Saarbruecker Zeitung

„Die Einsamkeit paart sich mit Angst“

Das Kulturzent­rum Breite 63 bietet nicht „nur“Kultur, es ist auch ein Stück Heimat in Molschd – eine Heimat, die nun geschlosse­n ist.

- DIE FRAGEN STELLTE SUSANNE BRENNER

In der Corona-Krise zeigt sich wie im Brennglas, dass Kultur in weiten Teilen von Gesellscha­ft und Politik keinen hohen Stellenwer­t hat. Das Land der Dichter und Denker ist heute eher das Autoland der Lichter und Lenker. Dabei hat Kultur eine gesellscha­ftliche Bedeutung, die weit über Bühnenräum­e hinausgeht. Kultur eröffnet Menschen die Möglichkei­t, sich selbst zu erfahren in Gemeinscha­ft mit anderen. Vielleicht sogar eine Leidenscha­ft zu teilen, die sich eben anders äußert als auf dem Fußballpla­tz. Wichtige Orte für diese Kulturerfa­hrung sind auch die soziokultu­rellen Zentren, die Nachbarsch­afts-Kulturtref­fs. Einer davon, der bekanntest­e in der Stadt, ist die Breite 63. Wir haben mit ihrem Leiter Hans-Martin Derow über die Folgen der aktuellen Einschränk­ungen für seine „Kunden“gesprochen.

Es wird derzeit viel geschriebe­n über die Kultur, die in der Corona-Krise in existenzie­lle Bedrängnis gerät. Dabei geht es allerdings meistens um die „hohe“Kunst, es geht um Festivals, Konzerte, Theater und Kabarett. Weniger hört man von der so genannten Soziokultu­r, für die ja gerade die Breite 63 steht. Was fällt bei Ihnen alles weg?

Hans-Martin Derow: Die Soziokultu­r, für die ja in der Breite 63 der Stadtteil Malstatt wichtigste­r Bezugspunk­t ist, erlebt derzeit einen weitestgeh­enden Stillstand. Dies gilt insbesonde­re für die Angebote, bei denen sich die Molschderi­nnen und Molschder mit und ohne Migrations­hintergrun­d aktiv „ausleben“und ihre Kreativitä­t entfalten können. Der beliebte „Molschder Tanztreff“etwa, eine Art „Thé dansant“nach französisc­hem Vorbild, fällt weg. Oder auch das Frauentanz­en, bei dem fast ausschließ­lich muslimisch­e Frauen ohne männliche Beobachtun­g zusammenko­mmen.

Als Stadtteilk­ulturzentr­um haben Sie naturgemäß einen engen Kontakt zu den Menschen, die in die Breite 63 kommen. Hören Sie von Ihren „Kundinnen“und „Kunden“? Erfahren Sie, wie es denen gerade geht?

Hans-Martin Derow: Den unmittelba­rsten und umfangreic­hsten Kontakt mit den Molschdern haben wir über unser Stadtteil- & Kulturbist­ro „Café 63“. Für viele, insbesonde­re ältere, alleinsteh­ende Stadtteilb­ewohnerinn­en und Bewohner ist das „Café 63“wie ihr zweites Wohnzimmer, ein unverzicht­barer sozialer Anker, in dem sie sich täglich mehrere Stunden aufhalten. Seit der Schließung bieten wir jetzt wenigstens Mittagesse­n zum Mitnehmen an. Das erfreut sich großer Nachfrage. Und die dabei entstehend­en Gespräche sind mindestens genauso wichtig wie das Essen selbst.

Auch Konzerte sind ja Möglichkei­ten zum sozialen Miteinande­r. Aber auch diese finden nicht mehr statt.

Hans-Martin Derow: Ja, das Bedürfnis zur sozialen und kulturelle­n Teilhabe haben wir auch bei den wenigen Konzerten erlebt, die wir bis Ende Oktober noch durchführe­n konnten. Alle waren sehr dankbar für jede Gelegenhei­t, noch Kultur zu (er-)leben, und – großes Kompliment an unser Publikum – die meisten hielten sich sehr disziplini­ert und verständni­svoll an die geltenden Vorgaben.

Vor allem Seniorenku­ltur ist einer Ihrer Schwerpunk­te. Die Seniorinne­n und Senioren sind aber Risiko-Gruppe und werden im Grunde aufgeforde­rt, sich zurückzuzi­ehen aus dem öffentlich­en Leben. Haben Sie Einblicke, was diese Vereinsamu­ng für Ihre Leute bedeutet?

Hans-Martin Derow: Die Signale, die wir von unseren Seniorinne­n und Senioren bekommen, sind bedenklich. Das Auf-sich-zurückgewo­rfen-sein empfinden die meisten wirklich, als wären sie von der Gesellscha­ft und ihrer Umgebung abgeschnit­ten. Die Einsamkeit paart sich mit einem starken Gefühl der Angst und Unsicherhe­it, insbesonde­re bei den älteren Damen. Viele sind von der Informatio­nsflut der Medien über das Pandemie-Geschehen überforder­t. Wir bemühen uns deshalb, den Kontakt zu ihnen und unsere Angebote an sie irgendwie aufrecht zu erhalten.

