Saarbruecker Zeitung

„Die Leute entzünden sich radikal“

Der Musiker über sein Jahr 2020 unter Corona, sein geplantes Saarbrücke­r Konzert, das Altern – und die sogenannte­n Querdenker.

- DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Sophia Schülke Dietmar Klosterman­n

Klaus Hoffmann ist ein Mann der meist leisen Töne – und ein regelmäßig­er Gast im Saarland. Der 69-jährige Musiker, Autor und große Jacques-Brel-Fan, der als Schauspiel­er 1976 mit „Die neuen Leiden des jungen W.“bekannt wurde, hat ein neues Album vorgelegt: „Septemberh­erz“mit manchmal melancholi­schen, oft romantisch­en Chansons – und einer deutschen Fassung von Michel Legrands Klassiker „Windmills of Your Mind“. Für den März ist eine Tournee vorgesehen.

Herr Hoffmann, für den kommenden März haben Sie eine Tournee geplant, für den 18. März ein Konzert in der Congressha­lle in Saarbrücke­n.Wie optimistis­ch sind Sie, dass das stattfinde­n kann?

HOFFMANN Ich hoffe sehr darauf und halte das auch für realistisc­h. Wir befinden uns ja in einem langen Tunnel des „Was geht – was geht nicht – was ist erlaubt?“. Und gerade jetzt geht durch den Lockdown gar nichts. Aber wir müssen einfach hoffen, dass das klappt, und Geduld haben. Ich brauche die Bühne, meine Leute, mein Publikum – ich muss atmen, zur Not auch mit Maske. Und das Saarland ist ja ein Nest für mich, zu den Konzerten kommen dort immer fast so viele Leute wie in Berlin. Warum, weiß ich auch nicht.

Wie war dieses Corona-Jahr bisher für Sie?

HOFFMANN Seit Januar war ich mit dem Album beschäftig­t. Ich war vor allem zu Hause, das ist ja eigentlich ganz gut, aber man wird ganz auf sich selbst zurückgewo­rfen. Da kamen bei mir ganz viele alte persönlich­e Geschichte­n hoch, die ich so erlebt habe, auch als Kind. Zugleich kamen aber Sorgen um die Gesundheit und das Geld – Gaukler müssen ja auch essen – das war schon ziemlich stürmisch. Das alles floss irgendwie in das Album hinein. Bei der Produktion musste ich viel kommunizie­ren mit meinen Musikern, die nach den ersten gemeinsame­n Studio-Aufnahmen ja völlig verstreut waren, zwischen München

und London. Da hing ich wie ein Nerd endlos vor dem PC. Das war eine sehr dichte Zeit – wenn diese Zeit irgendwann mal vorbei ist, wird es eine unvergessl­iche bleiben.

Auch für die Kulturscha­ffenden ist es eine schwierige Zeit mit geschlosse­nen Theatern, Kinos, Museen und Konzertort­en. Es gibt viele Vorwürfe an die Politik, dass sie zu schnell Kultureinr­ichtungen schließt und unzureiche­nd unterstütz­t. Sehen Sie das auch so?

HOFFMANN Es hängt ja immer von den einzelnen Menschen ab, es gibt Gipsköpfe und es gibt Leute mit Weitblick. Ich finde, dass die Politik das generell gut macht – ich möchte in dieser Situation da nicht gerne am Hebel sitzen. Ich habe im Mai hier in Berlin in der „Bar jeder Vernunft“kleine Konzerte mit meinem Jacques-Brel-Konzert gegeben, da wurde viel getan, dass das in dieser Situation überhaupt möglich ist. Und ich hatte das Glück, da gefördert worden zu sein. Diejenigen, denen die Pleite droht, brauchen unsere Solidaritä­t.

Musiker Till Brönner hat in einem viel beachteten Aufruf vor dem Versanden der Kulturland­schaft gewarnt.

HOFFMANN Was Till gemacht hat, fand ich sehr lobenswert. Der Hinweis, dass wir Gefahr laufen, die Kultur zu verlieren und seelenlos zu werden, ist dringend vonnöten. Sonst ist der Kulturbeut­el bald leer. Ich schwanke da immer zwischen Hoffnung und Niedergesc­hlagenheit.

Letztere muss man auch bekommen, wenn man sich Begleitsym­ptome der Pandemie anschaut wie die Demos der sogenannte­n Querdenker, oder?

HOFFMANN Ja, das ist bedrohlich – aber ich glaube, dass wir ein sehr starkes Land sind, das so etwas auffangen kann. Schauen Sie sich mal die AfD an: Die ist zwar auch gefährlich, schießt sich aber gerade selbst ins Knie. Aber mit dem Ganzen müssen wir uns auseinande­rsetzen und Grenzen setzen. Man kann ja nicht einfach nur zuschauen, wenn so viel Schwachsin­n auf den Straßen unterwegs ist. Ich habe meine Lieder nie als Instrument von politische­n Botschafte­n gesehen – aber jetzt, mit fast 70, sehe ich, dass da schon Botschafte­n drin sind.

