Wie aussagekräftig sind die Fallzahlen?
Im Saarland gibt es einen leichten Rückgang der Corona-Infektionen. Das dürfte am Teil-Lockdown liegen – aber auch an gesunkenen Testzahlen.
Die Corona-Pandemie hat ihre festen Rituale. Im Saarland warten jeden Abend viele Menschen auf die neuesten Fallzahlen des Gesundheitsministeriums. Haben sich wieder mehr Menschen angesteckt? Oder wirkt der Teil-Lockdown, den die Landesregierung verordnet hat?
Die erhoffte Trendwende sei bisher ausgeblieben, erklärte Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) zu Wochenbeginn. Doch sei es gelungen, „das Infektionsgeschehen ein wenig abzubremsen“, sagte der Regierungschef. Tatsächlich ist der Sieben-Tage-Inzidenzwert im Saarland zuletzt gesunken, am Freitag lag er bei 131,4. Am 7. November hatte er mit 175,6 seinen bisherigen Höchststand erreicht. Der Inzidenzwert gibt an, wie viele Neuansteckungen es in den vergangenen sieben Tagen pro 100 000 Einwohner gab. Die Kennzahl basiert auf der Summe der gemeldeten Neuinfektionen. Aber wie aussagekräftig sind die aktuellen Corona-Fallzahlen?
Fakt ist: Zuletzt sind im Saarland erheblich weniger Menschen auf das Coronavirus getestet worden als noch zu Monatsbeginn. Der Grund sind strengere Testkriterien, um in der Erkältungszeit die Labore nicht zu überlasten und lange Wartezeiten zu verhindern. Es sei „nicht vorgesehen und nicht möglich“, so das Robert-Koch-Institut (RKI), bei allen Patienten mit Halsschmerzen oder leichtem Husten einen Abstrich zu machen. Drei Tage nach Beginn des
Teil-Lockdowns unterrichtete die Kassenärztliche Vereinigung (KV ) im Saarland die Praxen in einem Rundschreiben über die neue Linie.
„Wir stellen fest, dass die Kollegen sich an die geänderten Kriterien halten und gut zurechtkommen“, sagt KV-Chef Dr. Gunter Hauptmann. Zwar habe es mit den Patienten in der „ersten Zeit mehr Diskussionen“gegeben, doch: „Es funktioniert.“Das bestätigt Dr. Hendrik Borucki, der Sprecher des Laborbetreibers Bioscientia, der in St. Ingbert den Großteil der Corona-Tests im Saarland analysiert. In der ersten Novemberwoche untersuchte das Labor noch 18 200 Proben. An einzelnen Tagen trafen mehr als 4000 Teströhrchen ein. „Die schaffen wir nicht an einem Tag“, sagt Borucki. „Dann entsteht eine Bugwelle, die man am nächsten Tag abbaut.“In der zweiten
Woche des Monats, nach Einführung der neuen Testkriterien, kamen nur 12 750 Proben an. Liegt der Rückgang an den geänderten Vorgaben? „Wir müssen es darauf zurückführen“, sagt Borucki. „Das zweite ist dieser Teil-Lockdown.“Die absolute Zahl der Treffer sank bei Bioscientia in St. Ingbert leicht, von 1545 auf 1479. Dafür ist der prozentuale Anteil der positiven Testergebnisse in der vergangenen Woche von 8,5 auf 11,6 Prozent angestiegen. „Wir testen jetzt gezielter“, erklärt Borucki. „So ist es auch gut.“
Testen die Ärzte weniger Patienten ohne oder mit leichten Symptomen, schonen sie knappe Ressourcen in den Laboren. Aber sie entdecken auch weniger Infizierte. Das mindert die Aussagekraft der gemeldeten Fallzahlen. Dafür spricht der gestiegene Anteil positiver Tests. Je höher die Positivquote, desto höher werde die Dunkelziffer geschätzt, erklärt das RKI. Weil aber weniger getestet wird, entsteht der Eindruck, dass die Neuinfektionen zurückgehen.
Die Fallzahlen bilden nicht nur die Grundlage, um den Inzidenzwert zu berechnen. Auf ihnen basiert auch eine weitere Kennzahl: die Reproduktionszahl (R), die als Geschwindigkeitsmesser der Pandemie fungiert. Aber wie verlässlich ist der R-Wert, wenn neue Testkriterien
auf ihn durchschlagen? Das sei „leider ein neuralgischer Punkt“, sagt Pharmazie-Professor Thorsten Lehr von der Saar-Uni.
Mit anderen Wissenschaftlern schätzt Lehr regelmäßig die Reproduktionszahl für das Saarland. Der R-Wert fiel in dieser Woche auf 0,78. Das bedeutet, dass 100 Menschen das Coronavirus nur noch an 78 Personen weitergeben. Die Dynamik des Infektionsgeschehens nähme demnach ab. Oder scheint das eher so, aufgrund der geringeren Zahl an Tests? Lehr arbeitet mit seinem Forscherteam an einem neuen Rechenmodell, um zusätzliche Daten wie die Positivrate stärker berücksichtigen zu können. „Wir dürfen nicht nur auf den R-Wert und die Inzidenzzahl schauen“, sagt er. „Die Fokussierung auf einen einzelnen Wert bringt nichts.“
„Wir stellen fest, dass die Kollegen sich an die
geänderten Testkriterien halten.“
Dr. Gunter Hauptmann
Kassenärztliche Vereinigung