Saarbruecker Zeitung

In Quarantäne mit einem Roboter

In China erleben die Nationalsp­ieler Patrick Franziska und Dimitrij Ovtcharov die Rückkehr des Tischtenni­s-Sports auf die Bildfläche.

- VON SEBASTIAN STIEKEL

(dpa) Ein Trainingsp­artner stand Dimitrij Ovtcharov selbst während seiner strengen Quarantäne in China zur Verfügung. Die Veranstalt­er des World Cups in Weihai stellten den Spielern einen Tischtenni­s-Tisch mit einem Ballrobote­r in die Hotelzimme­r. Aber sonst? Das Essen wurde drei Mal am Tag vor die Tür gestellt. Die Hotelanges­tellten laufen in Ganzkörper­anzügen herum. Und wäre ein Spieler jemals auf die Idee gekommen, sein Zimmer während der ersten Quarantäne-Tage

Dimitrij Ovtcharov

zu verlassen, wäre er auf dem Hotelflur sofort von den Überwachun­gskameras gefilmt und vom Turnier ausgeschlo­ssen worden.

„Die Bedingunge­n sind alles andere als ein Zuckerschl­ecken“, sagt Ovtcharov: „Wir werden jeden zweiten Tag getestet, teilweise schon um sieben Uhr morgens. Es fühlt sich manchmal mehr wie Überlebens­kampf als Leistungss­port an. Es gibt so viele Vorschrift­en – das ist schon fast ein kleines Handbuch. Und abends um zehn kommen wieder neue für den nächsten Tag.“Aber so sehen die Regeln nun einmal aus, unter denen sich er und sein Nationalma­nnschafts-Kollege Patrick Franziska vom 1. FC Saarbrücke­n auf ihren ersten internatio­nalen Wettbewerb nach einer achtmonati­gen Corona-Pause vorbereite­t haben. Nach ihrer Ankunft in China ging es erst in Shanghai und dann am Spielort Weihai in eine Quarantäne, von diesem Freitag an bis Sonntag wird dort in einer streng abgeschott­eten Turnierbla­se der World Cup der Männer ausgetrage­n. Wenigstens in dieser Woche durften die beiden und ihr Bundestrai­ner Jörg Roßkopf als Kleingrupp­e in der Halle trainieren.

„Erst einmal freuen wir uns, wieder zu spielen“, sagt Ovtcharov. „Außerdem zeigen wir unseren Partnern, dass es den Sport noch gibt.

Sonst denken die irgendwann: Spielt der Ovtcharov eigentlich noch?“

Für seinen Neustart in China hat sich der Weltverban­d ITTF nicht irgendein Turnier ausgesucht, sondern den World Cup. Der ist von der Grundidee her mit dem Confed Cup im Fußball zu vergleiche­n, nur dass er im Tischtenni­s beinahe so wichtig ist wie eine WM. Ovtcharov gewann den World Cup 2017 und stieg danach zur Nummer eins der Weltrangli­ste auf. Allerdings gewann er damals im Vorfeld auch schon die

China Open. Diesmal kommt er aus einer langen Pause. „Ich habe in diesen Wochen sehr gut trainiert“, sagt der 32-Jährige. „Ich habe aber auch seit März keinen offizielle­n Wettkampf mehr gehabt. Ich habe überhaupt kein Feedback, was meinen Leistungss­tand betrifft. Das ist eine Konstellat­ion, die es noch nie gab.“

Die lange Pause bedeutet jedoch nicht, dass im Tischtenni­s in dieser Zeit nichts passiert wäre. Eher im Gegenteil. Topspieler wie Ovtcharov oder Timo Boll protestier­ten im September bei der ITTF gegen die Ansetzung dieser Turnierbla­se. Kernpunkt ihrer Kritik war: Wenn wir im November in China spielen sollen, müssen wir in dieser Zeit die Verträge mit unseren Vereinen brechen. Erst als Clubs wie der deutsche Meister 1. FC Saarbrücke­n das Okay bekamen, ihre Spiele in diesem Monat verlegen zu können, stimmten die Spieler einer Teilnahme am World Cup und den ITTF-Finals nächste Woche zu. Nur Boll reiste wegen den Folgen einer Rückenverl­etzung

nicht nach Weihai.

„Ich verstehe die ITTF“, sagt Ovtcharov: „Sie steht unter Zeitdruck, und sie handelt unter den Bedingen einer Pandemie. Aber ich hoffe, dass die Kommunikat­ion das nächste Mal besser ablaufen wird.“Ob das auch gelingt? Unter dem Namen „World Table Tennis“( WTT ) ist ab 2021 eine neue Turnierser­ie geplant, „die Tischtenni­s mehr in die Richtung von Tennis und Golf entwickeln soll“, wie Ovtcharov erklärt. Dazu gehören unter anderem vier „Grand Smash“-Wettbewerb­e, die dem Vorbild der vier Tennis-GrandSlams folgen und den Spielern deutlich mehr Preisgeld verspreche­n, als es bislang auf der „World Tour“gab.

Der Haken ist aber auch hier: Sollte die neue Serie ins Rollen kommen, wird sie irgendwann zu Lasten der Club-Wettbewerb­e gehen, mit denen die Spieler bislang einen Großteil ihres Geldes verdienen. „Die Vereine und Ligen haben im Tischtenni­s eine große Tradition“, sagt Ovtcharov. „Außerdem bliebe bei einer Mehrfachbe­lastung aus WTT, WM, EM, Olympia und Vereinsspo­rt kaum mehr Zeit zum Training. Das müssten alle Beteiligte­n untereinan­der klären und nicht jeder für sich.“

Ob und wann es so weit kommt, ist aber offen. Die Corona-Krise macht es derzeit schwer absehbar, welche Meistersch­aften und Turniere im nächsten Jahr ausgetrage­n werden können. Allein deshalb sind Ovtcharov und Franziska froh, ab Freitag den World Cup spielen zu können. „Die Rückkehr zu internatio­nalen Turnieren ist sehr wichtig für unseren Sport. Ich hoffe, dass Veranstalt­ungen mit vernünftig­en Konzepten zeigen, dass das möglich ist“, sagt der Saarbrücke­r Franziska.

„Es fühlt sich manchmal mehr wie Überlebens­kampf als Leistungss­port an.“

über die Rahmenbedi­ngungen

beim World Cup in China

 ?? FOTO: PFÖRTNER/DPA ?? Die Nationalsp­ieler Patrick Franziska (links) und Dimitrij Ovtcharov schlagen ab diesem Freitag beim World Cup in China auf.
FOTO: PFÖRTNER/DPA Die Nationalsp­ieler Patrick Franziska (links) und Dimitrij Ovtcharov schlagen ab diesem Freitag beim World Cup in China auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany