Vor Corona-Gipfel keine Lockerungen in Sicht
Bund und Länder ziehen eine Zwischenbilanz des Lockdowns. Wegen weiter hoher Zahlen sehen viele Stimmen keinen Spielraum für große Änderungen.
(dpa/kes) Zwei Wochen nach Beginn des Teil-Lockdowns in Deutschland beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder diesen Montag erneut über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise. Mit Lockerungen ist nicht zu rechnen. Mehrere Regierungschefs – darunter auch Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) – schlossen Erleichterungen am Wochenende aus. Offenbar soll erst in einer weiteren Runde am kommenden Montag entschieden werden, ob die auf November befristeten Einschränkungen vor Weihnachten gelockert werden können – oder verschärft werden müssen. Mehrere Länder sollen bei einer Vorbesprechung am Sonntag dafür plädiert haben, die Entwicklung der zuletzt auf hohem Niveau stagnierenden Corona-Zahlen abzuwarten.
Hans mahnte vor dem Gipfel zu „Geduld“. Lockerungen ließen die aktuellen Zahlen nicht zu. „Wenn wir Weihnachten im Kreis unserer Familien feiern wollen, müssen wir uns weiterhin zurückhalten“, sagte er der SZ. Saar-Wirtschaftsministerin und Vize-Regierungschefin Anke Rehlinger (SPD) erklärte: „Deutschland hat früher reagiert als andere und die Hoffnung ist da, dass uns das Vorteile bringt. Es ist aber nicht die Zeit für Leichtfertigkeit.“
Als größter Knackpunkt bei den Beratungen an diesem Montag zeichnete sich das Schulthema ab. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte am Sonntag bei „Bild live“schärfere und einheitliche Regeln und eine „Maskenpflicht überall“.
Als wahrscheinlich galt, dass es eine Verschärfung der bestehenden Kontaktbeschränkungen geben könnte, etwa derart, dass nur noch ein Hausstand und eine weitere Person zusammenkommen dürften.
(dpa) Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Menschen in Deutschland vor der am Montag geplanten Zwischenbilanz des Teil-Lockdowns auf schwierige Monate wegen der Corona-Krise eingestimmt. „Der vor uns liegende Winter wird uns allen noch viel abverlangen“, sagte Merkel in ihrem Video-Podcast. „Das Virus wird noch eine ganze Weile unser Leben bestimmen. Das bedeutet auch, dass wir uns nicht unbeschwert direkt begegnen können.“Mehrere Länder plädierten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bei einer Vorbesprechung mit dem Kanzleramt am Sonntag dafür, vor weitreichenden Entscheidungen die Entwicklung bei den zuletzt auf hohem Niveau stagnierenden Corona-Infektionszahlen eine weitere Woche lang abzuwarten.
Zwar sei man im Grundsatz einig, dass die Schulen für Präsenzunterricht geöffnet bleiben sollten, hieß es aus Vorberatungen. Eine Mehrheit der Länder wolle jedoch aktuell nichts an den Regelungen ändern. Das Kanzleramt wolle dagegen über Veränderungen etwa bei den in den Schulen geltenden Abstandsregeln, der Gruppengröße oder die Einführung von Wechselmodellen im Unterricht sprechen. Hier seien die Fronten verhärtet, war zu hören.
Nach weiteren Informationen galt es als wahrscheinlich, dass es in der Runde am Montag eine Verschärfung der bestehenden Kontaktbeschränkungen geben könnte. Seit dem 2. November gilt, dass sich nur Angehörige des eigenen und eines weiteren Hausstands in der Öffentlichkeit aufhalten dürfen, maximal jedoch zehn Personen. Als denkbar wurde nun bezeichnet, dass man sich auf weitere Beschränkungen einigt – beispielsweise, dass nur noch ein Hausstand und eine weitere Person zusammenkommen dürften.
Nicht unwahrscheinlich sei, dass sich die Bund-Länder-Runde diesen Montag auf Maßnahmen im Bereich der Kommunikation einigen werde, hieß es weiter. So sei eine Art „Knigge“ denkbar, in dem Verhaltensregeln etwa für Kinder und Familien enthalten sein könnten. Zudem werde auch der Schutz von Risikogruppen erneut eine Rolle spielen – diesmal aber von jenen alten und kranken Menschen, die nicht innerhalb eines Heimes lebten.
Bei einer Vorbesprechung der Chefs der Staatskanzleien mit dem Chef des Bundeskanzleramts, Helge Braun (CDU), habe dieser darauf hingewiesen, dass man in der ersten Corona-Welle von Februar bis Ende Oktober insgesamt rund 500 000 Infektionen in Deutschland registriert habe. Nun sei absehbar, dass im November weitere 500 000 Fälle hinzukämen – und sich damit diese Zahl innerhalb eines Monats verdoppele. Dies sei dramatisch, auch wenn mit dem Teil-Lockdown erreicht worden sei, dass es derzeit keinen exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen mehr gebe, wurde gewarnt. Wenn man auf einem derart hohen Niveau von aktuell täglich 20 000 neuen Fällen bleibe, könne dies nicht hingenommen werden. Innerhalb eines Tages hatten die Gesundheitsämter nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Sonntag in Deutschland 16 947 neue Corona-Infektionen gemeldet. Das sind 5514 Fälle weniger als am Tag zuvor mit 22 461 neu gemeldeten Fällen innerhalb von 24 Stunden. An Sonntagen sind die erfassten Fallzahlen meist niedriger, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Am vergangenen Sonntag hatte die Zahl gemeldeter Neuinfektionen bei 16 017 gelegen. Die Samstagszahlen waren erstmals seit Monaten im Vergleich zu einem Samstag der Vorwoche gesunken. Schon vor Samstag war die Geschwindigkeit des Zuwachses der Neuinfektionen gesunken. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz stieg zuletzt nicht mehr so schnell wie Anfang November und lag am Freitag bei 140,4 Fällen in sieben Tagen pro 100 000 Einwohner. Ziel der Bundesregierung ist es, an eine Inzidenz von 50 heranzukommen. Erst dann sei es wieder möglich, dass einzelne Kontakte von Infizierten nachvollzogen werden könnten.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte bei einem virtuellen Treffen der bayerischen Jungen Union mit Blick auf die Corona-Zahlen, man beobachte „zumindest mal eine Stabilisierung“. Danach müsse es aber das gemeinsame Ziel sein, die Zahlen runterzubringen. „Dieses Virus hat eine unglaublich lange Bremsspur.“Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte bei der Jungen Union, bis Ende November gebe es „auf keinen Fall eine Lockerung – das macht überhaupt keinen Sinn“. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte der Bild am Sonntag, trotz aller Anstrengungen sei eine Wende noch nicht erreicht. Für das Öffnen von Restaurants und Kinos sehe er wenig Spielraum. „Wir werden zumindest in den nächsten vier bis fünf Monaten mit erheblichen Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen leben müssen.“Altmaier schlug Schul-Unterricht in geschlossenen Gaststätten und Hotels vor, um die Abstandsregeln besser einhalten zu können.
Der Kieler Bildungsforscher und Psychologe Olaf Köller warb dafür, ältere Schüler digital von zu Hause zu unterrichten. Programme für den Distanzunterricht sollten dabei langfristig bis Ende März angelegt werden, sagte Köller, der an mehreren Stellungnahmen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zur Corona-Pandemie mitgeschrieben hat. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sich dafür aus, die Schulen auf jeden Fall offen zu halten, warnte aber vor einer Fortsetzung des bisherigen Schulbetriebs. Er riet dazu, die Schulklassen aufzuteilen und „im Winter durchgehend mit Maske“zu unterrichten. Kinder im Alter von zehn bis 19 seien so ansteckend wie Erwachsene.
Saar-Regierungschef Tobias Hans (CDU) sagte der SZ, die Lage sei nach wie vor sehr ernst. Auch wenn an manchen Tagen mittlerweile die Infektionszahlen weniger stark steigen, seien wir noch lange nicht über dem Berg. „Deshalb kann ich nur davor warnen, jetzt Lockerungen vorzunehmen.“Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) sagte, Deutschland habe früher reagiert als andere, und die Hoffnung sei da, „dass uns das Vorteile bringt. Es ist aber nicht „die Zeit für Leichtfertigkeit“.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) verlangte, dass in Corona-Hotspots alle verschiebbaren medizinischen Eingriffe in Krankenhäusern abgesagt werden. „Es ist allerhöchste Zeit, die Kliniken vom Regelbetrieb zu nehmen, damit wir uns voll auf die Intensivstationen konzentrieren können – und zwar nicht nur auf Covid-19-Patienten, sondern auf alle Schwerkranken“, sagte DIVI-Präsident Uwe Janssens. Dafür seien die Kliniken aber wie im Frühjahr auf Ausgleichszahlungen durch die Politik angewiesen.
„Der vor uns liegende Winter wird uns allen noch viel abverlangen.“
Angela Merkel
Bundeskanzlerin