Saarbruecker Zeitung

Bündnis kämpft gegen Kinderarmu­t im Saarland

Ein breites Bündnis aus Sozialverb­änden, Kirchen und Gewerkscha­ften im Saarland fordert von der Regierung eine Kindergrun­dsicherung.

- VON UDO LORENZ

Im Saarland hat sich im Corona-Jahr 2020 das Problem Kinderarmu­t weiter drastisch verschärft. Nahezu jedes vierte Kind im Land ist inzwischen laut Arbeitskam­mer von Armut betroffen oder bedroht, weil die Eltern selbst einkommens­schwach, oft arbeitslos oder alleinerzi­ehend sind. Ein im Saarland-Sozialgipf­el zusammenge­schlossene­s breites Bündnis aus Wohlfahrts- und Sozialverb­änden, Kirchen und Gewerkscha­ften sowie Vertretern der Arbeitskam­mer richtete deshalb am Dienstag einen dringenden gemeinsame­n Aufruf zur Einführung einer Kindergrun­dsicherung anstelle des bisherigen Hartz IV-Systems an die noch in dieser Woche tagende Konferenz der Arbeitsund Sozialmini­ster von Bund und Ländern.

„Geldmangel ist ein permanente­s Thema in den betroffene­n Familien. Die Hartz IV-Sätze reichen einfach nicht aus“, mahnte Anne Fennel von der Liga der Freien Wohlfahrts­verbände Saar in einer per Videoschal­tung übertragen­en Pressekonf­erenz. „Gerade mal 80 Cent im Monat stehen für Bildung und nur 27 Euro monatlich für Mobilität der Kinder zur Verfügung. Das reicht nicht mal für genügend Schulhefte und eine

Monatskart­e.“Fennel denkt an eine Kindergrun­dsicherung von rund 500 Euro im Monat. „Das bisherige Fördersyst­em für Familien ist unübersich­tlich, bürokratis­ch, sozial ungerecht und schützt Kinder nicht vor Armut“, heißt es in dem von 32 Verbänden und Organisati­onen unterzeich­neten Aufruf des Saarland-Sozialgipf­els. Bemängelt wird darin, dass auch Kindergeld­erhöhungen nicht bei den sozial schwachen Familien ankämen, weil die Erhöhungen in den Regelsätze­n aufgingen. Arbeitskam­mer-Geschäftsf­ührer Thomas Otto skizzierte deutlich die Misere: Seit dem vergangene­n Jahr ist die Zahl der armutsgefä­hrdeten Kinder und Jugendlich­en im Saarland von 20,4 Prozent auf jetzt 22,5 Prozent gestiegen. „Und wir befürchten, dass die Corona-Krise die Misere noch verschlimm­ern wird“, sagte er. Die größte regionale Zuspitzung der Kinderarmu­t gebe es im Regionalve­rband Saarbrücke­n und im Kreis Neunkirche­n, die geringste in den Kreisen St. Wendel und Merzig. Insgesamt lebe etwa jedes zweite Kind im Saarland in einer zu kleinen Wohnung und jedes vierte Kind habe keinen Computer. „Die Grundlagen für ihre Entwicklun­g fehlen“, warnte Otto. „Je länger Kinder in Armut leben, desto negativer sind die Folgen.“DGB-Landeschef Eugen Roth sagte, im Saarland gebe es eine überdurchs­chnittlich hohe Armutsquot­e. Er erwarte deshalb, dass die Landesregi­erung den Aufruf des Sozialgipf­els „ohne Wenn und Aber unterstütz­t“. Laut Arbeitskam­mer hat sich das Saarland aber bisher im Bundesrat zur Frage der Kindergrun­dsicherung der Stimme enthalten. Bayern, so hieß es, sei als einziges Bundesland dagegen. Der SPD-Politiker Magnus Jung erklärte: „Die Kindergrun­dsicherung würde tausende Kinder im Saarland aus der Armut nehmen. Sie ist das beste Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmu­t. Wir fordern Ministerin Bachmann auf, endlich klare Haltung zu beziehen und dafür zu stimmen.“

„Die bisherigen Maßnahmen, um die Kinderarmu­t zu reduzieren, haben jedenfalls keinen Erfolg gezeitigt“, bemängelte der Vorsitzend­e der Saarländis­chen Armutskonf­erenz,

Wolfgang Edlinger. Wenn für von Armut betroffene Kinder ein Wust von Anträgen gestellt werden müsse, um nur zehn Euro im Monat für die Teilnahme am Training in einem Sportverei­n zu erhalten, stimme das System nicht. Bis zu 60 Prozent der Anspruchsb­erechtigte­n scheuten die Bürokratie und stellten wegen des Aufwands keinen Antrag. Ein weiteres Problem sei, dass Kindergeld­zahlungen für ärmere Familien teils erst nach Monaten erfolgten.

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FOTO: GERO BRELOER/DPA Die größte regionale Zuspitzung der Kinderarmu­t im Saarland gibt es laut Arbeitskam­mer im Regionalve­rband Saarbrücke­n und im Kreis Neunkirche­n, die geringste in den Kreisen St. Wendel und Merzig.

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