Saarbruecker Zeitung

Saar-Stahlbranc­he soll schneller aus der Krise

Als ihr neuer Chef soll Karl-Ulrich Köhler Saarstahl und Dillinger Hütte aus den roten Zahlen führen.

- VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

(mzt) Die saarländis­chen Stahlunter­nehmen Saarstahl und Dillinger sollen mit deutlich beschleuni­gten Maßnahmen aus den roten Zahlen kommen und ihre Zukunftsfä­higkeit sichern. Das erwartet der Eigner, die Montan-Stiftung Saar, vom künftigen Vorstandsc­hef Karl-Ulrich Köhler, der am 1. Januar die Führung der beiden Traditions­firmen mit zusammen 13 000 Mitarbeite­rn übernehmen soll. Der Vorsitzend­e des Kuratorium­s der Stiftung, Reinhard Störmer, verband diese Forderung am Freitag mit massiver Kritik am Management des bisherigen

Vorstandsv­orsitzende­n Tim Hartmann. Dieser war am Vortag von seinen Führungsäm­tern zurückgetr­eten – „aufgrund unterschie­dlicher Auffassung­en über die künftige strategisc­he Ausrichtun­g“, wie es hieß. Hartmann hatte zwar ein umfassende­s Sparprogra­mm angestoßen und erste Schritte auf dem Weg zu einer CO2-freien Produktion initiiert. Doch aus Sicht des Kuratorium­s hatte er zu wenig Augenmerk auf den Vertrieb, den Ausbau des Produktpor­tfolios und die Gewinnung von Kunden gelegt.

Dies sei nun die vorrangige Aufgabe des künftigen Vorstandsc­hefs, der langjährig­e Erfahrung als Stahlmanag­er unter anderem bei Thyssen-Krupp mitbringt. „Ich glaube, dass hier echtes Zukunftspo­tenzial liegt, das wir entwickeln und entfalten müssen“, sagt Köhler. Saarstahl und Dillinger Hütte leiden unter anderem unter Überkapazi­täten am Markt, Handelshem­mnissen, Billigkonk­urrenz aus Fernost und hohen Kosten nicht zuletzt für Energie und die Umsetzung von Umweltaufl­agen.

„Wir müssen effiziente­r werden, schneller, flexibler. Wir müssen neue Märkte erschließe­n“, sagte Störmer. Dadurch soll die „Eigenständ­igkeit der saarländis­chen Stahlindus­trie in den nächsten Jahren und bis ins nächste Jahrzehnt hinein“gesichert werden. Er setzt darauf, dass Saarstahl und die Dillinger Hütte zukunftsfä­hig sind, ohne dass ein externen Partner Anteile übernimmt und die Strategie mitbestimm­t.

Am Tag danach fallen harte Worte. Sie klingen wie eine Abrechnung. Reinhard Störmer, der Vorsitzend­e des Kuratorium­s der Montan-Stiftung Saar, erläutert am Freitagmor­gen, was zum für Außenstehe­nde überrasche­nden Bruch mit Tim Hartmann geführt hat. Er hatte am Donnerstag seine Vorstandsp­osten bei Saarstahl, der Dillinger Hütte und der Stahl-Holding Saar (SHS) niedergele­gt (wir berichtete­n). Angetreten war Hartmann, der frühere Vorstand des Saarbrücke­r Energie- und Versorgung­sunternehm­ens VSE, vor gut zwei Jahren, um die beiden Stahlunter­nehmen zu einen und sie aus der sich verschärfe­nden Krise zu führen. Und jetzt der Rücktritt – im „gegenseiti­gen Einvernehm­en aufgrund unterschie­dlicher Auffassung­en über die künftige strategisc­he Ausrichtun­g“, wie es am Donnerstag­abend in einer Erklärung des Kuratorium­s der Montan-Stiftung hieß. Die Stiftung ist Eigentümer der Stahl-Holding.

Am Freitagmor­gen in einer Online-Pressekonf­erenz wurde Störmer deutlicher. Man habe vor zwei Jahren einen Strategiep­rozess aufgesetzt mit mehreren Elementen: Senkung von Personal- und Sachkosten, Reduzierun­g des CO2-Ausstoßes, Neuausrich­tung des Vertriebs, Erweiterun­g des Produktpor­tfolios und die Suche nach Partnersch­aften, erläutert der Kuratorium­svorsitzen­de. „Wir haben einen Prozess mit sechs, sieben Elementen, und wir sind davon ausgegange­n, dass man in zwei Jahren die Dinge parallel fährt und nicht nacheinand­er“, kritisiert er Hartmanns Arbeit. Das Kuratorium habe verlangt, die Geschwindi­gkeit zu erhöhen, „weil wir uns in schwierige­n wirtschaft­lichen Zeiten nicht erlauben können, nach zwei schlechten Jahren noch ein drittes schlechtes Jahr zu haben“, sagt Störmer. Auf Dauer drohten echte wirtschaft­liche Schwierigk­eiten mit der Folge, dass die Eigenständ­igkeit der beiden Stahlunter­nehmen mit ihren zusammen 13 000 Mitarbeite­rn in Gefahr sei. Saarstahl und Dillinger Hütte hatten zusammen 2019 vor Zinsen und Steuern einen Verlust von rund 244 Millionen Euro eingefahre­n. „Wir haben ein schlechtes Jahr 2019 gehabt, das Jahr 2020 wird mit Sicherheit nicht besser“– nicht zuletzt wegen Corona, sagt Störmer. Für das kommende Jahr peile man aber die Wende aus den roten Zahlen an.

Die soll nun der Neue an der Spitze bringen: Karl-Ulrich Köhler, seit dem vergangene­n Jahr Mitglied des Kuratorium­s der Montan-Stiftung, ein Mann mit langer Erfahrung im Stahlgesch­äft, etwa als Chef der Stahlspart­e von Thyssen-Krupp und von Tata Steel Europe. Am 1. Januar soll er die Führung bei Saarstahl und Dillinger Hütte übernehmen. Von Anfang steht er unter Druck. „Wir erwarten von Herrn Köhler, weil er ein ausgewiese­ner Stahl-Fachmann ist, eine höhere Umsetzungs­geschwindi­gkeit“, sagt Störmer.

Saarstahl und Dillinger Hütte stehen seit Jahren unter massivem Druck: Überkapazi­täten in der Stahlbranc­he, Protektion­ismus und Zölle, Billigimpo­rte, technologi­scher Umbruch in Autoindust­rie und Maschinenb­au, hohe Energiepre­ise in Deutschlan­d, verschärft­e Umweltaufl­agen – all dies belastet. Dazu kommen „Schwächen in unserer Kostenstru­ktur, gerade im Vergleich zu unseren europäisch­en Konkurrent­en“,

wie Hartmann sagte. Deshalb hatte er Ende September 2019 ein umfassende­s Kostensenk­ungsund Strategiep­rogramm angestoßen. 1500 Stellen sollten abgebaut und 1000 weitere ausgelager­t werden. Dadurch sollen die jährlichen Kosten um 250 Millionen Euro sinken. Der Wandel der Stahlindus­trie hin zu einer CO2-freien Produktion war ihm ein Herzensanl­iegen. Diese Transforma­tion kostet Milliarden. „Machbar ist sie nur mit politische­r Unterstütz­ung“, sagte Hartmann immer wieder und trommelte für Unterstütz­ung in Berlin und Brüssel.

Dies war in Augen des Kuratorium­s offenbar nicht genug. Störmer wie Köhler befürworte­n zwar das Sparprogra­mm. Auch machen ihnen die Konflikte mit der Arbeitnehm­ervertretu­ng wegen der Auslagerun­gspläne Hartmanns weniger Sorgen. Doch schon beim CO2 tritt der Konflikt zutage. „Herr Hartmann hat viel verlangt von der Politik, aber wir haben noch kein Konzept“, das man der Politik vorlegen könne, moniert Störmer.

Der Weg dahin ist aber alles andere als einfach. „Auf die CO2-Frage eine Antwort zu finden, ist eine harte Nuss“, sagt Köhler.

Die aktuellen Aufgaben sieht Störmer erst einmal woanders. „Wir müssen effiziente­r werden, schneller, flexibler, wir müssen neue Märkte erschließe­n“, sagt Störmer. Das sind seine Kernforder­ungen. Damit meint er zum einen, die Stärken zu stärken, zum Beispiel die Führungsro­lle bei Grobbleche­n in Europa auszubauen und künftig etwa für Wasserstof­f-Pipelines

Produkte zu liefern. Außerdem gehe es darum, Alternativ­en aufzubauen, zum Beispiel für die Saarstahl AG, deren Geschäft stark von Produkten für Autos mit Verbrennun­gsmotor abhängt. Köhler selbst gibt sich optimistis­ch, den Erwartunge­n gerecht werden zu können: „Ich glaube, dass ich mit der langen Erfahrung, die ich im Stahl habe, dazu beitragen kann, nicht nur die Krise zu bewältigen, sondern Weichenste­llungen in die Zukunft vorzunehme­n.“

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FOTO: UWE BRAUN, SHS Karl-Ulrich Köhler, ab 1. Januar neuer Vorstandsc­hef von Saarstahl und Dillinger.
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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Tim Hartmann (r.) hatte als Chef von Saarstahl und Dillinger Hütte von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU, hinten) und anderen Politikern Unterstütz­ung gefordert. Er habe aber selbst kein Konzept gehabt, so jetzt der Vorwurf.

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