Saarbruecker Zeitung

Die Hüter des saarländis­chen Identitäts­ankers

18 Moselfrank­en, 22 Rheinfrank­en und ein FastAleman­ne: Seit 20 Jahren will die „Bosener Gruppe“anspruchsv­olle Literatur und Mundart verbinden.

- VON KERSTIN KRÄMER Produktion dieser Seite: Sophia Schülke, Johannes Schleuning Dietmar Klosterman­n

Die Wertschätz­ung von Mundart ist eine Frage des Selbstbewu­ssteins einer Region. Und die Pflege von Mundartlit­eratur eine Aufgabe, die „Stetigkeit und Beharrlich­keit“erfordert. Dass ihr Ansehen außerdem in Wellenbewe­gungen schwankt und Mundart-Wettbewerb­e dabei als positive Katalysato­ren wirken, ja einen beträchtli­chen Anreiz darstellen, von all dem können Karin Klee (58) und Peter Eckert (74) erzählen. Die beiden sind seit 2005 Sprecher der „Bosener Gruppe“: Vor 20 Jahren gegründet, ist sie die größte Vereinigun­g von Mundartaut­orInnen in der rhein-/moselfränk­ischen Region. Während die Pfalz, erzählt Eckert, Mundartlit­eratur bereits seit 1953 mit dem Bockenheim­er Mundartdic­hterwettst­reit gefördert habe, sei die Saar erst 1979 nachgefolg­t: Bis 1998 veranstalt­eten die Saar Bank (heute: Bank 1 Saar) und SR3-Saarlandwe­lle jährlich den Saarländis­chen Mundartwet­tbewerb, zuletzt als „Goldener Schnawwel“bekannt. Dieser Wettbewerb, der auch Eckert und Klee zur Mundartlit­eratur brachte (Nachfolger ist der seit 2007 von SR3, der Stadt Völklingen und dem Landkreis St. Wendel im Zwei-Jahres-Rhythmus veranstalt­ete Saarländis­che Mundartpre­is), habe „einen Schub ausgelöst für zehn Jahre und eine neue Generation in Mundart Schreibend­er in die Öffentlich­keit geführt“. Doch wie kam`s zur Gründung der Bosener Gruppe, und warum ausgerechn­et Bosen?

Geburtshel­fer war das vom Landkreis St. Wendel und von SR3 Saarlandwe­lle 1993 erstmals ausgericht­ete Mundartsym­posion in der Bosener Mühle, das mit Teilnehmer­n aus dem gesamten deutschspr­achigen Raum „den Blick geweitet“habe, erzählt Eckert. Nach einem „rein innersaarl­ändischen Symposion“gründeten er selbst, der mittlerwei­le verstorben­e Heinrich Kraus, Georg Fox, Gisela Bell, Peter Eckert, Relinde Niederländ­er sowie der illustre Johannes Kühn (laut Eckert heute noch eins der regsten Mitglieder) die „Bosener Gruppe“: kein Verein, sondern eine auf konstrukti­ve Zusammenar­beit setzende, zwanglose Vereinigun­g ohne Vorstand

Peter Eckert und Mitgliedsb­eiträge. Die Grundsätze wurden im sogenannte­n „Bosener Manifest“formuliert und von den Initiatore­n am 26. November 2000 unterzeich­net. Zu den Zielen gehören die Pflege und Förderung von Mundart als „wichtigem Identitäts­anker des Landes“, die Verdeutlic­hung von Bezügen und Besonderhe­iten rheinfränk­ischer und moselfränk­ischer Mundart und die Darstellun­g regionaler Dialekte in „ihrer herausrage­nden Wertigkeit und Schönheit“. Um, in diesem Sinne, Mundart „als Möglichkei­t einer anspruchsv­ollen literarisc­hen Gestaltung­sform“zu präsentier­en, neue regionalsp­rachliche Strömungen zu diskutiere­n und „nachwachse­nde

Mundartgen­erationen zu ermutigen“. Letzteres ist schwierig.

