Ist Besuchsregel in Heimen verfassungswidrig?
Ein Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Einschränkungen gegen das Grundgesetz verstoßen. Eine Senioren-Initiative fordert, die Corona-Verordnung im Saarland zu überprüfen.
Ab Mitte Oktober sollten Angehörige Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen im Saarland wieder auf deren Zimmer besuchen dürfen – eigentlich. Weil die Corona-Infektionszahlen rasant gestiegen sind und immer noch steigen, ist Saar-Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) nur einen Tag bevor die Lockerungen in Kraft treten sollten zurückgerudert. Die neuen Besucherrichtlinien sind ausgesetzt.
Die „Liberale Senioren Initiative Saarland“wehrt sich jetzt dagegen. Sie fordert, alle Einschränkungen für Besuche älterer Menschen „sofort“zu überprüfen. „Das gilt nicht nur für Rechtsverordnungen der Landesregierung, das gilt auch für die Hausordnungen in den Heimen“, sagt der Vorsitzende der Initiative, Berthold Bahner (FDP). Der bisherige Kurs der Landesregierung sei zu „radikal“. Für die Initiative gehe es um die Verhältnismäßigkeit. So soll vor allem der Besuch eines sterbenden Angehörigen zu jeder Zeit möglich sein. Die Landesregierung und die Pflegeeinrichtungen sollen sich zusammensetzen und Wege finden. „Wobei eine Regelung bis ins Detail, Spitz auf Knopf, auch nicht zielführend sein kann“, glaubt Bahner. „Es geht um tendenzielle Änderungen.“
Die Initiative verweist auf ein kürzlich erschienenes Rechtsgutachten von Friedhelm Hufen im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO). Der Professor für öffentliches Recht und ehemaliges Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz kommt zu dem Ergebnis, dass die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Pflegeheimen in weiten Teilen gegen das Grundgesetz verstoßen würden. Das Infektionsschutzgesetz biete keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für derart starke Eingriffe in Menschenrechte. Auch müssten die Rechtsverordnungen der Länder konkretere Vorgaben machen. In dem Gutachten heißt es unter anderem: „Rechtsverordnungen der Länder, die zu weitgehende Ermessensspielräume oder unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte enthalten, sind verfassungswidrig und damit unwirksam.“Auch die gestiegenen Infektionszahlen und Corona-Ausbrüche in einigen Einrichtungen „dürfen nicht zu erneuter verfassungswidriger Isolation von Heimbewohnern führen“. Der Gesetzgeber sei gefordert, die „Eingriffstatbestände des Infektionsschutzgesetzes zu präzisieren und die Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Behörden
Jürgen Stenger und der Heimleitungen einzuschränken“. Die BAGSO verlangt auf Grundlage des Gutachtens etwa von Heimträgern und Heimleitungen, dass sie nur solche Einschränkungen anordnen, für die es eine eindeutige Rechtsgrundlage gibt.
Jürgen Stenger, Geschäftsführer der Saarländischen Pflegegesellschaft, der Dachverband der Pflegeeinrichtungen, betont, dass es im Saarland eine Besuchsregelung gebe, die „in begründeten Fällen auch den Besuch auf dem Zimmer gestattet“. Etwa wenn Menschen im Sterben liegen. „Natürlich unter Einhaltung der von der Heimaufsicht formulierten Hygieneregeln.“Es sei auch nicht so, dass gar kein Besuch möglich sei. Wenn die Einrichtung sicherstelle, dass ihre Hygieneregeln und Besuchskonzepte eingehalten werden können. „Wir haben 150 Einrichtungen im Saarland mit wahrscheinlich 150 unterschiedlichen Besuchskonzepten“, sagt Stenger. So würden Cafeterien, Wintergärten oder Gemeinschaftsräume als Besuchszonen genutzt. Deshalb gebe es auch keine einheitliche Vorgabe seitens des Gesundheitsministeriums. Das setze die Leitplanken, jede Einrichtung müsse für sich entscheiden, was möglich ist. „Als Pflegegesellschaft halten wir das für eine gute Regelung.“Stenger warnt davor, dass Besucher unkontrolliert in den Einrichtungen rumliefen. Trotzdem müsse den Bewohnern und Angehörigen „natürlich so viel soziale Teilhabe ermöglicht werden, wie möglich“. Eine Gratwanderung, sagt Stenger.
Der Chef des Sozialverbandes VdK im Saarland, Armin Lang, gibt zu bedenken, dass zwischen mehreren Risiken abgewogen werden müsse. Die Isolation der Heimbewohner nehme der Verband sehr ernst. „Von daher stehen wir zunächst auf der Seite der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen.“Der Besuch müsse gewährleistet werden, sofern nicht außergewöhnliche, andere Gründe dagegensprächen. Gleichzeit könne der Verband nachvollziehen, warum Einrichtungen und Träger Einschränkungen bevorzugten. „Es ist unendlich kompliziert.“Man müsse aber nach weiteren Alternativen suchen. Das fordere der Verband von der Landesregierung und den Trägern. Einrichtungen könnten statt größerer Zonen, wo gleichzeitig mehrere Bewohner besucht werden können und Trennwände zwischen den Gruppen stehen, auch einzelne Besuchszimmer einrichten – für mehr Privatsphäre. Das Land könne auch nach hessischem Vorbild Tablets für die Heime beschaffen und Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter in die Nutzung einweisen. „Damit sich die Bewohner und ihre Angehörigen wenigstens sehen können.“
„Wir haben 150 Einrichtungen im
Saarland mit wahrscheinlich 150 unterschiedlichen Besuchskonzepten.“
Geschäftsführer Saarländische Pflegegesellschaft
Das Rechtsgutachten unter www.bagso.de/publikationen/stellungnahme/rechtsgutachten-besuche-in-pflegheimen