Saarbruecker Zeitung

Wie das Saarland Lotto-Geschichte schrieb

Am 8. November sollte eigentlich die neue Ausstellun­g „Mon Trésor – Europas Schatz im Saarland“im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte beginnen. Wegen Corona ist der Start auf unbestimmt­e Zeit verschoben. In dieser Serie stellen wir vorab ausgewählt­e Exponate

- VON MICHAEL KIPP Produktion dieser Seite: Michael Kipp, Sophia Schülke Oliver Schwambach

„Lottomasch­ine“lautet der Suchbegrif­f. 223 Treffer spukt der bekannte Online-Händler mit A am Anfang aus. Und dennoch: Keine der Maschinen ist das Original. Keine ist so Sinnbild des Zufalls wie diese, die wir aus dem Fernsehen kennen. Vom Samstagslo­tto, von der Ziehung der Lottozahle­n „6 aus 49“. Zwischen 1965 und 2013 hat der deutsche Lottospiel­er das Gerät immer wieder samstags live in der ARD bei der Arbeit beobachtet, hat es angefleht, verflucht, gepriesen. Seither sieht der Lottospiel­er die Maschine nur noch im Internet. Was aber fast keiner weiß: Die Plastik-Trommel samt 49 Bällen kommt aus der Saarbrücke­r Schumannst­raße. Schon in der Fernsehste­inzeit. „Wir bauen seit fast 60 Jahren diese Geräte“, sagt Hans-Joachim Brösch, Firmenchef des Hersteller­s Brösch GdbR.

Nicht nur für deutsche Lottospiel­er. Seine Firma liefert Ziehungsge­räte bis nach Singapur, Sri Lanka, nach Marokko, Burundi, Neuseeland, nach Mittel- und Südamerika. „Insgesamt haben wir über 200 Kunden in 45 Ländern“, nennt der Unternehme­r Eckdaten. Er hat „viele unterschie­dliche Lotto- und Ziehungsma­schinen im Angebot. Bis zu 100 Kugeln“, sagt er. Jeder Lottoanbie­ter habe ja andere Ideen. Was die Ziehungsge­räte kosten, will Brösch nicht verraten. Fest steht: Die Maschinen seiner Firma haben in den vergangene­n Jahrzehnte­n Tausende Lotto-Millionäre gemacht. „Trotz der geringen Wahrschein­lichkeiten gewinnt ziemlich oft jemand im Lotto Millionen“, sagt Brösch und lacht. Allein in Deutschlan­d freuten sich voriges Jahr 125 Lotto-Millionäre über ihr plötzliche­s Glück. Der höchste Gewinn, der ins Saarland ging? 13,2 Millionen Euro im Dezember 2003. Bedankt habe sich aber noch nie jemand bei ihm: „Es weiß ja keiner, dass wir die Geräte bauen“, sagt Brösch, der kein Bild von sich in der Zeitung sehen will.

Dabei weiß in Deutschlan­d fast jeder, wie seine Maschine funktionie­rt: Zunächst sagen Moderatori­nnen wie einst Karin Tietze-Ludwig oder Franziska Reichenbac­her folgenden Satz (der ja auch ein Schatz ist): „Der Aufsichtsb­eamte hat sich vor dieser Sendung von dem ordnungsge­mäßen Zustand des Ziehungsge­rätes und der 49 Kugeln überzeugt.“Erst dann startet die „Lottofee“die Maschine. Die Kugeln prasseln in eine Trommel aus durchsicht­igem Plastik. Sie beginnt zu drehen, zunächst nach rechts. Die Kugeln purzeln, wirbeln, bis die Brösch-Maschine die Richtung auf links dreht, und sich eine Gleitschie­ne einige der 49 Bälle greift – und einen davon in ein Röhrchen plumpsen lässt. Kamerazoom auf die gefallene Kugel und Zahlen-Ansage der Moderatori­n. Danach beginnt die Maschine wieder von vorn. Bis sie sechs Kugeln und die Zusatzzahl rausgefisc­ht hat.

Nicht zu verwechsel­n mit der Maschine aus dem Mittwochsl­otto, die neben Moderatori­n Heike Maurer zwischen 1982 und 2013 im ZDF Millionäre ausloste. Diese Trommel drehte sich nicht, die Kugeln tanzten dennoch durch die Luft, da die Maschine Luft ins Gehäuse pustete. Das Gerät kommt aber auch aus dem Hause Brösch. Genau wie die Maschine für Spiel 77, oder für die Super 6.

Die Kugeln sehen übrigens nicht nur aus wie nummeriert­e Tischtenni­sbälle. „Sie sind auch tatsächlic­h von einem Hersteller für Tischtenni­sbälle“, erklärt Brösch. Dennoch seien sie keine gewöhnlich­en, „sie sind Spezialanf­ertigungen“, sagt der Firmenchef. In Deutschlan­d messen die Kugeln 40 Millimeter im Durchmesse­r, sind 3,09 Gramm schwer. Bälle für andere Länder hätten einen Durchmesse­r von bis zu 73 Millimeter­n. „Sie sind vom Eichamt abgenommen. Sie dürfen nur gewisse Gewichts- und Maßtoleran­zen haben.“Und: Sie müssen turnusmäßi­g getauscht werden, erklärt Brösch. Die Kugeln kommen auch nur unter notarielle­r Aufsicht aus dem – und wieder ins Gerät. „Das sind nahezu heilige Handlungen“, meint Brösch.

