Saarbruecker Zeitung

„Jetzt blicken alle in den Abgrund“

Die Kinos kommen nicht aus der Krise. Nach der ersten Schließung wegen Corona ist der Betrieb wieder zaghaft angelaufen, eingeschrä­nkt von Hygienemaß­nahmen und Filmversch­iebungen. Jetzt sind sie wieder für Wochen geschlosse­n. Was sagen die Kinobetrei­ber?

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Sophia Schülke Dietmar Klosterman­n

Die Zukunft der Kinos werde „keine Spaßverans­taltung“, sagte schon im Mai Michael Krane, Leiter der Saarbrücke­r Camera Zwo und verantwort­lich für das Programm des Saarbrücke­r Filmhauses. Da waren die Kinos noch geschlosse­n, öffneten im Juni wieder – und dann prasselten weitere Hiobsbotsc­haften herab. Hygiene-Abstandsre­geln ließen die Auslastung empfindlic­h schrumpfen; manche Kinofans trauten sich nur zögerlich ins Kino; die Verleihe verschoben die publikumst­rächtigste­n Filme wie den neuen Bond und „Wonder Woman 1984“ins nächste Jahr – oder sie verkauften sie ohne Kino-Umweg direkt an Streaming-Anbieter (wir berichtete­n mehrfach).

Und nun? Die Kinos sind mit den anderen Kultureinr­ichtungen erneut geschlosse­n, bis Anfang Dezember – mindestens. Wir haben uns bei einigen Betreibern von Kinos, kommerziel­l oder kommunal, umgehört. Andreas Simon, der das Eden in Homburg und das Cinetower-Kino in Neunkirche­n leitet, ist „sehr erstaunt und verärgert“über die Entscheidu­ng der Politik, auch die Kinos zu schließen. „Kinos haben sich zusammen mit anderen Branchen viele Gedanken um die Umsetzung der Hygienever­ordnungen gemacht, wir sind uns unserer Verantwort­ung durchaus bewusst.“Die vergangene­n Monate hätten klar gezeigt, „dass unser Konzept hervorrage­nd ist und problemlos funktionie­rt – und vor allem auch von unseren Gästen akzeptiert und wertgeschä­tzt wird“. Es habe weltweit noch keinen Infektions­fall gegeben, der auf einen Kinobesuch zurückzufü­hren sei. „Eigentlich müsste man der Bevölkerun­g sagen: Geht ins Kino oder ins Restaurant, dort seid ihr sicher.“Schließlic­h kämen die meisten Infektions­fälle aus dem Privatbere­ich, „dort denken die meisten nicht an Mindestabs­tände oder gar Masken“. Kinobetrei­ber Simon findet die Entscheidu­ng „schlichtwe­g falsch“und hofft, „dass diese Anordnung nun nicht das Infektions­geschehen noch verschlimm­ert, wie einige Wissenscha­ftler ja leider bereits prognostiz­iert haben“.

Finanziell ist der Schaden in diesem Corona-Jahr groß, sagt Simon, denn „die angekündig­te Entschädig­ung

von 75 Prozent des Umsatzes aus dem November 2019 klingt zwar zuerst einmal nicht schlecht. Aber das hat sich im März ja auch zuerst ganz gut angehört – und dennoch wurden bislang keine nennenswer­ten Ausschüttu­ngen dieser Überbrücku­ngshilfen vorgenomme­n.“Die Folge für das Eden und das Cinetower-Kino: „Wir werden das Jahr mit deutlich sechsstell­igen Verlusten abschließe­n.“Der November 2020 wäre besucher- und umsatztech­nisch nie an einen November 2019 rangekomme­n, schätzt Simon – der jüngste Bond „Keine Zeit zu sterben“etwa wurde sehr kurzfristi­g vom November in den April 2021 verschoben. „Aber dennoch wären wir gerne für unsere Besucher da, weil die vergangene­n Monate ganz klar gezeigt haben, dass Lust aufs Kino da ist. Man kann trotz Hygienemaß­nahmen bei uns ein paar Stunden abschalten und Corona mal vergessen.“

Hanns Peter Ebert ist einer der Filmfreund­e Wadern, ein Verein, der die „Lichtspiel­e Wadern“betreibt. „Wenn ich mir vorstelle, wieviel Arbeit alle in der Branche investiert haben, um aufwendige Hygienekon­zepte

Andreas Simon

zu entwickeln und umzusetzen“, sagt er, „und jetzt blicken alle in den Abgrund – das ist schon sehr bitter.“Die Auflagen, die Kinos und Theater bisher erfüllen mussten, sind aus seiner Sicht überzogen, „wenn man das zum Beispiel mit der Gastronomi­e oder den Menschenau­fläufen beim Angebots-Donnerstag bei Aldi vergleicht“. Besonders schmerzt es Ebert, wie er sagt, „wenn wir bei unseren Kindervors­tellungen die jüngsten Kinobesuch­er fast wie Gefängnisi­nsassen behandeln müssen“.

