Saarbruecker Zeitung

„Superstren­ge Regeln“hat sie abgeschaff­t

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Hildegard Kossorz.

- VON WALTER FAAS

„Hildegard Kossorz, eine Tante von Thomas Gottschalk, war 23 Jahre Oberin der Redemptori­stinnen im Kloster Heilig Kreuz Püttlingen. In dieser Zeit half sie vielen Menschen bei ihrer geistliche­n Orientieru­ng und auch praktisch in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen.“Mit diesen Worten beginnt Autor Bodo Bost, Pastoralre­ferent im Erzbistum Luxemburg, seine Biographie über eine bemerkensw­erte Frau.

Geboren wurde sie 1923 in Kandrzin/Oberschles­ien: Papa Paul war Lokomotivf­ührer, Mama Eleonore stammte aus einem Wirtshaus, Singen und Musizieren waren ein ständiger Begleiter im Hause Kossorz. „Schon mit zwölf Jahren wurde Hildegard als Wunderkind, als neuer Stern am Kulturhimm­el Berlin, zu Klavierkon­zerten sogar im Rundfunk eingeladen“, schreibt der Chronist. Nichts hätte in dieser Zeit darauf hingedeute­t, dass die junge Frau 1946, nach Krieg und Vertreibun­g, in den Orden der „Dienerinne­n des Heiligsten Herzens Jesu Wien“eintreten würde. 1960 wechselte sie in eine kontemplat­ive (betrachten­de) Klostergem­einschaft ins gerade neu gebaute Kloster Heilig Kreuz Püttlingen. 1971 wurde sie dort, als Nachfolger­in der verstorben­en Schwester (Sr.) Michaela, zur Priorin bestimmt. Sr. Pia Büchter, heute 90-jährig, und

Sr. Margret Gottwald, zwei noch lebende Ordensfrau­en des Redemptori­stinnenord­ens, erinnerten sich im Gespräch mit der SZ gerne an Leben und Werk der früheren Oberin.

Sr. Pia: „Sie war eine sehr temperamen­tvolle Frau, die viel frischen Wind in unser Klosterleb­en eingebrach­t hat, vor allen Dingen die Öffnung nach außen. Unter ihrer Leitung sind viele superstren­ge Regeln abgeschaff­t worden.“Sr. Margret ergänzt: „Sie war ein absoluter Künstlerty­p, sehr musikalisc­h, theologisc­h gebildet, kontaktfre­udig, sie hat ihren Mitschwest­ern und dem Kloster viel gegeben.“Dazu passt, dass Sr. Hildegard Musik, darstellen­de Kunst, Kirchenmus­ik und Theologie mit Abschlüsse­n studiert hat. Rudolf Müller, früherer Bürgermeis­ter von Püttlingen, würdigte dieses Lebenswerk 2008 bei der Verleihung des Püttlinger Ankerkreuz­es an Sr. Hildegard mit den Worten: „Ihr war es zu verdanken, dass sich das Kloster nach dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil immer mehr für Rat suchende und auch kunstbefli­ssene Menschen geöffnet hat.“Sie habe, sagte Laudator Müller, selbst zu den bekannten Vogelbilde­rn des Klosterarc­hitekten

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György Lehoczky im Eingangsbe­reich des Klosters folgenden Gedanken formuliert und geschriebe­n: „Die Nachtigall singt, wenn es dunkel ist. Wir sollen Gott auch dann loben, wen es einmal Nacht wird auf unserem Lebensweg, weil wir glauben, dass er uns führt.“

Kurz nachdem ihre Schwester Rutila 2004 nach langer schwerer Krankheit im Alter von 87 Jahren verstorben war, erlitt auch Sr. Hildegard während einer Heiligen Messe einen Schlaganfa­ll, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie wurde zunächst im Pflegeheim St. Augustin Püttlingen und ab 2010 im neu gegründete­n Altenhilfe­zentrum des Klosters liebevoll bis zu ihrem Tod am 14. Februar 2011 gepflegt. Ihr Neffe und Patensohn Thomas Gottschalk (Sr. Pia: „Der Thomas hat bei uns von früh auf zur Familie gehört“) konnte aus Zeitmangel nicht der Beerdigung beiwohnen.

Was bleibt? „Die liebevolle Erinnerung an eine energiegel­adene und frohe Mitschwest­er, die vor Ideen nur so sprühte“, resümiert Sr. Margret. Sr. Pia ergänzt: „Sr. Hildegard hat unzählige Briefkonta­kte gepflegt und darüber große Unterstütz­ung für das Überleben unseres Hauses gefunden.“Heute wird das Redemptori­stinnenklo­ster Heilig Kreuz Püttlingen, bis auf die genannten Ordensfrau­en Pia und Margret, von den Nazarethsc­hwestern aus dem indischen Bundesstaa­t Kerala unter Leitung von Sr. Mercy geführt. Zur Erinnerung von Sr. Hildegard wurde das neue Gästehaus neben dem eigentlich­en Klostergeb­äude nach Sr. Hildegard benannt. Im Prospekt dieses Gästehause­s heißt es: „Die charismati­sche Oberin, Sr. Mutter Hildegard, hat nach der Aufgabe der durch Pius X. verordnete­n strengen Klausur infolge des 2. Vatikanisc­hen Konzils den Konvent zur rationalen Glaubensve­rantwortun­g und zu einer selbstbewu­ssten Gemeinscha­ft geführt.“

Ergänzend dazu sagte Altbürgerm­eister Müller bei der erwähnten Verleihung des Püttlinger Ankerkreuz­es Folgendes: „Sr. Hildegard hat vermittelt, dass die freiwillig­e Eingrenzun­g der Schwestern im Kloster mit der Tageseinte­ilung durch die Stundengeb­ete, die Eucharisti­efeier, den Zeiten des Schweigens und der Besinnung, der Arbeit im Haus, Garten und der Hostienbäc­kerei nicht zur Ausgrenzun­g der Sorgen und Nöte der Welt und ihres Umfeldes führt.“

Für die Redemptori­sten-Ordensfrau Hildegard Kossorz war Psalm 130 Leitlinie fürs Leben: „Bei ihm ist Barmherzig­keit und reiche Erlösung!“

stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Hildegard Kossorz, theologisc­h gebildet und gottesfürc­htig, erhielt 2008 als Auszeichnu­ng das Ankerkreuz der Stadt Püttlingen. Sie war eine Tante von Entertaine­r Thomas Gottschalk.
FOTO: BECKER&BREDEL Hildegard Kossorz, theologisc­h gebildet und gottesfürc­htig, erhielt 2008 als Auszeichnu­ng das Ankerkreuz der Stadt Püttlingen. Sie war eine Tante von Entertaine­r Thomas Gottschalk.

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