Der deutsche Leitindex in neuem Gewand
Die Deutsche Börse will Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal ziehen und den Dax reformieren. Doch das Vorhaben ruft auch Kritiker auf den Plan.
(dpa) Ein Gutes hat der Wirecard-Bilanzskandal: Der Dax bekommt neue Regeln. Der jähe Absturz des einst als Börsenstar gefeierten Zahlungsdienstleisters hat den Finanzplatz Deutschland aufgeschreckt. Nach Bilanzfälschung, Betrugsvorwürfen und Insolvenz der Wirecard AG stellte die Deutsche Börse schon im Juni fest, es gelte nun, „das Vertrauen in den Kapitalmarkt zu stärken“. Nun wird einiges anders im Deutschen Aktienindex, wie der Frankfurter Marktbetreiber am Dienstag mitteilte.
Die auffälligste Veränderung: Der Dax bekommt Zuwachs. Von September
2021 an spielen 40 statt 30 Konzerne in der ersten deutschen Börsenliga. Der MDax der mittelgroßen Werte wird im Gegenzug zwei Jahre nach seiner Erweiterung wieder von 60 auf 50 Unternehmen geschrumpft.
Der Leitindex soll dadurch repräsentativer werden. Der Dax werde in seiner neuen Zusammensetzung „die größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland noch umfassender abbilden“, betonte die Börse. Lange wurde der Dax von vier Branchen dominiert: Chemie, Autoindustrie,
Energie und Finanzdienstleistungen. Das Problem: Gerät eine dieser Branchen unter Druck – zuletzt zum Beispiel die Autohersteller – lähmt das den gesamten Index.
Neu aufnehmen in den Dax will die Börse künftig nur noch profitable Unternehmen. Pleitekandidaten und Konzerne, die ihrer Pflicht zur fristgerechten Veröffentlichung von Zwischenberichten nicht nachkommen, sollen nichts mehr im Dax verloren haben.
Schon während der Beratungen über die vorgeschlagenen Veränderungen gab es skeptische Stimmen. Es sei anzunehmen, „dass durch die Profitabilitätsanforderungen gerade jungen und wachstumsstarken Unternehmen, denen es allerdings noch an entsprechenden Gewinnen fehlt, der Zutritt zum Börsenolymp verwehrt“bleibe, schrieben etwa Analysten des Kölner Vermögensverwalters Flossbach von Storch.
Beispiel Delivery Hero: Der Essenslieferant ersetzte Mitte August Wirecard im Dax. Allerdings hat Delivery Hero seit seiner Gründung 2011 im laufenden Geschäft noch nie Geld verdient. Die gute Nachricht für den Newcomer: Wer bereits im Dax ist, wird aufgrund der verschärften Regeln nun nicht rausgeworfen.
12 der 30 Konzerne sind seit dem Dax-Start am 1. Juli 1988 ohne Unterbrechung in dem Index gelistet: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler (zuvor Daimler-Benz), Deutsche Bank, Eon (2006 entstanden aus Veba und
Viag), Henkel, Linde, RWE, Siemens und Volkswagen.
Kontinuität in der Dax-Familie gibt es – zum Leidwesen von Rüstungsgegnern und Umweltschützern – auch in einem anderen Punkt: Durchgefallen ist der Vorschlag, Unternehmen auszuschließen, die mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes mit der Herstellung umstrittener Waffen machen. Dies wäre zum Beispiel für den derzeit im MDax notierten Luftund Raumfahrtkonzern Airbus zum Problem geworden.
Das Dax-Regelwerk dürfe jedoch „kein Einfallstor für gesellschaftspolitische Debatten und Meinungen werden“, hatte das Deutsche Aktieninstitut
in seiner Stellungnahme betont. Die Dax-Familie solle Anlegern „eine konzentrierte Information über die Entwicklung des gesamten Aktienmarktes“geben. „Dazu gehört es nicht, die Geschäftsmodelle der Indexmitglieder vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Debatten zu bewerten und gegebenenfalls auszuschließen“, schrieb das Institut.
Nach Ansicht von Greenpeace hat die Deutsche Börse „die große Chance verpasst, den Zugang zum Dax an ethische Kriterien zu knüpfen“. Die neuen Regeln seien ein „Rückschritt für Menschenrechte und Klimaschutz im Finanzsektor“, kritisierte die Initiative Urgewald.