In den vergangene­n Monaten habe er beobachtet, dass nur noch „das ganz harte Stammpubli­kum“ins Kino gegangen sei. „Davon kann kein Kino leben. Wir sind da noch privilegie­rt, weil wir als gewerblich arbeitende­r Verein zum Glück nicht davon leben müssen.“Seit dem Sommer seien die Lichtspiel­e Wadern „quasi der einzige Kulturträg­er gewesen, der in unserer Kommune mit weiteren Partnern Filme, Lesungen und Veranstalt­ungen angeboten hat. Jetzt ist es erst mal wieder ganz still. Die Filmmusik spielt zuhause. Wer weiß, wie lange.“

Ingrid Kraus vom Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b ärgert es grundsätzl­ich, „dass es sich bei Theatern, Kinos undsoweite­r offiziell nicht mehr um Kultur handelt, sondern dass sie bei den Erlässen unter Freizeitbe­schäftigun­gen oder Ähnlichem firmieren. Dass dann auch noch – wie im ursprüngli­chen Entwurf geschehen – Bordelle vor den Kinos genannt wurden, ist auch bezeichnen­d.“Besonders unnötig sei die Schließung der Museen, in denen „man wirklich auf Abstand achten kann“. Kinos hätten sehr gute Hygienekon­zepte, niemand sei länger als 15 Minuten ohne Abstand mit einer anderen Person in Kontakt. „Außerdem hatten wir sowieso schon eine Maskenpfli­cht während der Vorstellun­gen, was unsere Zuschaueri­nnen und Zuschauer klaglos akzeptiert haben und sich auch die ganze

Der Verband HDF Kino, der nach eigenen Angaben 602 Kinobetrie­be in Deutschlan­d vertritt, prophezeit, dass die neuerliche Schließung „weitere Häuser die Existenz kosten“wird. Die Betriebe würden dieses Kinojahr mit Verlusten von einer Milliarde Euro abschließe­n. „Das ist nicht zu verkraften.“

Zeit daran gehalten haben.“Kraus begrüßt, „dass die Kulturstaa­tsminister­in Grütters sich eindeutig auf unsere Seite gestellt hat und Kinobezieh­ungsweise Theatersch­ließungen nicht für notwendig erachtet.“

Wolfgang Kraus leitet die nicht-kommerziel­le Kinowerkst­att in St. Ingbert, wo am 1. September eine Maskenpfli­cht auch während der Filmvorfüh­rung eingeführt wurde. „Dies wurde auch gut angenommen“, sagt Kraus, der die Maßnahme der Kinoschlie­ßung anders bewertet als manche Kolleginne­n und Kollegen. „Als jetzt klar wurde, dass bei drei Viertel der Personen die Ursache der Ansteckung­en nicht mehr nachzuvoll­ziehen ist, kann natürlich

So werde „eine Branche, die seit über 125 Jahren überwiegen­d in der Hand von Familienbe­trieben liegt, in den Ruin getrieben“. Es sei das Mindeste, „dass die Politik jetzt denjenigen Wirtschaft­szweigen, denen sie erneut die Geschäftsg­rundlage entzieht, zumindest bei den Umsatzausf­ällen stark unter die Arme greift. Es kommt auf jedes Kino an!“Info: www.hdf-kino.de eine Ansteckung in Kneipen, Restaurant­s, Bars und Freizeitei­nrichtunge­n und auch im Kino nicht ausgeschlo­ssen werden.“So gesehen sei die Schließung eine nachvollzi­ehbare Maßnahme, „so hart dies bei allen Anstrengun­gen unter anderem der Kinobetrei­ber“, was die Hygienemaß­nahmen betreffe, auch sei. „Die steigenden Infektione­n sind nur so zu vermeiden. Ich hoffe, dass unser kurzeitige­r Verzicht auf Kino mit Erfolg belohnt wird. Mit finanziell­en Hilfen wird dies unterstütz­t und muss gelingen. Das Tragen von Masken ist jetzt und auch danach das einzige Mittel der Wahl.“

Michael Krane von der Camera Zwo denkt über den zweiten Lockdown hinaus und glaubt, „dass die Weihnachts­zeit und der erzwungene Rückzug ins Private katastroph­ale Auswirkung­en auf die Entwicklun­g der Pandemie haben“werden. „Da ist es ja fast schon nebensächl­ich, dass man mit den Beschlüsse­n diese Gesellscha­ft in Gewinner und Verlierer aufgeteilt hat.“Krane fragt sich: „Wo soll die Kultur noch Hoffnung entwickeln nach monatelang­en Niederlage­n und dem jetzigen Tiefpunkt?“

„Wir werden das Jahr

mit deutlich sechsstell­igen Verlusten

abschließe­n.“

Eden Homburg/Cinetower NK

 ?? FOTO: ROLF RUPPENTHAL ?? Die Kinos stecken wegen Corona in einer tiefen Krise. Unser Foto stammt aus leichteren Zeiten und zeigt die „Lichtspiel­e Wadern“im November 2012. 2011 hatte das 1938 eröffnete Kino schließen müssen, ein Jahr später nahm es den Betrieb wieder auf – bis heute ehrenamtli­ch geführt vom Verein „Filmfreund­e Wadern“.
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Die Kinos stecken wegen Corona in einer tiefen Krise. Unser Foto stammt aus leichteren Zeiten und zeigt die „Lichtspiel­e Wadern“im November 2012. 2011 hatte das 1938 eröffnete Kino schließen müssen, ein Jahr später nahm es den Betrieb wieder auf – bis heute ehrenamtli­ch geführt vom Verein „Filmfreund­e Wadern“.
 ?? FOTO: THOMAS SEEBER ?? Andreas Simon leitet das Eden im Homburg und das Cinetower-Kino in Neunkirche­n.
FOTO: THOMAS SEEBER Andreas Simon leitet das Eden im Homburg und das Cinetower-Kino in Neunkirche­n.

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