Weihnachtslieder statt Almosen
Wirtschaftsprüfer aus Saarbrücken reagieren auf Hilferufe saarländischer Künstler und geben Weihnachtslieder in Auftrag. Den Anstoß gab ein Professor von der HfM Saar.
Warum zu Weihnachten keine musikalischen Grüße versenden? Das überlegte sich Christoph Hell, geschäftsführender Gesellschafter der mittelständischen Saarbrücker Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Dornbach nach Oliver Strauchs Aufruf zur Rettung der Kulturszene. Darin hatte der renommierte Jazz-Schlagzeuger und Professor an der Hochschule für Musik Saar (HfM) auch Privatleute in die Pflicht genommen. Eine ganze Berufsgruppe stehe vor dem Kollaps, argumentierte Strauch, und regte ein Mäzenatentum für Live-Veranstaltungen an. Nicht als anerkennendes Almosen, sondern als adäquaten Ausgleich für eine „künstlerische, wertige Gegenleistung“.
Christoph Hell, der als Amateurmusiker selbst eine starke Affinität zur Kultur hat, fühlte sich angesprochen: „Seit einigen Jahren verzichtet unsere Firma auf das Verschicken von Weihnachtskarten und spendet stattdessen für karitative Zwecke“. Hell schlug intern vor, ein Ensemble freier Musiker mit dem Einspielen von Weihnachtsliedern für Mitarbeiter und Mandanten zu beauftragen, und rannte offene Türen ein. Er wandte sich an Strauch, der seinen ehemaligen Studenten, den frei schaffenden Saarlouiser Schlagzeuger Kevin Naßhan, beauftragte, ein Jazz-Quartett
zusammen zu stellen. Und so kam‘s, dass am Sonntag in Dorothée Dunsbachs „Raum für Musik“in der Mainzer Straße, vier Musiker drei jazzige Weihnachts-Standards einspielten und auf Video bannten. Mit Aufnahme und Schnitt war der ebenfalls freiberuflich tätige Keyboarder und Tontechniker Bernhard Wittmann (Blaufabrik Tonstudio) beauftragt.
Die Ergebnisse sollen, so Hell, auf YouTube, Facebook und der Firmen-Homepage veröffentlicht und in der Mailkorrespondenz von Dornbach verlinkt werden. Sängerin Svenja Hinzmann, Pianist Martin Preiser, Kontrabassist Stefan Engelmann und Schlagzeuger Kevin Naßhan bewiesen sich als echte Vollprofis: Ratzfatz waren das swingende „I‘ve Got My Love to Keep Me Warm“und die beiden Balladen „Christmas Time is Here“und „Ah Bleak and Chill the Wintry Wind“im Kasten. Der Auftrag kam höchst willkommen. „Die Leute wissen ja nicht mehr, worauf sie noch hin arbeiten sollen!“, sagt Hell. Kevin Naßhan bestätigt das. Die neue CD seiner BigBand sei demnächst fertig produziert – aber wann und wo vorstellen, wie Gigs abmachen? Streams könnten zwar kein Live-Konzert ersetzen, sagt Svenja Hinzmann, die aktuellen Aufnahmen böten aber die Chance, präsent zu sein.
Strauch wittert eine Chance in der aktuellen Krise. „Die ist ja nicht neu, die bestand ja schon vor Corona“, meint er. Künstler hätten keine Gewerkschaft, keine Lobby, fühlten sich von der Politik im Stich gelassen. Strauch: „Wir müssen daher jetzt als Gesellschaft erkennen, was uns Kultur wert ist!“Und die Kulturschaffenden müssten sich klar werden, wie sie wahrgenommen werden wollten.
Strauch ist nicht der einzige Promi, der öffentlich für weniger privilegierte Kollegen eintritt. Dass Till Brönner, Herbert Grönemeyer, Dieter Hallervorden und Co. die Politik auf Bundesebene momentan quasi vor sich her trieben, entlarvt seiner Ansicht nach die geballte Hilflosigkeit der Regierung. Strauch: „Die Entscheider haben keinen Plan: Sie lassen sich von der öffentlichen Debatte leiten.“
„Wir müssen als Gesellschaft erkennen, was uns Kultur wert ist.“
Oliver Strauch
Jazz-Professor an der HfM Saar