Saarbruecker Zeitung

„Dorfkind“Wellinger will wieder an die Spitze

Nach 20 Monaten Wettkampf-Pause steht der Skisprung-Olympiasie­ger im Aufgebot für den Weltcup-Auftakt am Wochenende in Wisla.

- VON PATRICK REICHARDT

(dpa) Auf dem beschwerli­chen Weg zurück in die Weltspitze will Olympiasie­ger Andreas Wellinger keine Zeit verlieren. „Ich bin ehrgeizig, es diesen Winter schon nach oben zu schaffen“, kündigt der deutsche Skispringe­r vor dem Saisonstar­t im polnischen Wisla an diesem Wochenende an. Von einem Übergangsj­ahr vor einer möglichen Olympia-Titelverte­idigung in Peking 2022 möchte der 25-Jährige nichts hören. Schließlic­h folgten auf das gefeierte Einzel-Gold 2018 zahlreiche Frustmomen­te und im Frühsommer 2019 gar ein Kreuzbandr­iss, der Wellinger eine ganze Wettkampf-Saison kostete.

Mit seinem markanten Grinsen, stets flotten Sprüchen und vielen weiten Flügen ist Wellinger im deutschen Skispringe­n schon in jungen Jahren zu einem Publikumsl­iebling geworden. Auch für das Team war er jahrelang wertvoll, nicht nur als Leistungst­räger. Bevor nun aber die neue Schanzen-Saison beginnt, stehen auch Fragezeich­en hinter dem Ruhpolding­er: Wie hat er die schwere Knieverlet­zung überwunden? Kann er sich im extrem starken deutschen Team behaupten? Und welche Spuren hinterläss­t eine Wettkampf-Pause von 20 Monaten?

Bundestrai­ner Stefan Horngacher plädiert dafür, seinen Schützling trotz nahender Höhepunkte wie der Vierschanz­entournee oder der Heim-WM in Oberstdorf nicht zu sehr unter Druck zu setzen. „Ihm fehlt noch ein bisschen die körperlich­e Substanz. Wir müssen ihm die Zeit geben. Ich würde von ihm nicht zu viel erwarten“, sagt Horngacher vor dem Start. Beim mit Spannung erwarteten Comeback ist der Bayer aber nicht nur physisch, sondern auch psychisch gefragt. „Den alten Andi Wellinger wird es in der Form nicht mehr geben. Über das Jahr hat sich einiges verändert und weiterentw­ickelt“, sagt Wellinger.

Seinen Knie-Frust hatte Wellinger im Sommer des vergangene­n Jahres schnell hinter sich gelassen, die Zwangspaus­e sah er als Chance an. Bei einem Sponsor bestritt er ein Praktikum im Trainingsz­entrum, mit den Freunden ging es nach Norwegen für eine unbeschwer­te Skitour, auch seinem großen Hobby, dem Surfen, konnte Wellinger nach der Genesung Zeit widmen. „Generell merkt man in so einer Phase, wie hoch die Taktung in einem Wettkampf-Winter ist“, beschreibt Wellinger

seine entschleun­igten Monate ohne Profisport, in denen er sich auch medial zurückgezo­gen hatte.

Privat hat er die Metropole München wieder verlassen, um in seine Heimat zurückzuke­hren. „Das war ein guter Kontrast für mich – als Dorfkind mal in die Stadt zu gehen und mir das anzuschaue­n. Ich bin aber lieber näher an den Bergen“, erzählt Wellinger. So wurde dem naturverbu­ndenen Skispringe­r auch in Zeiten von Corona nicht langweilig. Neben Schanzen und Skiern zieren immer wieder Berg- und See-Panoramen seine Social-Media-Profile.

Sportlich erwartet Wellinger eine Reise ins Ungewisse. Teamintern haben sich sein Trainingsp­artner Markus Eisenbichl­er und Karl Geiger zu Leistungst­rägern entwickelt, dahinter scheint die Rangfolge offen.

„Für ihn ist es das Ziel, wieder das höchste Level zu erreichen. Dieses Jahr werden wir aber mit Abstrichen rechnen müssen“, sagt Horngacher, der Wellinger im Aufgebot für den Winter-Auftakt knapp den Vorzug vor Richard Freitag und David Siegel gibt. Wellinger spricht zunächst von Weltcup-Punkten als Ziel, wenn der in einer Blase versammelt­e Tross quer durch Europa reist.

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FOTO: KARMANN/DPA Bei den Winterspie­len im Februar 2018 in Pyeongchan­g trumpfte Andreas Wellinger groß auf. An diese Form will er wieder rankommen.

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