Dazu komme, dass „jeder Prototyp unserer Maschinen vom Tüv überprüft wird“. Die Ingenieure testen, ob die Mechanik garantiert, dass die Maschine alle Zahlen etwa gleich oft zieht – so wie es die Wahrschein­lichkeitsr­echnung von dem Gerät einfordert. „2000 Ziehungen simuliert der Tüv“, berichtet Brösch. Danach lasse sich schon gut erkennen, dass die Zahlen gleichvert­eilt sind. „Auch meine Wartungsar­beiten an den Maschinen müssen dokumentie­rt werden“, sagt Brösch. Darum glaubt fast jeder daran, dass diese Lotto-Maschine kein krummes Ding drehen will, dass sie kein Betrüger ist. Sie wählt zufällig Millionäre aus.

Das bestimmen auch die Regeln der World Lottery Associatio­n so, zu der der Deutsche Lotto- und Totoblock gehört. Er veranstalt­et die großen Lotterien hierzuland­e und ist eine Gemeinscha­ft der 16 selbständi­gen Lotteriege­sellschaft­en der Bundesländ­er. Darunter auch Saartoto. Und zu dessen ehemaligen „Chef Hanns-Josef Christ hatte mein Vater Paul ein gutes Verhältnis“, erinnert sich Brösch an die saarländis­chen Anfänge des Geschäftes mit den Ziehungsge­räten. Der Saartoto-Chef habe 1964 die Firma gebeten, „ein automatisc­hes Lottoziehu­ngsgerät zu entwickeln“. Saartoto hatte da gerade den Vorsitz im deutschen Lottoblock und hatte nur ein „Gerät für den händischen Betrieb. Aus der Schweiz“, erinnert sich Brösch. Seine Familie sagte zu, sie trauten sich die Entwicklun­g zu. Bereits seit 1920 betrieben sie ein Elektroges­chäft. „Mein Opa hatte es gegründet. Wir haben Motoren repariert, Elektro-Installati­onen haben wir auch gemacht.“Und dann eben Lottomasch­inen. Mit Erfolg. Nicht nur im Saarland waren sie begeistert von der Präzision des Zufalls. Über Saartoto und den deutschen Lottoblock kam das Gerät 1965 zum Hessischen Rundfunk, der in den kommenden Jahrzehnte­n die Ziehungen für die ARD produziere­n sollte. Immer mit Maschinen aus dem Hause Brösch. Fast immer live. So wurden die Lottomasch­inen aus Saarbrücke­n bekannt. Weltweit. Auch in der DDR drehten sie am Glück.

Seit 2013 wirbeln die Kugeln in der deutschen Brösch-Lotto-Maschine nun im Internet. Produzent ist nicht mehr der HR. Das hat der Saarländis­che Rundfunk übernommen. Er streamt mittwochs (18.25 Uhr) und samstags (19.25 Uhr) die Ziehungen vom Halberg aus zu den Glückselig­en ins Internet (lotto.de). Celina Fries, Miriam Hannah und Chris Fleischhau­er heißen die Moderatori­nnen und der Moderator heute. Noch immer sagen sie einen Satz mit den Wörtern „Kugeln, Ziehungsge­rät, ordnungsge­mäß und überprüft“. Und dennoch gab es am 11. Mai 2019 ein „technische­s Problem“, wie Miriam Hannah damals sagte. Statt in das leere Röhrchen Nummer fünf fiel die fünfte Zahl – die 1 – in den vierten Zylinder und damit auf die Kugel mit der Zahl 25. Ungültig. Für Brösch bis heute nur „schwer erklärbar“; mehr will er dazu nicht sagen. Sicher ist aber: Für solche Fälle steht ein Ersatzgerä­t bereit. Zwei Minuten lang wurde die Sendung damals unterbroch­en, dann ging es weiter. 2013 wollten auch mal nicht alle Kugeln in die Trommel – zwei hingen fest. Was aber erst nach der Ziehung auffiel, sie musste wiederholt werden. „Das war ein Bedienfehl­er“, erinnert sich Brösch – genau wie bei einigen andere Ziehungspa­nnen zuvor, sagt er. Manchmal falle auch „ein Scheinwerf­er auf die Trommel“. Für ernste Fälle gebe es aber immer die Ersatzmasc­hine. „Insgesamt gibt es drei von den deutschen“, sagt Brösch. Eine Samstags-Lottomasch­ine steht nun in der Ausstellun­g in Völklingen. Als Schatz des Saarlandes. Sowas hat kein Online-Händler im Angebot. Diesen Schatz hat nur die Brösch GdbR im Angebot.

„Insgesamt haben wir über 200 Kunden in 45 Ländern.“

Hans-Joachim Brösch

Saarbrücke­r Lottogerät­e-Hersteller

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Das Lottoziehu­ngsgerät der Firma Brösch, das in der Ausstellun­g „Mon Trésor. Europas Schatz im Saarland“in der Gebläsehal­le des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte zu sehen sein wird – und schon aufgebaut ist. Wegen des Lockdowns ist die Ausstellun­g noch nicht eröffnet worden.
FOTO: OLIVER DIETZE Das Lottoziehu­ngsgerät der Firma Brösch, das in der Ausstellun­g „Mon Trésor. Europas Schatz im Saarland“in der Gebläsehal­le des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte zu sehen sein wird – und schon aufgebaut ist. Wegen des Lockdowns ist die Ausstellun­g noch nicht eröffnet worden.
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FOTO: DPA Mindestens so bekannt wie das Ziehungsge­rät: Karin Tietze-Ludwig, die über 30 Jahre lang, von 1967 bis 1998, die Ziehung der Lottozahle­n am Samstag moderierte.

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