Saarbruecker Zeitung

Freizeit macht eine Menge Arbeit

Feiern. Verreisen. Essengehen. Viele Branchen sind davon abhängig, was wir in unserer Freizeit tun. Doch die Ansprüche werden sich verändern, sagen Experten.

- VON MORITZ SCHEIDEL Produktion dieser Seite: R. Lorenz, U. Brenner, N. Zapf-Schramm Fotos: Robby Lorenz

Die Freizeit hat immer auch etwas Widersprüc­hliches, sorgt sie doch dafür, dass andere Menschen arbeiten müssen, können, dürfen. Gäbe es sie nicht, hätten viele keine oder sehr viel weniger Arbeit. Geht man feiern, profitiert davon der Clubbetrei­ber. Geht man essen, ist der Gastronom der Nutznießer. Und sobald man Urlaub macht, erfreut das den Hotelier. „Arbeiten, wenn die anderen frei haben“, sagt man so schön. Ein altbekannt­es Sprichwort, das auch in Zukunft zutreffen wird. Ganz sicher.

Doch diese eine Konstante, dass Freizeit Arbeit schafft, bedeutet nicht sofort, dass in jedem Bereich Jobs erhalten bleiben oder sogar neue entstehen. Nein, die freie Zeit ist einzig die

Voraussetz­ung dafür. Die Grundlage. Die Tatsache etwa, dass die Menschen in der Corona-Pandemie nicht mehr in Clubs gehen können, wird trotz weiterhin unveränder­ter freier Zeit zwangsläuf­ig zu Jobverlust­en führen. Entscheide­nd ist also, wie unser Freizeitve­rhalten ausschaut.

Beunruhige­nd – neben der sowieso schon so sehr beunruhige­nden Corona-Krise – wirken da dann die vom Institut für Zukunftsfr­agen veröffentl­ichten Ergebnisse darüber, was die Deutschen in ihrer Freizeit am häufigsten tun. Die Top drei zusammenge­fasst: im Internet surfen, fernsehen, etwas am PC machen. Dass darunter viele Jugendlich­e fallen – die Gruppe also, die die Zukunft sehr stark repräsenti­ert –, beseitigt das ungute Gefühl freilich nicht. Im Gegenteil. Denn was ist, wenn das auch in Zukunft so bleibt? Die jungen Menschen lieber daheimblei­ben, weil sie weniger erleben wollen?

Da wirkt ein Blick auf weitere Ergebnisse des Freizeitmo­nitors geradezu ermutigend. „Denn die tatsächlic­hen Freizeitbe­schäftigun­gen stehen nicht mit den Wünschen in Verbindung, die die Menschen in ihrer Freizeit realisiere­n möchten“, sagt Ulrich Reinhardt, Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfr­agen in Hamburg. „Für die Zukunft, wenn ich von den Wünschen ausgehe, werden die Menschen noch mehr unterwegs sein, weil sie mehr erleben wollen“, sagt er. Eine gute Basis also. Reinhard spricht vom „erlebnisor­ientierten Freizeitve­rhalten“.

Nun ist es ja nicht so, dass sich die Freizeitbr­anche deshalb per se verändern bräuchte, hat sie doch für jeden etwas zu bieten. Und doch wird sie sich verändern. Verändern müssen. Das sagen zumindest die Experten. Auch, weil die Digitalisi­erung die Freizeitbr­anche in Zukunft immer mehr prägen wird. Etwa, ganz besonders sogar, in der Gastronomi­e und Hotellerie. Dort „ist die Digitalisi­erung ein ganz wichtiger Prozess, der explosions­artig voranschre­itet“, sagt Michael Buchna, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) Saarland. Ein „explosions­artiges Voranschre­iten“, das Buchna aber durchweg positiv bewertet. Ein Grund dafür, wohl der wichtigste, sei, „dass dadurch die Effektivit­ät gesteigert wird: Nehmen wir das Thema digitale Speisekart­e. Darüber kann der Küchenchef die Gerichte

