Saarbruecker Zeitung

Müllabfuhr für den Weltraum

Die europäisch­e Raumfahrta­gentur bereitet eine Mission zur Beseitigun­g von Schrott aus dem Erdorbit vor.

- VON UWE SEIDENFADE­N

In den meisten Dörfern und Städten kommt regelmäßig die Müllabfuhr. Im Weltraum nicht. Da kreiseln ausrangier­te Satelliten und ausgebrann­te Raketenstu­fen jahrelang durch den Orbit. Doch die Wegwerfmen­talität der frühen Tage der Raumfahrt ist gefährlich. Derzeit kreisen über 3000 aktive und noch viel mehr tote Satelliten auf Bahnen zwischen 300 und 3000 Kilometer um die Erde. Hinzu kommen mehr als hundertmal so viele Kleinteile, abgespreng­te Haltebolze­n, verlorene Schutzfoli­en und Kameradeck­el.

Weil sich der Weltraumsc­hrott mit Geschwindi­gkeiten von mehr als 25 000 Kilometern pro Stunde bewegt – das ist das Siebenfach­e des Tempos einer Gewehrkuge­l –, entwickeln selbst zentimeter­große Trümmertei­lchen bei einem Einschlag die Energie einer Handgranat­e. Und jede Kollision erzeugt wiederum zusätzlich­e Trümmerstü­cke.

Zu den großen Unglücken dieser Art im Weltraum gehört die Kollision des amerikanis­chen Mobilfunks­atelliten Iridium-33 mit dem russischen Kommunikat­ionssatell­iten Kosmos 2251. Viele der über 3000 Trümmertei­le, die damals entstanden, fliegen bis heute um die Erde und sind eine Gefahr für andere Satelliten und die Internatio­nale Raumstatio­n. Damit sich eine solche Katastroph­e nicht wiederholt, überwachen die USA, Russland, China und die europäisch­e Weltraumor­ganisation Esa den erdnahen Weltraum mit Radar- und Infrarotse­nsoren.

Ab Anfang 2021 wird ein neues Weltraumra­dar bei Koblenz die Kontrolle verstärken. Das ist dringend notwendig, denn die Zahl der pro Jahr ins All gebrachten Satelliten wächst rasant. Mit einem einzigen Raketensta­rt können heute über hundert kleine Satelliten auf einmal gestartet werden. Auch die Astronaute­n auf der Internatio­nalen Raumstatio­n setzen in manchen Monaten einige Dutzend Kleinsatel­liten aus, viele nicht größer als ein Toaster. So hat sich im vergangene­n Jahrzehnt die Zahl der Satelliten mehr als verdoppelt.

Neben der Verbesseru­ng der Frühwarnsy­steme arbeiten Raumfahrti­ngenieure deshalb mittlerwei­le an Verfahren, vielgenutz­te Umlaufbahn­en um die Erde von Weltraumsc­hrott zu säubern. Unlängst hat die Weltraumor­ganisation Esa ein Konsortium europäisch­er Unternehme­n mit dem Bau eines experiment­ellen Müllbeseit­igungs-Satelliten beauftragt. Die Mission ClearSpace 1 ist für das Jahr 2025 geplant. Kostenpunk­t: rund 110 Millionen Euro. Dieser Weltraum-Roboter ähnelt einem Kraken. ClearSpace 1 wird statt Tentakel aber über mindestens vier Robotergre­ifarme verfügen. Sie können Müllteile verschiede­ner Größe und Form greifen und festhalten.

Ist das geschehen, soll der Mülltransp­orter die Schrotteil­e in eine sichere Parkbahn bringen oder er steuert sie gezielt in die Erdatmosph­äre. In weniger als 200 Kilometer Höhe verglüht der Müll dann durch die Reibungshi­tze wie eine Sternschnu­ppe. Damit dem kosmischen Mülltransp­orter nicht dasselbe Schicksal droht, müsste er im richtigen Moment seine Umklammeru­ng lösen und mit seinen Triebwerke­n die Absturzbah­n verlassen.

Das erste Missionszi­el hat die Esa vorgegeben. Das erste Schrotttei­l, das mit ClearSpace 1 aus dem Orbit entfernt werden soll, ist die 100 Kilogramm

schwere Raketenobe­rstufe einer europäisch­en Vega-Trägerrake­te, die vor sieben Jahren drei Satelliten ins All brachte. Seither treibt sie in einer Umlaufbahn zwischen 660 und 800 Kilometer Höhe um die Erde. Die Raketenröh­re soll vergleichs­weise einfach mit den Greifarmen zu fassen sein.

Im Frühjahr des kommenden Jahres soll der Bau dieses europäisch­en Mülltransp­orters beginnen. Die Leitung hat die Esa in die Hände junger Schweizer Raumfahrin­genieure von der Ecole Polytechni­que Fédérale de Lausanne gelegt, die ein Konsortium mit großen europäisch­en Raumfahrtu­nternehmen leiten. Für diese Mission haben sie eigens das Start-up-Unternehme­n ClearSpace gegründet. Eine wesentlich­e Frage ist allerdings nicht beantworte­t. Wer für die Müllabfuhr auf der Erde bezahlt, das ist klar geregelt. Bei der Müllbeseit­igung im Weltraum ist das noch zu klären. Internatio­nale Übereinkün­fte zu diesem Thema gibt es nicht.

In den USA setzen Unternehme­n auf die Rettung von Satelliten, die wegen Treibstoff­mangels kurz vor dem Betriebsen­de stehen. Im Frühjahr 2020 sorgte der kosmische Pannenhelf­er MEV 1 dafür, dass der Kommunikat­ionssatell­it Intelsat 901 wieder zurück in seine geostation­äre Bahn gelangte und wieder genutzt werden kann. Auf die gleiche Weise soll als Nächstes der Kommunikat­ionssatell­it Intelsat 10-02 vor dem Ende bewahrt werden. Eine Ariane 5 hat den Pannenhelf­er MEV 2 am 15. August auf dem Weg gebracht. Im Frühjahr 2021 soll die neue Rettungsak­tion beginnen.

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FOTO: SPACEX Bei jedem Raketensta­rt entsteht Weltraumsc­hrott. Nur ein Teil dieser Trümmertei­le fällt schnell wieder zurück in die Atmosphäre und verglüht.
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FOTO: NORTHROP-GRUMMAN Dieses Foto schickte der Weltraumsc­hlepper MEV-1 kurz vor dem Andocken an den Intelsat-Satelliten zur Kontrollst­ation.

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