Schwer erträgliches Protokoll eines Chats
Im U-Ausschuss zum Missbrauchs-Skandal am Uni-Klinikum ging es um Reaktionen auf einen verdächtigen Chat. Was unternahm das Saarbrücker Jugendamt?
Als „hochgradig verdächtig“stufte das Saarbrücker Jugendamt 2013 den Chat eines früheren Assistenzarztes mit einem damals Zwölfjährigen ein. Aufgrund eines Rechtsgutachtens setzte es aber nicht alle Hebel in Bewegung.
Dagmar Heib (CDU) fällt an diesem Morgen die schwerste Aufgabe zu. Sie muss einen Chatverlauf vorlesen, der sich ausgedruckt über 36 Seiten zieht. Über eine Stunde dauert es, bis die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Missbrauchsskandal am Universitätsklinikum am Ende angelangt ist. Für die Abgeordneten des Landtages, die Heib zuhören, eine quälend lange Zeit, unterbrochen durch zwei Lüftungspausen.
Denn was Heib im Ausschuss zu Protokoll gibt, ist ein Chat zwischen dem unter Missbrauchsverdacht stehenden Assistenzarzt Matthias S. und einem damals Zwölfjährigen. Das Kind gehörte zu den Patienten einer Spezialambulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums. Der Mediziner suchte vor acht Jahren über Messenger den Kontakt zu dem Jungen. Nach SZ-Informationen soll S. das Kind zunächst auf die Behandlung angesprochen, sich interessiert gezeigt haben an den Fortschritten seines minderjährigen Patienten. Als der sich auf einen längeren Chat einließ, soll S. immer wieder ein privates Treffen bei sich zu Hause ins Spiel gebracht haben.
Bei den Abgeordneten hinterlässt das Gehörte merklich Spuren. Auch wenn die Parlamentarier den Chat bereits aus den Akten kannten. „Es war schwer erträglich zu sehen, wie sich eine Person so an ein Kind heranrobbt, mit welcher Strategie und Perfidität“, sagt die CDU-Abgeordnete Jutta Schmitt-Lang: „Die Wortwahl und die Vorgehensweise waren wirklich sehr bedrückend.“Der SPD-Abgeordnete Jürgen Renner erklärt, das Verlesen des Chats habe deutlich gemacht, wie die „Täterstrategie“angelegt gewesen sei: „Das Heranwanzen an ein Kind, das sich in einer Notlage befindet, eine Familie, die sich insgesamt in einer Notlage befindet – und wie solche Notlagen ausgenutzt werden, um zu seinem Ziel zu kommen.“
Tatsächlich wurde die Familie des Jungen damals durch das Jugendamt im Regionalverband Saarbrücken betreut. Als sich die Mutter des Kindes im Krankenhaus befand, soll sich eine Freundin um den Zwölfjährigen gekümmert haben. Sie soll von dem Chat mit dem Arzt erfahren und sich ans Jugendamt gewandt haben. Die Behörde stufte die Nachrichten als „hochgradig verdächtig“ein, sagt Regionalverbandsdirektor Peter Gillo (SPD) am Dienstag als Zeuge im Ausschuss: „Bei uns gingen da natürlich alle Lichter an.“Das war Mitte April 2013.
Das Jugendamt im Regionalverband schaltete umgehend die Polizei ein, suchte den Austausch mit
Fachleuten. Über den Absender der Nachrichten an das Kind brachte die Behörde einiges in Erfahrung. Schließlich kontaktierte man auch das Jugendamt im Saarpfalz-Kreis. Dort war Matthias S. auch Jugendtrainer in einem Judo-Club. Doch den Arbeitgeber von S., die Uniklinik, setzten die zuständigen Mitarbeiter des Saarbrücker Amtes nicht in Kenntnis. Dokumentiert ist, dass man intern mehrere Monate über diesen Schritt nachdachte. „Es gab hier eine Unsicherheit, ob wir das tatsächlich tun können“, sagt Gillo. Schließlich beauftragte man im September 2013 ein Rechtsgutachten beim Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht. „Das Gutachten hat uns dringend davon abgeraten, das zu tun“, erklärt Petra Spoo-Ludwig, die im Regionalverband für das Jugendamt zuständige Dezernentin als zweite Zeugin.
Doch auf welcher Grundlage entstand das Gutachten, welche Angaben lagen dem Institut vor? Dazu können sich weder Gillo noch Spoo-Ludwig im Detail äußern. Fest steht: Mittlerweile hat das im Missbrauchs-Skandal unter Beschuss stehende Sozialministerium ein Zweitgutachten eingeholt. Darin sollen zwei Jura-Professoren zu dem Ergebnis kommen, dass eine „Information des Arbeitgebers zulässig und geboten“gewesen sei. Das sagte ein Abteilungsleiter aus dem Ministerium den Ausschussmitgliedern bereits im Juni. „Beim Jugendamt sind alle Lichter angegangen, aber man hat nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt“, kritisiert der Linkenpolitiker Dennis Lander. Er spricht am Dienstag von einem „klaren Versagen“der Behörde in Saarbrücken.
„Das Jugendamt hat
nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt.“
Dennis Lander (Linksfraktion)