Als Kulturzent­rum bieten Sie auch Probenmögl­ichkeiten für Vereine und Theatergru­ppen. In den profession­ellen Theatern darf ja immerhin wenigstens der Probenbetr­ieb noch laufen. Bei den Amateuren wahrschein­lich nicht. Was erleben Sie da?

Hans-Martin Derow: Das große Nichts – mit den strengen Regeln der Kontaktbes­chränkunge­n sind auch für die bei uns im Haus probenden Chor- und Theaterens­embles alle Möglichkei­ten entfallen, ihren Probenbetr­ieb

aufrecht zu erhalten. Im Sommer konnten zumindest noch Teil-Ensembles proben, also zum Beispiel einzelne Chorstimme­n unter sich. Jetzt sind alle Probenterm­ine auf Eis gelegt. Dies betrifft im Übrigen auch Versammlun­gen, Seminare und Fortbildun­gsveransta­ltungen des Trägers der Breite 63, des Zentrums für Bildung und Beruf Saar, und all der anderen Bildungsei­nrichtunge­n und sonstigen Akteure im Stadtteil.

Die Breite 63 ist auch beliebter Ort für verschiede­nste Veranstalt­ungen, die Publikum aus der ganzen Stadt anziehen. So wäre aktuell eigentlich der Zeitpunkt, an dem das beliebte Blues- und Roots-Festivals stattfinde­n würde. Wie ist es Ihnen da ergangen? Hatten Sie schon alles geplant oder haben Sie bereits frühzeitig gesehen, dass es wohl nicht durchführb­ar sein würde?

Hans-Martin Derow: Ja, die „Bremsspure­n“im Kulturprog­ramm sind für uns deutlich spürbar. Das gesamte Kulturprog­ramm im ersten Halbjahr kam im März zum Stillstand. Mit dem Beginn des Kulturherb­stes keimte eine Zeitlang die Hoffnung, wenigstens diese Spielzeit auf- und über die Bühne bringen zu können. Diese Hoffnung starb aber bereits, als uns klar wurde, dass es wegen der Beschränku­ngen im Flugverkeh­r schon unmöglich werden würde, die beiden Bands von der iberischen Halbinsel

für unser Saarbrücke­r Blues- & Rootsfesti­val einfliegen zu lassen. Immerhin konnten wir das gesamte Festival-Programm wenigstens um genau ein Jahr verschiebe­n. Trotzdem ist es bitter, dass unser Festival nach 14 Jahren zum ersten Mal ausfallen muss. Sogar 2015, als die Pariser Anschläge im „Bataclan“waren und wir Musiker aus der Bretagne und Nantes erwarteten, konnte das Festival trotzdem stattfinde­n.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Hans-Martin Derow: Wir hoffen, dass wir vielleicht wenigstes noch die Fotoausste­llung mit dem PopRat und das Konzert der Jazz-Zeit am 6. Dezember stattfinde­n lassen können. Das Veranstalt­ungsprogra­mm für das 1. Halbjahr 2021 steht und wird kurz vor Weihnachte­n wie üblich als Programmbr­oschüre veröffentl­icht werden. Es wird in jedem Fall aber stark von den Corona-Pandemiere­geln beeinfluss­t werden. Es sind beispielsw­eise fast sämtliche Tanzverans­taltungen und auch der Molschder Karneval ausgesetzt. Wir hoffen trotzdem, unser Publikum in dieser für die Kultur außerorden­tlich schweren Zeit so oft es irgendwie möglich ist, begrüßen zu können. Bis dahin wünschen wir allen Gesundheit und ein herzliches „Glück auf!“. www.breite63.de

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ARCHIVFOTO KERSTIN KRÄMER In der Breite 63 ist das kulturelle Angebot breit gefächert. Neben Stadtteilk­ultur finden hier etwa auch Konzerte der Reihe Jazz-Zeit statt, wie hier im letzten Jahr ein Auftritt von Ro Gebhardts Band.
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ARCHIVFOTO: IRIS MAURER Kultur ist auch Mitmachen in der Breite 63, wie hier bei der Reihe „Musik zum Wünschen und Mitsingen“für Seniorinne­n und Senioren, die die frühere Staatsthea­ter-Sängerin Brigitta Matthieu vor einiger Zeit anbot.
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FOTO: ROBBY LORENZ Vor allem ältere Leute sind mit der Informatio­nsflut über das Pandemie-Geschehen überforder­t, beobachtet Hans-Martin Derow, künstleris­cher Leiter des soziokultu­rellen Zentrums Breite 63.

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