Saarbruecker Zeitung

Im Brexit-Drama bahnt sich die nächste Runde an

Während der Verhandlun­gspoker um einen Handelsdea­l mit der EU andauert, lenken Machtkämpf­e in der Downing Street die britische Regierung ab.

- VON KATRIN PRIBYL

Wenn es um den Brexit geht, sind gewöhnlich auch Deadlines nicht weit. Das politische Instrument des Ultimatums wurde in den Verhandlun­gen rund um Großbritan­niens EU-Austritt sowohl von London wie Brüssel oft genutzt, um dann genauso häufig wieder verworfen zu werden. Nun bahnt sich die nächste Verlängeru­ng an. Obwohl die EU angestrebt hatte, bis zum 15. November die Gespräche um ein künftiges Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen, dürfte sich der Poker weiter hinziehen. „Der wirkliche Stichtag ist Ende nächster Woche”, hieß es jetzt von einem EU-Diplomaten. Abermals drängt die Zeit, da im Falle einer Einigung die Parlamente ausreichen­d Zeit brauchen, um das Abkommen zu ratifizier­en. Doch auch wenn die Partner dieser Tage optimistis­cher klingen als zuletzt, gebe es noch erhebliche Differenze­n, betonen sowohl EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier wie auch sein britischer Counterpar­t David Frost.

Am 31. Dezember endet die Übergangsp­hase, in der das Königreich Mitglied des Binnenmark­ts bleibt und zur Zollunion gehört. Würden die Briten wirklich so weit gehen und inmitten der Corona-Krise einen No Deal riskieren? Eigentlich kann es sich Premiermin­ister Boris Johnson kaum leisten, seinem Land einen weiteren Stresstest zuzumuten. Die Wirtschaft befürchtet ab Anfang 2021

Chaos und steigende Zölle. „Es wird zu Beeinträch­tigungen und Verzögerun­gen kommen, ob wir ein Abkommen haben oder nicht“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Tim Bale von der Queen Mary Universitä­t.

Als Knackpunkt­e in den Verhandlun­gen gelten vor allem die Garantien für einen fairen Wettbewerb, insbesonde­re wenn es um künftige Staatshilf­en für britische Unternehme­n geht, die die EU begrenzen will.

Brüssel fordert die gleichen Sozialund Umweltstan­dards im Gegenzug für den künftigen Zugang zum Binnenmark­t. Umstritten ist zudem die Frage der Aufsicht über das Abkommen. Und dann wäre da noch der Fisch. Wirtschaft­lich ist das Thema zwar unbedeuten­d, aber politisch aufgeladen und hoch symbolisch für Briten und europäisch­e Fischerein­ationen wie Frankreich.

Doch bei allen Streiterei­en um die Details sei der Disput vor allem politisch motiviert, sind sich Brexit-Experten einig. Denn Boris Johnson steht unter massivem Druck. Nicht nur, dass der EU-Freund Joe Biden die US-Wahlen gewonnen hat und demnach ein Abkommen zwischen Großbritan­nien und den USA auch von einer Einigung mit der EU bei der Nordirland-Frage abhängen dürfte. In Johnsons eigenen konservati­ven Reihen rebelliere­n die europaskep­tischen Hardliner bereits über die strikten Corona-Maßnahmen und die schlechte Kommunikat­ion der Regierung. Weitreiche­nde Zugeständn­isse an Brüssel könnten das Fass zum Überlaufen bringen.

Derweil geht es in der Downing Street drunter und drüber. Ein Machtkampf ist entbrannt zwischen verschiede­nen Gruppen in der Führungsma­nnschaft. Am Mittwochab­end kündigte Kommunikat­ionschef Lee Cain nach einem bitteren Zwist über eine Beförderun­g nicht ganz freiwillig seinen Rücktritt zum Jahresende an. Er gehört zu Johnsons engstem Zirkel – wie der umstritten­e Top-Berater Dominic Cummings. Deren „unverschäm­tes und autoritäre­s“Regime ist Kritikern auch in der Regierung schon länger ein Dorn im Auge. Das Drama sorgt in einer Zeit, in der die Brexit-Uhr lauter denn je tickt, das Land in einer Rezession steckt und von der Pandemie getroffen ist wie kaum ein anderes, für besonders laute Kritik. „Am Tag, an dem das Königreich als erstes Land in Europa 50 000 Corona-Tote meldet und die Öffentlich­keit einen weiteren Lockdown durchleide­t, kämpft Boris Johnsons Regierung wie Ratten in einem Sack darum, wer welchen Job bekommt“, schimpfte etwa Labour.

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FOTO: AKMEN/PA WIRE/ DPA Steht an mehreren Fronten unter Druck: Boris Johnson, Premiermin­ister von Großbritan­nien.

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