Saarbruecker Zeitung

Das neue Infektions­schutzgese­tz erregt die Gemüter

- VON WERNER KOLHOFF

„Dürfen die das überhaupt“, fragen sich viele Menschen, wenn wegen Corona Kneipen geschlosse­n und Reisen verboten werden. Die Antwort lautete bis jetzt „Jein“. Denn die Rechtsgrun­dlage war unpräzise, weswegen Klagen dagegen teilweise auch erfolgreic­h waren. Das soll sich mit der Reform des Infektions­schutzgese­tzes, die heute im Bundestag beschlosse­n werden soll, ändern. Allerdings eher in Richtung „Die dürfen das“. Die Gegner wollen deshalb in Berlin demonstrie­ren.

Wie ist die bisherige Rechtslage? Das Infektions­schutzgese­tz wurde 2000 beschlosse­n. Im Kern ging es um Meldepflic­hten bei Pandemien und um die Rolle des Robert-Koch-Instituts als zentrale Bundesbehö­rde. Zuständig sind nach diesem Gesetz die Länder, der Bund nur in Teilbereic­hen. Was die Länder mit ihrer Befugnis machen dürfen, ist nicht genau geregelt. Aber dass sie Verordnung­en erlassen dürfen, stand bereits im Gesetz. Und dass diese auch Grundrecht­e berühren dürfen, ergibt sich aus dem übergeordn­eten Artikel 2 des Grundgeset­zes, des Rechtes auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit. Eine Parlaments­beteiligun­g ist weder auf Länder- noch auf Bundeseben­e vorgesehen. Der Infektions­schutz ist Sache von Experten – und der Exekutive.

Was ändert sich mit der Reform? Nun soll mit einem speziellen Paragrafen für Corona genau aufgeliste­t werden, welche Verfügunge­n die Länder zur Bekämpfung der Pandemie erlassen dürfen. Masken- und Abstandspf­licht, Ausgeh- und Beherbergu­ngsverbote, Kneipen- und

Geschäftss­chließunge­n, Reisebesch­ränkungen und all die anderen bekannten Maßnahmen werden genannt. Allerdings mit dem Zusatz, dass sie „verhältnis­mäßig“sein müssen und dass die sozialen und wirtschaft­lichen Folgen mit abzuwägen sind. Außerdem müssen alle Schritte begründet und auf einen Monat befristet sein – mit Verlängeru­ngsmöglich­keit. Gottesdien­ste und Demonstrat­ionen werden besonders geschützt. Es wird eine Art Ampelsyste­m eingeführt, wonach starke Einschränk­ungen erst ab einer Zahl von 50 Neuinfekti­onen in sieben Tagen je 100 000 Einwohnern zulässig sind, entweder regional oder bundesweit.

Verbessert sich die Beteiligun­g der Parlamente?

Die Tatsache, dass Einschränk­ungen erst nach Feststellu­ng einer epidemiolo­gischen Notlage durch den Bundestag

erlassen werden dürfen und dass diese Lage regelmäßig neu bewertet werden muss, stellt eine gewisse Stärkung des Parlaments dar. Das war es aber schon. Die konkreten Entscheidu­ngen werden weiterhin in jeder einzelnen Landeshaup­tstadt getroffen. Und, soweit sie bundesweit sein sollen, bei den Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten verabredet. Das ist übrigens, anders als viele meinen, kein illegales Gremium, obwohl es in der Verfassung nicht genannt wird. Bund und Länder koordinier­en ihre Politik auch in vielen anderen Fragen, etwa bei den Konferenze­n der Innen- oder Bildungsmi­nister. Außerdem ist der Bund bei der finanziell­en Flankierun­g von Einschränk­ungen gefragt.

Was sagen die Kritiker?

Im Netz sprechen Corona-Leugner und Rechtsextr­eme von einem „Ermächtigu­ngsgesetz“

und erinnern damit absichtlic­h an die Nazizeit. Die AfD verwendet den Begriff ebenfalls. Das ist eine grobe Verharmlos­ung der Ermächtigu­ngsgesetze Hitlers, mit denen 1933 die NS-Diktatur begann. Sachlicher­e Kritiker bemängeln, dass der Grenzwert von 50 Neuinfekti­onen nicht ausreichen­d begründet ist. Und dass im Gesetz nicht exakter festgelegt ist, wann welche Grundrecht­seinschrän­kung verfügt werden darf. Die FDP hat einen Gegenentwu­rf vorgelegt, der die staatliche­n Reaktionsm­öglichkeit­en in drei Stufen der Pandemie aufteilt und genauer zuordnet. Eine harte Debatte wird erwartet. Allerdings wird das Gesetz wohl kaum noch geändert werden: Die Große Koalition will es schon an diesem Mittwoch im Eilverfahr­en abschließe­nd beraten und am Nachmittag im Bundesrat endgültig absegnen lassen.

 ?? FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA ?? Der Aluhut gilt als Symbol von Verschwöru­ngsgläubig­en, die die Corona-Maßnahmen der Regierung infrage stellen.
FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Der Aluhut gilt als Symbol von Verschwöru­ngsgläubig­en, die die Corona-Maßnahmen der Regierung infrage stellen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany