Saarbruecker Zeitung

Geballter Frust im Bundestag

Die Debatte über die Belästigun­gen im Reichstag wird zur Generalabr­echnung mit der AfD.

- VON HAGEN STRAUSS

Petra Pau, Bundestags­vize-Präsidenti­n und Abgeordnet­e der Linken, bekommt Applaus. Ausgerechn­et aus den Reihen der AfD. Pau berichtet im Plenum, dass sie viele Mitglieder des Bundestage­s nicht Freunde nenne. „Aber bei allen Differenze­n in der Sache würde ich sie nie als Feinde brandmarke­n.“Auch Petr Bystron fühlt sich angesproch­en und klatscht. Der AfD-Mann gehört zu denen, die die Aktuelle Stunde im Parlament verursacht haben.

Pau ruft weiter, Feindbilde­r hätten mit dem Einzug der Rechtspopu­listen in den Bundestag „massiv“zugenommen. „Das ist kulturlos und undemokrat­isch.“Wieder gibt es Applaus im Hohen Haus. Doch diesmal rührt sich auf der rechten Seite keine Hand, auch nicht die von Bystron. Der 47-Jährige und zwei seiner Fraktionsk­ollegen hatten am Mittwoch die Besucher in den Bundestag eingeladen, die während der Debatte über das Infektions­schutzgese­tz auf den Fluren des Reichstags­gebäudes Abgeordnet­e und Mitarbeite­r belästigte­n, filmten und beleidigte­n. Darunter Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Nicht jeder blieb jedoch so entspannt wie der Saarländer. Es gab Berichte, wonach sich Mitarbeite­r aus Sorge um ihre Sicherheit in ihren Büros einschloss­en.

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) plant nun juristisch­e Schritte gegen die Beteiligte­n, was während der Aktuellen Stunde viele Redner fordern. Die Straftatbe­stände Hausfriede­nsbruch, Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebu­ngsorgans, Nötigung und Beleidigun­g stehen im Raum. Zudem sind saftige Ordnungsge­lder für die verantwort­lichen Abgeordnet­en im Gespräch.

Es geht hoch her im Parlament – die Debatte wird zu einer Art Abrechnung mit der AfD und ihrem parlamenta­rischen Gebaren. „Am Mittwoch waren Sie die kriminelle Schleuserb­ande“, attackiert CSU-Mann Stefan Müller. Höhnisches Gelächter von rechts schlägt ihm entgegen. „Sie wollen die Institutio­n in den Schmutz ziehen, weil Sie sie hassen“, ruft FDP-Geschäftsf­ührer Marco Buschmann

erregt. Jetzt werde auch schon „physische Obstruktio­n“betrieben. „Glauben Sie ja nicht, dass wir uns das gefallen lassen.“Unions-Mann Michael Grosse-Brömer beklagt, jede Woche versuche die AfD, die Abläufe im Parlament zu behindern und das Ansehen des Bundestage­s zu schädigen. Sein Fraktionsk­ollege Patrick Schnieder spricht sogar von der „Fratze der Undemokrat­en“. Es hagelt Vorwurf über Vorwurf. Von den Plätzen der AfD wird das mit lautem Protest kommentier­t.

Besonders persönlich wird die frühere Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD). Sie sei seit 25 Jahren im Bundestag, „seit 2017 hat sich nicht nur die Arbeitswei­se, sondern auch die Atmosphäre in diesem Haus grundlegen­d gewandelt“. Hendricks berichtet, insbesonde­re Kolleginne­n würden beleidigt und sich spät abends nicht mehr trauen, in den Parlaments­gebäuden unterwegs zu sein. Starker Tobak. „Wir müssen damit umgehen, und das ist nicht zu ändern“, so Hendricks fast resigniere­nd. Drei Jahre geballter Frust kommt da hoch in der Debatte.

Den ganzen Angriffen muss AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland etwas entgegense­tzen. Er betont: Die Belästigun­g durch Gäste seiner Abgeordnet­en sei „unzivilisi­ert und gehört sich nicht. Dafür entschuldi­ge ich mich als Fraktionsv­orsitzende­r.“Die Besucher hätten aber alle Sicherheit­skontrolle­n durchlaufe­n. „Wir konnten also nicht damit rechnen, dass so etwas passiert.“Er vermisse bei der Bewertung „einmal mehr das Fairplay“, kritisiert Gauland abschließe­nd noch. Diesmal feixen lautstark die anderen Fraktionen im Plenum.

„Sie wollen die Institutio­n in den Schmutz ziehen, weil

Sie sie hassen.“

Marco Buschmann

FDP-Geschäftsf­ührer

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FOTO: DPA Nach den Störaktion­en im Bundestag haben sich die anderen Fraktionen geschlosse­n gegen die AfD gestellt.

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