Fußballer siegt gegen Klinik nach Amputation
Stefan Schmidt erhält vor dem Saarbrücker Landgericht vollumfänglich Recht – aber keine Millionen. Warum?
Das Evangelische Krankenhaus in Saarbrücken muss Stefan Schmidt Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen. Der Amateur-Fußballer hatte die Klinik wegen Behandlungsfehlern verklagt, die zu seiner Beinamputation geführt hatten.
Es ist nicht alltäglich, wenn bei einem Routine-Eingriff offensichtlich gleich zwei Kliniken versagen, und ein junger Amateurfußballer dadurch sein Bein verliert. Mehr als drei Jahre nach einem Kreisliga-Unfall, der zu einer Unterschenkel-Amputation führte, beglaubigt nun ein Landgerichtsurteil die Darstellung des aus St. Arnual stammenden Stefan Schmidt (26). Der hatte mehreren Ärzten im Evangelischen Krankenhaus Saarbrücken grobe Behandlungsfehler vorgeworfen und auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von über vier Millionen Euro geklagt. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen, auch weil Schmidt wieder mit Krücken auf dem Platz steht, in der deutschen Amputierten-Nationalelf. Am Freitag erging ein Urteil, in dem das Evangelische Krankenhaus (EKH) als „Gesamtschuldner“bezeichnet und dazu verpflichtet wird „sämtliche künftigen immateriellen (s..) sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen“. Im Urteil heißt es wörtlich: „Die Durchführung der Operation und die postoperative Betreuung waren behandlungsfehlerhaft.“Nicht geklärt wird im Urteil die Frage, inwieweit auch dem Klinikum Saarbrücken Behandlungsfehler nachzuweisen sind. Denn dorthin wurde Schmidt nach der fehl geschlagenen Behandlung im EKH verlegt, auf dem Winterberg erfolgte die Amputation. Deshalb zog das Evangelische Krankenhaus die Nachbar-Klinik in das Verfahren hinein.
Was bedeutet nun der gestrige Richterspruch? Dass jede Sonder-Prothese und jede Behandlung, die die Krankenkasse nicht übernimmt, vom Träger der Klinik, der Diakonie, beziehungsweise von deren Versicherer, bezahlt werden muss - bis an Schmidts Lebensende. Das dürfte in Summe in die Millionen gehen. Außerdem wurde das von Schmidt geforderte Schmerzensgeld in Höhe von 100 000 Euro zu 100 Prozent anerkannt. Als „vollunfänglichen Sieg“sieht dies Schmidts Anwalt Marc Herbert.
Doch wie wird Schmidt das Urteil aufnehmen? Der junge Vater und Sportler wollte eigentlich etwas anderes: eine Einmalzahlung von vier Millionen Euro, durch die das Klinikum alle Schadens-Ansprüche hätte abgelten sollen. Er wolle mit der schlimmen Sache abschließen und nicht jede Einzelforderung mit der Klinik verhandeln, sagte Schmidt der SZ bei einem Gerichtstermin im August. Doch genau diese Wunsch-Lösung taucht im gestern verkündeten Urteil der 16. Zivilkammer nicht auf. „Das Schadensrecht sieht eine solche Einmalabgeltung als einklagbaren Anspruch nicht vor“, so erklärt das Rechtsanwalt Herbert. Eine Einmalzahlung lasse sich nur durch einen Vergleich erzielen. Dieser Versuch sei im Vorfeld der Urteilsverkündung gescheitert. Doch Vergleiche für Einmalzahlungen können jederzeit getroffen werden, sprich auch noch nach Jahren, wenn die Schuldfrage zwischen den Kliniken womöglich vor Gericht geklärt wurde. Wobei der Rechtsanwalt Skepsis äußert, ob das von Schmidt angestrebte Modell, vier Millionen sofort zu bekommen, das beste für einen so jungen Mann ist: „Emotional ist das Bedürfnis nachvollziehbar.“Doch sollten die Folgekosten höher liegen, dann wäre eine Einmalabgeltung nachteilig, findet der Anwalt.
Das EKH kann gegen das Urteil in Berufung gehen. Wenn nicht, fließen bald schon 100 000 Euro an Schmidt.
„Zudem ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass ein besonderer Grad des Verschuldens vorliegt.“
Aus dem Landgerichtsurteil von
Inge Graj
Der arbeitete vor dem Unfall als Lebensmittelfachverkäufer, wurde arbeitslos. Der Vater einer dreijährigen Tochter hatte zudem die Trennung von seiner Partnerin zu verkraften. Zur Höhe des Schmerzensgeldes liest man im Urteil von Inge Graj Aufschlussreiches. Das Schmerzensgeld
trage dem Gedanken Rechnung, „dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung“schulde. Im vorliegenden Fall habe der Kläger jedoch ein Klageverfahren anstrengen müssen, in dem zwei Gutachten zur Klärung der Haftungsfrage eingeholt werden mussten. „In dieser Zeit erfolgte keinerlei Abschlagszahlung durch die Beklagtenseite. Dies ist im vorliegenden Fall schmerzensgelderhöhend zu würdigen.“Zudem sieht das Gericht generell einen „besonderen Grad des Verschuldens“seitens der Klinik.