Saarbruecker Zeitung

Es geht um viel mehr als nur um die Wirtschaft

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Das Bild der tickenden Uhr wurde in den Brexit-Dramen der vergangene­n Jahre so häufig bemüht, dass es ausgeschöp­ft erscheint. Dabei passt es zurzeit mehr denn je. Die ultimative Deadline ist am 31. Dezember. Dann läuft die Übergangsp­hase aus, in der wirtschaft­lich de facto alles gleich blieb in der Beziehung zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU. Was kommt – oder vielmehr, was droht Europa im neuen Jahr? Scheitern die Gespräche und gibt es einen von Unternehme­n befürchtet­en harten Bruch mit steigenden Zöllen, Grenzkontr­ollen, Chaos, Lkw-Staus und großem bürokratis­chem Aufwand?

In London wie in Brüssel herrscht vorsichtig­er Optimismus, dass sich die beiden Verhandlun­gspartner doch noch auf den letzten Metern auf ein Freihandel­sabkommen einigen können. Aber auch wenn ein Vertrag als wahrschein­lich gilt, gewiss ist dieser Ausgang keineswegs. Die Verhandlun­gen werden insbesonde­re von britischer Seite weniger von Vernunft denn von Emotionen geleitet. Das Verspreche­n von Unabhängig­keit, Souveränit­ät, Kontrolle übertrumpf­t den gesunden Menschenve­rstand. Andernfall­s hätte Premiermin­ister Boris Johnson im Juni die Übergangsp­hase verlängert, auch weil die Welt mit einer Pandemie zu kämpfen hat, die ablenkt und Ressourcen bindet.

Inmitten der Covid-19-Krise das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Königreich neu zu definieren, galt stets als Harakiri-Unterfange­n. Das zeigte sich nun erneut, da seit Donnerstag wegen eines Corona-Falls in der EU-Delegation die Gespräche vorerst nur virtuell fortgesetz­t werden können. Auch wenn vordergrün­dig stets die Knackpunkt­e angeführt werden, die sich um die Garantien für einen fairen Wettbewerb, die Frage der Aufsicht über das Abkommen sowie um das sensible Thema der Fischerei drehen. Dass es bislang nicht zum Durchbruch kam, hat vor allem politische Gründe. Johnson präsentier­t sich als Zocker. Und die EU sträubt sich ebenfalls nachzugebe­n. Wer zuckt zuerst?

Johnson will vor dem Volk, aber vor allem den Hardlinern in den eigenen konservati­ven Reihen den Macher markieren. Das Land taumelt derweil in Richtung Abgrund. Die Europäer auf der anderen Seite des Ärmelkanal­s scheinen mittlerwei­le genug von den Faxen zu haben, obwohl auch sie nur verlieren können. Man bereite sich auf das No-Deal-Szenario vor, heißt es gebetmühle­nartig.

Doch bei einem Scheitern der Gespräche würden im Januar die Schuldzuwe­isungen beginnen.

Eine unschöne Vorstellun­g. Die Atmosphäre zwischen den Partnern wäre vergiftet, das Verhältnis erst einmal auf Eis gelegt, die Voraussetz­ungen für eine Wiederaufn­ahme der Verhandlun­gen denkbar schlecht. Dabei werden die Gespräche weitergehe­n, egal, was in den nächsten Wochen passiert. Mit einem Abkommen würden sie nur unter positivere­n Vorzeichen stattfinde­n, was umso bedeutende­r ist, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Großbritan­nien und die restlichen EU-Mitglieder sowohl Nachbarn als auch enge Verbündete und Handelspar­tner bleiben.

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