Saarbruecker Zeitung

Die Corona-Leugner und der Judenhass

Krude Vergleiche haben bei Protesten gegen die Pandemie-Maßnahmen System. Der Antisemiti­smus in Deutschlan­d trete dabei immer deutlicher zutage, sagen Experten.

- VON WERNER KOLHOFF

Der Auftritt von „Jana aus Kassel“am letzten Wochenende bei einer Anti-Corona-Demonstrat­ion in Hannover hat nicht nur im Netz Wellen geschlagen. Auch in Berlin schrillen die Alarmglock­en. Der Antisemiti­smusmusbea­uftragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, warnte am Dienstag vor einer zunehmende­n Radikalisi­erung der Szene und rief die Bürger dazu auf, dem entschloss­en entgegenzu­treten.

Die 22-jährige Rednerin namens

Jana hatte gesagt, sie fühle sich wie „Sophie Scholl“, weil sie sich den Corona-Maßnahmen widersetze. Sophie Scholl war 1943 als Mitglied der Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“mit 21 Jahren von den Nazis hingericht­et worden. Ähnliches Aufsehen erregte vor einer Woche eine Elfjährige, die bei einer „Querdenker“-Kundgebung in Karlsruhe auftrat und sagte, sie fühle sich wie Anne Frank. Wie jenes 15-jährige jüdische Mädchen also, das sich jahrelang in Amsterdam versteckte, entdeckt wurde und in einem KZ starb. Die junge Karlsruher Rednerin, die ihren Text ablas, sagte zur Begründung, sie haben ihren Geburtstag

mit ihren Freundinne­n ganz leise feiern müssen, aus Angst, von Nachbarn verpetzt zu werden. Solche kruden Vergleiche haben bei den Corona-Protesten zunehmend System, hat die Heidelberg­er „Amadeo Antonio Stiftung“registrier­t. Ihre Vorsitzend­e Anetta Kahane erwähnte bei einer Pressekonf­erenz am Montag in Berlin zusammen mit Felix Klein und dem stellvertr­etenden SPD-Vorsitzend­en Kevin Kühnert die auf den Demos häufig gezeigten Judenstern­e, KZ-Uniformen und andere Anspielung­en auf die Nazi-Zeit. Das geschehe absichtlic­h, um sich selbst ein Widerstand­srecht zu geben.

Die Corona-Proteste basierten zudem auf Verschwöru­ngsmythen, die allesamt einen antisemiti­schen Kern hätten, sagte Kahane. Diese Verschwöru­ngsideolog­ien seien neben dem linken, dem rechten und dem islamistis­chen Antisemiti­smus eine vierte Quelle des Judenhasse­s. So werde behauptet, hinter dem Virus stecke eine jüdische Weltversch­wörung oder es werde wie bei „QAnon“eine Legende von Ritualmord­en konstruier­t. Kahane sagte, sie fürchte, dass auf den Demos die verschiede­nen antisemiti­schen Strömungen zusammenkä­men und es bald wieder einen „offenen Antisemiti­smus“geben werde. Die Gewaltbere­itschaft in der Szene nehme jedenfalls zu. Ähnlich argumentie­rte Klein, der darauf hinwies, dass laut jüngsten Studien ein Drittel der Bevölkerun­g generell an das Wirken geheimer Mächte glaubt. „Dieser normalisie­rte Antisemiti­smus bedroht unsere Demokratie als Ganze.“

Was tun? SPD-Mann Kühnert schlug vor, die Forschung zu verstärken, um die Angriffe auf die offene Gesellscha­ft besser zu verstehen und Strategien zur Demokratie­stärkung zu entwickeln. Kahane forderte ein konsequent­eres staatliche­s Vorgehen. Es sei „vergleichs­weise lächerlich“, wie die Polizei mit Rechtsvers­tößen bei den Corona-Demos umgegangen sei. Klein schlug vor, Geschichts­lehrer während ihrer Ausbildung verbindlic­h NS-Gedenkstät­ten besuchen zu lassen.

Was Jana aus Kassel angeht, so haben Klein wie auch Anetta Kahane die Hoffnung offenbar inzwischen aufgegeben. Jedenfalls hat keiner von beiden versucht, mit der jungen Frau zu reden, um sie über Sophie Scholl aufzukläre­n. Die Frage sei ja, ob der Vergleich aus perfiden Gründen, also absichtlic­h, gewählt worden sei, oder nur aus Infantilit­ät, also Ahnungslos­igkeit, sagte Kahane. Sie glaube Ersteres, und da mache ein Gespräch keinen Sinn.

Das aktuelle „Lagebild Antisemiti­smus“der Amadeu-Antonio-Stiftung ist unter www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikatio­nen/ zu finden.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA „Ungeimpft“steht auf einem nachgebild­eten Judenstern am Arm eines Mannes auf einer Corona-Demonstrat­ion. Solche Verharmlos­ungen der beispiello­sen Judenverni­chtung durch die Nationalso­zialisten sind bei den Protesten gegen die Pandemie-Maßnahmen inzwischen an der Tagesordnu­ng.
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KAPPELER/DPA ?? Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein.

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