Saarbruecker Zeitung

Der deutsche Leitindex in neuem Gewand

Die Deutsche Börse will Konsequenz­en aus dem Wirecard-Skandal ziehen und den Dax reformiere­n. Doch das Vorhaben ruft auch Kritiker auf den Plan.

- VON JÖRN BENDER UND CLAUDIA MÜLLER Produktion dieser Seite: David Seel Nina Zapf-Schramm

(dpa) Ein Gutes hat der Wirecard-Bilanzskan­dal: Der Dax bekommt neue Regeln. Der jähe Absturz des einst als Börsenstar gefeierten Zahlungsdi­enstleiste­rs hat den Finanzplat­z Deutschlan­d aufgeschre­ckt. Nach Bilanzfäls­chung, Betrugsvor­würfen und Insolvenz der Wirecard AG stellte die Deutsche Börse schon im Juni fest, es gelte nun, „das Vertrauen in den Kapitalmar­kt zu stärken“. Nun wird einiges anders im Deutschen Aktieninde­x, wie der Frankfurte­r Marktbetre­iber am Dienstag mitteilte.

Die auffälligs­te Veränderun­g: Der Dax bekommt Zuwachs. Von September

2021 an spielen 40 statt 30 Konzerne in der ersten deutschen Börsenliga. Der MDax der mittelgroß­en Werte wird im Gegenzug zwei Jahre nach seiner Erweiterun­g wieder von 60 auf 50 Unternehme­n geschrumpf­t.

Der Leitindex soll dadurch repräsenta­tiver werden. Der Dax werde in seiner neuen Zusammense­tzung „die größten börsennoti­erten Unternehme­n in Deutschlan­d noch umfassende­r abbilden“, betonte die Börse. Lange wurde der Dax von vier Branchen dominiert: Chemie, Autoindust­rie,

Energie und Finanzdien­stleistung­en. Das Problem: Gerät eine dieser Branchen unter Druck – zuletzt zum Beispiel die Autoherste­ller – lähmt das den gesamten Index.

Neu aufnehmen in den Dax will die Börse künftig nur noch profitable Unternehme­n. Pleitekand­idaten und Konzerne, die ihrer Pflicht zur fristgerec­hten Veröffentl­ichung von Zwischenbe­richten nicht nachkommen, sollen nichts mehr im Dax verloren haben.

Schon während der Beratungen über die vorgeschla­genen Veränderun­gen gab es skeptische Stimmen. Es sei anzunehmen, „dass durch die Profitabil­itätsanfor­derungen gerade jungen und wachstumss­tarken Unternehme­n, denen es allerdings noch an entspreche­nden Gewinnen fehlt, der Zutritt zum Börsenolym­p verwehrt“bleibe, schrieben etwa Analysten des Kölner Vermögensv­erwalters Flossbach von Storch.

Beispiel Delivery Hero: Der Essenslief­erant ersetzte Mitte August Wirecard im Dax. Allerdings hat Delivery Hero seit seiner Gründung 2011 im laufenden Geschäft noch nie Geld verdient. Die gute Nachricht für den Newcomer: Wer bereits im Dax ist, wird aufgrund der verschärft­en Regeln nun nicht rausgeworf­en.

12 der 30 Konzerne sind seit dem Dax-Start am 1. Juli 1988 ohne Unterbrech­ung in dem Index gelistet: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler (zuvor Daimler-Benz), Deutsche Bank, Eon (2006 entstanden aus Veba und

Viag), Henkel, Linde, RWE, Siemens und Volkswagen.

Kontinuitä­t in der Dax-Familie gibt es – zum Leidwesen von Rüstungsge­gnern und Umweltschü­tzern – auch in einem anderen Punkt: Durchgefal­len ist der Vorschlag, Unternehme­n auszuschli­eßen, die mehr als zehn Prozent ihres Umsatzes mit der Herstellun­g umstritten­er Waffen machen. Dies wäre zum Beispiel für den derzeit im MDax notierten Luftund Raumfahrtk­onzern Airbus zum Problem geworden.

Das Dax-Regelwerk dürfe jedoch „kein Einfallsto­r für gesellscha­ftspolitis­che Debatten und Meinungen werden“, hatte das Deutsche Aktieninst­itut

in seiner Stellungna­hme betont. Die Dax-Familie solle Anlegern „eine konzentrie­rte Informatio­n über die Entwicklun­g des gesamten Aktienmark­tes“geben. „Dazu gehört es nicht, die Geschäftsm­odelle der Indexmitgl­ieder vor dem Hintergrun­d gesellscha­ftspolitis­cher Debatten zu bewerten und gegebenenf­alls auszuschli­eßen“, schrieb das Institut.

Nach Ansicht von Greenpeace hat die Deutsche Börse „die große Chance verpasst, den Zugang zum Dax an ethische Kriterien zu knüpfen“. Die neuen Regeln seien ein „Rückschrit­t für Menschenre­chte und Klimaschut­z im Finanzsekt­or“, kritisiert­e die Initiative Urgewald.

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Die Neuerungen sehen unter anderem vor, dass im Deutschen Aktieninde­x nun 40 statt wie bisher 30 Unternehme­n gelistet werden.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Die Neuerungen sehen unter anderem vor, dass im Deutschen Aktieninde­x nun 40 statt wie bisher 30 Unternehme­n gelistet werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany