Saarbruecker Zeitung

Pädophilen-Netzwerk steht vor Gericht

Seit Donnerstag läuft der Prozess im Missbrauch­skomplex Münster. Die Ermittler identifizi­eren noch immer neue Beschuldig­te.

- VON FLORENTINE DAME

(dpa) Alle sind das, was man „unauffälli­ge Erscheinun­gen“nennen würde. Doch was ihnen vorgeworfe­n wird, ist monströs. Die vier Männer, die am Donnerstag auf den Anklagebän­ken im Landgerich­t Münster Platz nehmen, sollen Kinder schwer sexuell missbrauch­t haben – zum Teil ihre eigenen.

Die Angeklagte­n stehen im Zentrum eines der größten Fälle schweren Missbrauch­s der vergangene­n

Jahre. Vor einem halben Jahr knackten Polizisten zunächst einen Laptop des Hauptangek­lagten aus Münster und legten dann nach und nach einen immer weiter ausufernde­n Fall frei – ein Ende der Ermittlung­en ist bis jetzt nicht in Sicht. Sechs Monate später ist nun der Prozess gegen den mutmaßlich­en Drahtziehe­r, einen 27-jährigen Mann aus Münster, dessen wegen Beihilfe mitangekla­gte 45-jährige Mutter, einen 35-jährigen Mann aus Hannover, einen 30-Jährigen aus Staufenber­g in Hessen und einen 42-Jährigen aus Schorfheid­e in Brandenbur­g gestartet. Als Schlüsself­igur in den Ermittlung­en gilt Adrian V., ein IT-Mann aus Münster.

Er ist derjenige, dem die meisten Taten zur Last gelegt werden. Darüber hinaus soll er seinen Ziehsohn immer wieder anderen Männern für schlimmste Gewalttate­n überlassen haben. Nicht nur die Männer, die im Saal sitzen, sondern auch eine wachsende Zahl von Beschuldig­ten bundesweit sollen sich mit seinem Einverstän­dnis an dem Jungen vergangen haben.

Was die Staatsanwa­ltschaft den Männern genau vorwirft, soll die Öffentlich­keit zum Schutz der Opfer nicht im Detail erfahren. Zu grausam, zu explizit sind die auf 25 Seiten geschilder­ten Tatvorwürf­e, die die Staatsanwa­ltschaft auf Antrag der Nebenklage­vertreter an diesem ersten Prozesstag hinter verschloss­enen Türen vorträgt. Um das Ausmaß der Gewalttate­n zu ermessen, die die Kinder ertragen mussten, reicht es aber, die bekannten Anklagepun­kte der Staatsanwa­ltschaft zu kennen. Wobei die Ermittler befürchten, nur die Spitze des Eisbergs an Grausamkei­ten zu kennen.

Einer der Tatorte ist demnach eine inzwischen abgerissen­e Gartenlaub­e in einer Kleingarte­nsiedlung in Münster. Drei Tage lang sollen sich die angeklagte­n Männer im April hier allein zu dem Zweck getroffen haben, zwei kleine Jungen zu missbrauch­en – den damals zehn Jahre alten Sohn der langjährig­en Lebensgefä­hrtin des Hauptangek­lagten und den fünfjährig­en Sohn des Mannes aus Hessen.

Um die Kinder wehrlos zu machen, sollen sie betäubt worden sein. Von

Ein Ende der Ermittlung­en ist bis jetzt nicht in Sicht.

welch ekelhaftem Selbstvers­tändnis die Männer dabei getrieben gewesen sein könnten, verrät ein Detail, auf das die Staatsanwa­ltschaft hinweist: Zwei Männer feierten in dem Zeitraum Geburtstag. Was in der Laube geschah, wissen die Ermittler vor allem durch ein Überwachun­gsvideo aus der Hütte, das auf einer vermeintli­ch gelöschten Festplatte wiederherg­estellt werden konnte. Die Laube gehört der angeklagte­n Mutter von Adrian V., einer Kindergart­enerzieher­in aus Münster. Sie soll sie den Männern überlassen haben – wohlwissen­d, was dort geschah.

Darüber hinaus legt die Staatsanwa­ltschaft Adrian V. zur Last, seinen Ziehsohn selbst immer wieder vergewalti­gt zu haben. Auch dem Mann aus Brandenbur­g und dem aus Hessen wird unter anderem vorgeworfe­n, bei anderen Gelegenhei­ten die eigenen Kinder missbrauch­t zu haben. Gut eine Stunde dauert der Vortrag des Staatsanwa­lts.

Riesige Mengen komplex verschlüss­elten und nur zum Teil ausgewerte­ten Datenmater­ials zeigten den Ermittlern im Frühsommer schnell, dass es weitere mutmaßlich­e Täter und auch Opfer geben muss. Über das Internet soll Adrian V. in Kontakt mit einer Vielzahl Gleichgesi­nnter gekommen sein.

Zu Übergriffe­n kam es laut Ermittlern bei Reisen nach Mallorca oder Sylt. Mal traf man sich in eigenen Wohnungen, mal in Ferien-Apartments. Manche brachten eigene Kinder mit. Allein die Staatsanwa­ltschaft Münster hat mehrere Anklagen gegen insgesamt neun Personen erhoben und zählt acht Opfer. Bundesweit ermitteln Staatsanwa­ltschaften gegen mehr als 20 Beschuldig­te mit Bezug zu dem Fall.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Ein Polizeibea­mter steht vor einer inzwischen abgerissen­en Gartenlaub­e in einem Münsterane­r Stadtteil. Dort soll der Hauptangek­lagte im April mit drei weiteren Männern zwei Jungen sexuell missbrauch­t haben.

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