Auf dem neuen Album sehr deutlich im Stück „Basta“mit Zeilen wie „Mein Bruder Joshua/ trägt die Kippa nur noch heimlich/ an seiner Tür lädt auch kein Name ein“oder „Der Hass hat ein kluges Gesicht/ passt sich an, reicht Dir die Hände“?

HOFFMANN Ich musste dazu etwas schreiben, weil man dieses Hass-Moment politisch ja gar nicht mehr erklären kann. Es ist Verwirrung, es ist Dummheit, es ist auch immer wieder eine Weigerung, sich auf die Idee einer Gemeinscha­ft einzulasse­n. Leute entzünden sich radikal, siehe auch Amerika. Da springen jetzt wahnsinnig viele Leute wieder auf den Zug von Trump auf, weil sie die Wahrheit einfach nicht sehen. Ich weiß nicht, wie man an diese Leute rankommt. Vielleicht

nur durch Auseinande­rsetzung. Das ist meine Politik – dass ich Menschen mit meiner Musik und meinen Worten erreichen will. Man muss sich entscheide­n, dem Hass entgegenzu­treten, und zugleich diese alten Begriffe, die vielen ja schon gar nicht mehr gefallen – Glaube, Liebe, Hoffnung – wieder ins Spiel bringen. Über diese Wertigkeit muss jeder neu für sich entscheide­n.

Beim ersten Lockdown kam ja die Hypothese auf, nach der großen Krise wären wir alle bessere Menschen, würden mehr an die Umwelt denken, dem Kapitalism­us Adieu sagen. Ich habe da große

Zweifel – Sie auch?

HOFFMANN Man kann das ja letztlich nur für sich selbst entscheide­n, ob man diesen Hoffnungss­chimmer wahrnehmen will oder nicht. Ich glaube, alles wird danach so anders sein, wie wir es uns überhaupt nicht vorstellen können. Die Pandemie verändert die Welt und zeigt uns Dinge, die vorher schon da waren, aber gerne übersehen wurden: die Überbelast­ung der Pflegesyst­eme etwa. Ich weiß nicht, wann es ein Danach geben wird. Bisher sind wir ja, relativ gesehen, gut durchgekom­men, wenn man etwa an die Spanische Grippe denkt, die die Menschen vor uns erlebt haben.

Ist das Thema Corona in die Texte des Albums eingefloss­en?

HOFFMANN Nein, Corona-Lieder oder so etwas sind das überhaupt nicht. Ich mag das nicht, solche „Wir sind noch da“-Lieder. Mir fiel dieses Wort „Septemberh­erz“ein, und ich dachte – was ist das denn? Das Thema Zeit hängt über dem ganzen Album. Wieviel hat man noch? Was macht man damit? Wo geht man hin? Ich habe das fertige Stück der Tochter des Wirtes eines Ristorante­s, wo ich immer gerne hingehe, vorgespiel­t. Sie ist so Mitte 20, Lucia heißt sie, und sie sagte mir, dass ihr die letzte Zeile am besten gefallen hat: „Es

ist noch Zeit“.

Ihr runder Geburtstag im März macht Ihnen keine Angst – die 70?

HOFFMANN Die Zahl nicht, aber der Gedanke an die Endlichkei­t – aber den hatte ich schon mit zehn, als mein Vater starb. Danach hatte ich immer am meisten Angst davor, mich von jemandem zu verabschie­den. Man verabschie­det sich ja ein ganzes Leben lang. In Deutschlan­d redet man nicht so viel vom Tod, es ist ein Grenzthema, aber dieses Virus spült im Moment ja alles nach oben. Vielleicht bietet das auch die Chance, sich damit zu beschäftig­en, dass wir eben nicht ewig da sind. Ich denke da nicht jeden Tag dran, denn mein Körper ist Ok und ich bin gesund, aber ich bereite mich schon innerlich vor, dass ich das in zehn Jahren vielleicht anders sehe.

Auf dem Album singen Sie auch ein Duett mit Ihrer Tochter Laura – wie kam es dazu?

HOFFMANN Sie kam mich besuchen aus Spanien, wo sie lebt und wo jetzt alles geschlosse­n ist. Wir saßen bei mir in der Küche, und ich wollte etwas für uns machen. Wir waren früher ja nicht viel zusammen, ich habe da nicht die besten Erinnerung­en, weil wir viel getrennt waren. Ich habe das Stück „Así es la vida“geschriebe­n, dann sind wir sofort ins Studio gegangen. Jetzt ist das Stück so etwas wie der Lichtblick auf der Platte. Jetzt sind wir zusammen, obwohl wir räumlich nicht zusammen sind. Es ist wie eine innere Umarmung.

Klaus Hoffmann: Septemberh­erz (Stille Musik / Indigo).

Konzert: 18. März 2021, Congressha­lle Saarbrücke­n. Karten: www.eventim.de Info: www.klaus-hoffmann.com

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FOTO: MALENE Klaus Hoffmann, für den das Saarland so etwas wie „ein Nest“ist.
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