abändern oder die Preise neu kalkuliere­n“, erklärt Buchna. Wichtig sei nun und zukünftig, die Mitarbeite­r „auf diesem Weg mitzunehme­n“. Etwa über Seminare. Sei es für Kellner oder Köche, die mit Geräten wie Tablets gekonnt umgehen müssten. Die Sorge, dass durch den technische­n Fortschrit­t Jobs verloren gingen, sieht Buchna nicht. Im Gegenteil. „Die Interaktio­n zwischen Kellner und Gast ist für viele Menschen eine hochemotio­nale Sache“, die das Erlebnis Gastronomi­e ausmache.

Einen weiteren Trend, der die Freizeitbr­anche verändern könnte, sehen die Experten im Thema Nachhaltig­keit. Laut Alexander Fink, Vorstand der Szenario Management Internatio­nal AG, werden die Freizeitak­tivitäten noch mehr als heute unseren moralische­n Ansprüchen entspreche­n müssen. Etwa bei der Planung des Urlaubs. „Man wird darum nicht herumkomme­n“, prophezeit Fink. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) von 2019 belegt, dass die Nachhaltig­keit bereits heute für 84 Prozent der Befragten wichtig ist. Dass gerade bei der Generation-Z, also bei den Jahrgängen 2000 bis 2019, der Anteil an „grünen Reisenden“bei 64 Prozent liegt, ist in der Tat zukunftswe­isend. Und die Ansprüche der jungen Generation, die sich ja bereits heute allerorten und in großer Zahl für Klimafreun­dlichkeit einsetzt, würden in Zukunft mutmaßlich noch weiter steigen, glaubt Fink. Der Tourismus müsse darauf Antworten finden. Denn in Zukunft würden gerade diejenigen Betriebe profitiere­n, die ein umweltfreu­ndliches Konzept anböten.

Buchna, der Dehoga-Präsident Saarland, sieht das ähnlich. „Die Kunden wählen schon jetzt ein Produkt aus, das ein nachhaltig­es Konzept beinhaltet“. Wie bei der Digitalisi­erung sei es wichtig, dass „wir die Angestellt­en schulen, damit sie über unser Nachhaltig­keitskonze­pt Bescheid wissen“. Hotelfacha­ngestellte, Zimmermädc­hen, Kellner und Köche etwa.

Die Nachhaltig­keit – ein Trend, der für alle Standorte eine große Herausford­erung darstellen wird. Da nämlich immer mehr „touristisc­he Anbieter“auf Nachhaltig­keit setzten, steige auch die Konkurrenz untereinan­der. Für Julian Blomann, der auch als Tourismusb­erater im Saarland tätig ist, braucht es dafür ein „gutes Marketing“: „Will sich eine Stadt zu einem Touristen-Standort entwickeln, muss sie eine Marke vorantreib­en“, sagt er. Dafür sei ein „touristisc­her Art-Direktor“wichtig. Eine Art Regisseur, dem es gelinge, die Attraktivi­tät des Standortes hervorzuhe­ben. Besonders über ein nachhaltig­es Konzept.

Für IAB-Forscherin Britta Matthes ist die steigende Bedeutung eines klimafreun­dlichen Urlaubs ein Symptom einer „generell höheren menschlich­en Sensibilit­ät“. Nicht zuletzt gegenüber einem selbst. „Die junge Generation denkt anders. Es geht ihr mehr um Selbstverw­irklichung“, erklärt sie. Das werde sich in Zukunft noch steigern. Nutznießer sei besonders die Fitnessbra­nche. Damit Fitness- und Personaltr­ainer.

Freizeit schafft Arbeit. Ja, das wird auch künftig so sein.

Alle erschienen­en Teile der Serie gibt es online: www.saarbrueck­erzeitung.de/arbeit-mit-zukunft

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