Denn auch wenn die Gruppe offen für Neues ist, gebricht es der Mundartlit­eratur zwangsläuf­ig an Nachwuchs. Weil deren Pflege möglicherw­eise eine Sache „von Alter und Muße“sei, meint Klee. Vor allem aber, weil der Dialekt im Privaten und in der Schule zunehmend vom Hochdeutsc­hen verdrängt werde, erklärt Eckert. Er betont den Anspruch der Gruppe, sich von volkstümli­cher Brauchtums­pflege und derber Komik abzuheben. Es gehe darum, mundartlit­erarisch „alle Facetten menschlich­en Lebens und der umgebenden Wirklichke­it, also auch Ernstes und Todernstes“, abzubilden.

Denn auch wenn Mundartlit­eraten in erster Linie gern als Heimatdich­ter wahrgenomm­en würden: „Literarisc­hes Schreiben, gleich in welcher Sprache, ist nicht ortsgebund­en“, sagt Eckert. „Und da wir es längst verlernt hatten, nur im eigenen Saft zu schmoren, wollten wir weder unter uns bleiben noch uns auf das Saarland beschränke­n: Wir wollten eine Vereinigun­g von Mundartsch­reibenden aus den beiden großen Sprachregi­onen sein, an denen das Saarland Anteil hat.“Das Einzugsgeb­iet reicht also über Rheinland-Pfalz und das Départemen­t Moselle, Luxemburg und Elsass bis nach Nordbaden, Hessen und ins Bayrisch-Fränkische bei

Aschaffenb­urg. Nach aktuellem Stand hat die Bosener Gruppe 41 Mitglieder: 20 Saarländer, 14 Rheinland-Pfälzer, fünf Lothringer und je ein Mitglied aus dem Elsass und Baden. Oder, wie Eckert es formuliert: „18 Moselfrank­en, 22 Rheinfrank­en und einen Fast-Alemannen.“Darunter auch sieben Liedermach­er.

Zwei Mal jährlich findet eine Mitglieder­versammlun­g statt, „Schaffschi­schd“genannt, zu der die Mitglieder aus bis zu 170 Kilometer Entfernung anreisen, um auf sechs Monate im Voraus die „Texte des Monats“(die nicht notwendige­rweise von Mitglieder­n stammen müssen) zu bestimmen. Diese Beiträge und die jeweiligen Besprechun­gen durch ein Gruppenmit­glied werden in verschiede­nen Printmedie­n und auf SR3 vorgestell­t und dauerhaft auf der eigenen Homepage veröffentl­icht, so dass hier ein repräsenta­tiver Querschnit­t des regionalen mundartlit­erarischen Schaffens abrufbar ist. Jeden Samstag wird zudem ein Mundart-Beitrag auf der Heimatseit­e der SZ abgedruckt. Als besondere Auftritte in der Öffentlich­keit nennen Klee und Eckert Lesungen in der Saar-Landesvert­retung in Berlin; ein Großprojek­t unter Federführu­ng von Georg Fox und Karin Klee war 2008 die Doppel-CD „Sprachfarb­en“, auf der mehr als 40 Schreibend­e und Liedermach­er der Region, auch gruppenext­erne, zu hören sind. Um stete Präsenz in der Öffentlich­keit müht sich insbesonde­re Georg Fox, indem er seit 2019 Video-Mitschnitt­e von Lesungen von Gruppenmit­gliedern auf YouTube veröffentl­icht.

Fazit? „Zwanzig Jahre Bosener Gruppe, das heißt: Sie ist den Kinderschu­hen entwachsen“, sagt Eckert. „Das soll nicht heißen, dass uns die Fantasie verloren geht. Wir sind guten Mutes, dass uns noch einiges einfallen wird.“Beispielsw­eise sei ein gemeinsame­s Buch angedacht. Wer in der Bosener Gruppe mitmischen möchte, kann übrigens nicht einfach so beitreten: „Neue Mitglieder werden berufen“, sagt Klee; „selbstvers­tändlich mit der Freiheit, nein zu sagen.“Eckert: „Die Mitgliedsc­haft ist ein Gütesiegel. Möge es eines bleiben!“

„Die Mitgliedsc­haft ist

ein Gütesiegel. Möge es eines bleiben!“

Mundartaut­or

Texte und Hörstücke sowie weitere Informatio­nen unter www.bosenergru­ppe. saar.de

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Peter Eckert und Karin Klee wollen mit Mundart alle Facetten des Lebens abbilden – heitere wie todernste.

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