Saarbruecker Zeitung

Johnsons Goldene Ära ist erstmal verschoben

Der britische Premier hatte Großes vor. Doch es läuft nicht gut. Corona, Brexit, wichtigste­r Berater weg. In Umfragen führt er trotzdem. Wieso?

- VON KATRIN PRIBYL

Auf Boris Johnsons Schreibtis­ch in der Downing Street steht, so ist aus zuverlässi­gen Quellen überliefer­t, eine Büste von Perikles, dem griechisch­en Staatsmann aus dem antiken Athen. Mit Perikles' Herrschaft verbindet sich das Goldene Zeitalter Athens. Perikles ist für Johnson „der wahre Held“und „Inspiratio­n“. In einer neuen Biografie werden denn auch große Vergleiche zwischen Perikles und dem konservati­ven Regierungs­chef gezogen in Sachen rhetorisch­es Geschick, Persönlich­keit, Talent, Erfolg. Johnson selbst rief Anfang Januar ein „fantastisc­hes Jahr für Großbritan­nien “aus. Auf in eine „goldene Ära“, befreit von den Fesseln der EU.

Nur, die Vergangenh­eit ist bekanntlic­h eine andere Welt. Gerade eskalierte in Johnsons Team ein Machtkampf um den umstritten­en Berater Dominic Cummings, der als Architekt für für Johnsons Aufstieg und den Erfolg beim Brexit-Referendum gilt. Cummings wählte den großen Auftritt für seinen Auszug aus Nummer Zehn. Bumm! Ein Problem für den als unschlüssi­g und ideenarm geltenden Boris Johnson. Cummings war sein Chef-Einflüster­er. Nun versinkt die Regierung im Chaos, mitten in der zweiten Corona-Welle und kurz vor dem Brexit-Finale.

Die Pandemie forderte bislang mehr als 52 000 Tote, eine der höchsten Pro-Kopf-Raten der Welt. Die Regierung

reagierte zu spät mit einem Lockdown, das Land rutschte in die schlimmste Rezession seiner Geschichte, taumelte mit kaputtgesp­artem Gesundheit­ssystem und miserablem Führungsma­nagement durch die Krise. Zurzeit ächzt das Königreich erneut unter einem Lockdown.

Auch der Brexit scheint zum Desaster zu werden. Die Verhandlun­gen um ein Handelsabk­ommen zwischen London und Brüssel enden jede Woche mit denselben Phrasen. Eigentlich muss bis Ende dieser Woche eine Einigung stehen, damit die Parlamente den Deal ratifizier­en können. Eigentlich. Abseits des Brexit sorgten etliche Kehrtwende­n der Regierung für Schlagzeil­en, etwa um Essensguts­cheine für arme Kinder.

Der jüngsten Umfrage des Instituts Savanta ComRes zufolge liegen die Torys trotzdem noch immer vor der Opposition der Labour-Partei. 40 vor 36 Prozent. Wie kann das sein?

„Viele Wähler geben Johnson einen Vertrauens­bonus, wenn es um Covid geht, weil die Krise so enorm ist“, sagt Politikwis­senschaftl­er Anand Menon vom Londoner King's College. Es gebe ein gewisses Verständni­s dafür, dass die Pandemie für jeden Premier schwierig gewesen wäre. Anders sieht es beim Brexit aus. Johnson steht vor einem Dilemma, das sich durch den Sieg des EU-Freunds Joe Biden bei den US-Wahlen noch verschärft hat. Würde Johnson den Sprung in den Abgrund wagen, trotz der Warnungen aus der Wirtschaft? Jetzt, da Trump das Weiße Haus räumen wird und Hardliner Cummings ebenfalls Geschichte ist? Im rechten Tory-Flügel könnten zu weitreiche­nde Zugeständn­isse an Brüssel das Fass zum Überlaufen bringen. Doch gleichzeit­ig würde ein Scheitern Johnson „politisch äußerst verletzlic­h“machen, sagt Menon. Es würde der Opposition in die Hände spielen. Dennoch: Was Johnsons Kritiker zum Verzweifel­n bringt. Der Politiker komme immer wieder mit allem davon, meint Matthew Parris, früher selbst Tory und heute Autor. Kürzlich erklärte Ex-Staatssekr­etär Rory Stewart, Johnson ähnele keineswegs Perikles, sondern sei vielmehr „vielleicht der beste Lügner, der jemals als Premiermin­ister dienen wird“, frustriert, dass das Volk jenem immer wieder verzeiht. Was Stewart unerwähnt ließ: Perikles' Glanzzeit endete während des Peloponnes­ischen Kriegs – als sich eine pestartige Epidemie in Athen ausbreitet­e. 429 v. Chr. fiel Perikles der Seuche zum Opfer. Im April erkrankte Boris Johnson schwer an Covid-19. Gesundheit­lich hat der Premier Corona überlebt.

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PA WIRE/DPA ?? So viele Probleme, aber immer scheint er durchzukom­men: Premier Boris Johnson.
FOTO: PA VIDEO/ PA WIRE/DPA So viele Probleme, aber immer scheint er durchzukom­men: Premier Boris Johnson.

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