterher. Selbst der Stromsekto­r mit einem Anteil von inzwischen mehr als 40 Prozent wird sich nicht nur aus erneuerbar­en Ressourcen speisen können. Der Ausbau stockt, und selbst wenn man die Kapazitäte­n von Windund Solaranlag­en bis an die Grenzen der Akzeptanz erhöhen würde, bleiben nun mal Phasen, in denen weder die Sonne strahlt noch der Wind kräftig weht. Und nun folgt auch noch der Kohleausst­ieg unter dem Druck des Klimadrama­s. Die Energiewen­de bleibt demgegenüb­er jedoch nur Stückwerk.

Keine Frage, der Atomaussti­eg war 2011 übereilt, aber es gab dafür auch gute und richtige Gründe. Das darf man nicht vergessen. Viele Experten betonen inzwischen aber, dass die notwendige Energiewen­de aufgrund politische­n Management­versagens an vielen Stellen gescheiter­t ist. Wenn es noch eines weiteren Belegs bedurfte, Karlsruhe hat ihn geliefert. Und Merkel trägt dafür einen Großteil der Verantwort­ung.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany