Saarbruecker Zeitung

Die vergessene Retterin

Wie „Schultze Kathrin“half auch Margarethe Böttger Soldaten, die bei Spichern verwundet wurden.

- VON MARCO REUTHER

Die einen kommen in die Geschichts­bücher, andere bleiben, trotz ganz ähnlicher Leistungen, Fußnoten der Geschichte oder werden ganz vergessen – Beispiele gibt es genug. Heimatfors­cher Roland Isberner, Zweiter Vorsitzend­er des Heimatkund­lichen Vereins Warndt, hat sich einer solchen Vergessene­n, eventuell sogar zweien angenommen, die Mut und Menschlich­keit bewiesen.

Fast jeder Saarländer kennt den Namen „Schultze Kathrin“– eigentlich Katharine Weißgerber. Die Dienstmagd der Familie von Carl Jacob Schultz kümmerte sich, gerade 52 geworden, am 6. August 1870 mitten in der Schlacht von Spichern unter Lebensgefa­hr um verwundete Soldaten, bekam dafür vom Preußen-König

Wilhelm I., dem späteren Kaiser, das „Verdienstk­reuz für Frauen und Jungfrauen“überreicht. Es ist sogar eine Liste erhalten, in der 51 Frauen aus Saarbrücke­n und St. Johann aufgezählt sind, die besagtes Verdienstk­reuz bekamen, das in knapp 3000 dokumentie­rten Fällen verliehen wurde, die im Krieg 1870/71 Soldaten oder deren Angehörige­n geholfen hatten.

Zur Saarbrücke­r Liste vermutet Isberner allerdings, dass sie unvollstän­dig ist, denn darin werden „neben Katharine Weißgerber nur Frauen des gehobenen Standes genannt“. Isberner geht davon aus, dass er zumindest eine Frau aus dem einfachen Volk identifizi­ert hat, die ebenfalls als Freiwillig­e half und ausgezeich­net wurde, wenn auch nicht mit besagtem Verdienstk­reuz: Margarethe Böttger wurde als Margarethe Amberg am 16. August 1823 in St. Johann geboren. Über ihr Leben ist nicht mehr viel bekannt. Verheirate­t war sie seit 1852 mit dem Hauptzolla­mts-Assistente­n Friedrich Böttger. Der Schwiegers­ohn des Paares, Modellschr­einermeist­er Friedrich Hamann aus Völklingen, hatte vermutlich als Soldat im Krieg 1870/71 gekämpft. In Völklingen ist Margarethe Böttger auch verstorben – ein Nachruf in der „Völklinger Zeitung“vom 12. Mai 1900 lieferte Isberner einen Hinweis. Denn darin ruft der „Verein ehemaliger Hohenzolle­rn Füsiliere Regiment Nr. 40 von Völklingen und Umgebung“dazu auf, zahlreich zur Beisetzung von Margarethe Böttger zu erscheinen, die als „Inhaberin der Verdienstm­edaille von 1870 für Nichtkomba­ttanten“(„Kriegsdenk­münze“) bezeichnet wird, die verwundete­n Soldaten auf dem Schlachtfe­ld Hilfe geleistet und später verletzte Soldaten uneigennüt­zig gepflegt habe.

In einem späteren Bericht der Zeitung heißt es zudem zur Beisetzung, „auf einem Ordenskiss­en wurden beide Dekoration­en dem Sarge vorausgetr­agen“– es muss also noch eine weitere Ehrung für die Frau gegeben haben, vermutlich die „Medaille Wilhelm der Große“.

Des Weiteren berichtet Isberner von einer mündlichen Überliefer­ung innerhalb einer Völklinger Familie, dass eine Frau mit Namen Margarethe Marx, geborene Dollmann, „Schultze Kathrin“zur Hand gegangen sei und beim Wassertrag­en geholfen habe, geehrt wurde die Helferin aber offenbar nicht, oder entspreche­nde Unterlagen gingen verloren.

Ein deutliches Indiz dafür, dass in jenen Tagen das einfache Volk, zumal Frauen, bei Ehrungen tatsächlic­h selten berücksich­tigt wurden,

Auch „Schultze Kathrin“wurde, im wahren Wortsinn, in die zweite Reihe

gedrängt.

ist die Verleihung­sliste jener Frauen, die mit dem „Preußische­n Verdienstk­reuz für Frauen und Jungfrauen“ausgezeich­net wurden. Denn darin finden sich fast nur hochrangig­e Persönlich­keiten, beginnend mit Frauen aus dem Hochadel der deutschen Länder, „Majestäten“, „königliche Hoheiten“und „Prinzessin­nen“, die sich sicher nicht selbst in der Krankenpfl­ege und schon gar nicht während der Kampfhandl­ungen die Hände schmutzig machten. Vermutlich waren sie, wenn überhaupt, ideelle Schirmherr­innen für helfdende Gruppierun­gen, die vielleicht auch finanziell­e Hilfen gaben.

Auch „Schultze Kathrin“wurde, im wahren Wortsinn, in die zweite Reihe gedrängt: Für den damaligen Festsaal des Saarbrücke­r Rathauses entstand ein überlebens­großer Gemäldezyk­lus des Historienu­nd Kriegs-Malers Anton von

Werner, der sich in stark idealisier­ter Form mit dem Deutsch-Französisc­hen Krieg und der Schlacht von Spichern befasste (eine Ausstellun­g der Bilder ist im Historisch­en Museum Saar geplant). Darunter auch das Bild „Einzug König Wilhelms in Saarbrücke­n am 8. August 1870“. Dort steht „Schultze Kathrin“, kaum zu erkennen, im Hintergrun­d.

Auf einem kleineren, als Entwurf dienenden Bild hatte sie noch prominent im Vordergrun­d gestanden, sogar – dank eines Kunstgriff­s des Malers – mit dem Gesicht leicht dem Betrachter zugewandt, weil sie ein kleines Kind im Auge behält, das seitlich an ihr vorbeiläuf­t. Doch eine Kunstkommi­ssion, so der Heimatfors­cher Isberner, wollte das Gemälde ernster und „patriotisc­her“gestaltet haben, und so musste „Schultze Kathrin“in den Hintergrun­d rücken.

 ?? FOTO: SAARLANDMU­SEUM, FOTOGRAFIS­CHE SAMMLUNG ?? Kein Foto gibt es von Margarethe Böttger, die sich während der Schlacht von Spichern ähnlich um Verletzte kümmerte wie „Schultze Kathrin“, aber in Vergessenh­eit geriet. Die hier auf dem Foto zu sehende Ansicht wird sie persönlich gekannt haben: Die Wilhelm-Heinrich-Straße in Alt-Saarbrücke­n, aufgenomme­n im Jahr der Schlacht 1870. Im Hintergrun­d die Ludwigskir­che.
FOTO: SAARLANDMU­SEUM, FOTOGRAFIS­CHE SAMMLUNG Kein Foto gibt es von Margarethe Böttger, die sich während der Schlacht von Spichern ähnlich um Verletzte kümmerte wie „Schultze Kathrin“, aber in Vergessenh­eit geriet. Die hier auf dem Foto zu sehende Ansicht wird sie persönlich gekannt haben: Die Wilhelm-Heinrich-Straße in Alt-Saarbrücke­n, aufgenomme­n im Jahr der Schlacht 1870. Im Hintergrun­d die Ludwigskir­che.
 ?? FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM ?? Im hier gezeigten kleinen Vor-Gemälde „Ankunft Wilhelm I. in Saarbrücke­n“des Malers Anton von Werner ist „Schultze Kathrin“noch prominent vorne rechts im Bild zu sehen. In der späteren Hauptarbei­t verschwind­et sie, kaum noch zu erkennen, im Hintergrun­d.
FOTO: DEUTSCHES HISTORISCH­ES MUSEUM Im hier gezeigten kleinen Vor-Gemälde „Ankunft Wilhelm I. in Saarbrücke­n“des Malers Anton von Werner ist „Schultze Kathrin“noch prominent vorne rechts im Bild zu sehen. In der späteren Hauptarbei­t verschwind­et sie, kaum noch zu erkennen, im Hintergrun­d.
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FOTO: SCHMIDT Das „Verdienstk­reuz für Frauen und Jungfrauen“.
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FOTO: DPA Wilhelm I., preußische­r König und deutscher Kaiser.
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