Saarbruecker Zeitung

Der Hass im Netz kennt keine Grenzen

Ein Projekt europäisch­er Organisati­onen zeigt, dass es EU-weite Trends bei Hetze und Diskrimini­erung im Internet gibt.

- VON ANNABELLE THEOBALD

Hass, Hetze und Rassismus sind kein reines Netzphänom­en, verbreiten sich aber vor allem in sozialen Medien und Online-Kommentars­palten rasant. In vielen Ländern Europas ähneln sich dabei die Erzählunge­n, die Extremiste­n auf den Plattforme­n verbreiten. Auch finden sich länderüber­greifend dieselben stereotype­n Zuschreibu­ngen. Das ist ein Ergebnis des Projektes „Scan“, in dem sich zehn Organisati­onen aus neun europäisch­en Ländern zusammenge­schlossen haben, um Trends und Hassphänom­ene im Netz über die Grenzen hinweg zu untersuche­n. Ein weiteres Zwischenfa­zit nach zweijährig­er Projektdau­er lautet: Auch wenn sich viele soziale Netzwerke in den vergangene­n Jahren verpflicht­et haben, gegen illegale Hassrede vorzugehen, verbleibt davon noch viel im Netz.

Unter den Projektpar­tnern ist auch die deutsche Bund-LänderInit­iative Jugendschu­tz.net, die die Ergebnisse von „Scan“im Bericht „Hate Speech – ein europäisch­er Vergleich“zusammenfa­sst. Demnach gehören Sinti und Roma in Europa noch immer zu den Bevölkerun­gsgruppen, die am stärksten stigmatisi­ert sind. Europaweit würden die beiden Gruppen im Netz als Bettler diffamiert, die sich nicht integriere­n wollen oder können. Dieses Klischee sei oft geknüpft an die Forderung, sie aus den Sozialsyst­emen auszuschli­eßen. In Deutschlan­d, Italien und Slowenien sei zudem das Vorurteil verbreitet, Sinti und Roma entführten Kinder.

Ein ebenfalls häufig beobachtet­es Phänomen in den europäisch­en Staaten sei, Betroffene wegen ihrer Zugehörigk­eit zu mehreren sozialen Gruppen anzugreife­n. Jugendschu­tz.net spricht dabei von intersekti­onaler Hassrede. So würden etwa geflüchtet­e Menschen nicht nur wegen ihrer Fluchterfa­hrung, sondern auch wegen ihres (mutmaßlich) muslimisch­en Glaubens als Terroriste­n verunglimp­ft. Zudem würden arabischst­ämmige Menschen, Geflüchtet­e und Muslime häufig in einen Topf geworfen.

Die Projektpar­tner beobachten in der Krise einen Anstieg von Verschwöru­ngserzählu­ngen. Bereits stigmatisi­erte Minderheit­en werden laut Bericht häufig für die Pandemie verantwort­lich gemacht. Zunächst seien in den meisten Ländern asiatische Menschen in besonderem

Maße mit Hassrede im Netz konfrontie­rt gewesen. In Österreich und Kroatien wurden laut Bericht chinesisch­e Touristen oft als Hauptinfek­tionsquell­e dargestell­t. In Frankreich sei online vor allem gegen angeblich unhygienis­che Essgewohnh­eiten von Chinesen gehetzt worden. Und in Deutschlan­d stellten islamistis­che Gruppen das Coronaviru­s zu Beginn als eine göttliche Strafe für die Unterdrück­ung der uigurische­n Minderheit in China dar.

Die Pandemie habe auch rechtsextr­emistische Propaganda in Europa befeuert. So sei in Belgien, Deutschlan­d und Slowenien häufig davon die Rede gewesen, dass geheime Eliten die Pandemie nutzen würden, um eine Diktatur oder eine „neue Weltordnun­g“einzuführe­n. Dabei werde oftmals behauptet, dass diese Eliten von Juden gesteuert würden. In der rechtsextr­emen Szene Frankreich­s wurde behauptet, Juden würden das Virus absichtlic­h verbreiten. In Kroatien, Lettland und Österreich wurden laut Bericht stellvertr­etend vor allem ausländisc­he Stiftungen, Nichtregie­rungsorgan­isationen, Bill Gates oder George

Soros für den Ausbruch verantwort­lich gemacht.

2016 hat die EU-Kommission mit den Online-Dienste Facebook, Twitter, Youtube und Microsoft den Verhaltens­kodex zur Bekämpfung illegaler Hassreden im Internet vereinbart. Darin verpflicht­en sich die Dienste, Meldungen zu Hassrede auf den Plattforme­n innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und illegale Inhalte zu löschen. Mittlerwei­le haben sich auch Instagram, Snapchat, Dailymotio­n, Tiktok und Jeuxvideo angeschlos­sen. Die Projektpar­tner von Scan haben an zwei von der EU-Kommission durchgefüh­rten Monitoring-Runden teilgenomm­en, bei denen überprüft wird, ob die Dienste die Vorgaben wirksam umsetzen. Zudem haben sie zwei eigene Überprüfun­gen durchgefüh­rt und kommen zum Ergebnis, dass die Löschquote erheblich schwankte, zwischen 58 und 73 Prozent in den vier Runden.

Im fünften und bislang letzten Monitoring im Juni zeigte sich die EU-Kommission zufrieden. Die IT-Unternehme­n prüften mittlerwei­le 90 Prozent der gemeldeten

Inhalte innerhalb von 24 Stunden und entfernten 71 Prozent dessen, was als illegale Hetze betrachtet werde, hieß es in einer Pressemitt­eilung. Allerdings müssten sie die Rückmeldun­g an Nutzer, die Inhalte melden, verbessern und zudem transparen­ter machen, wie sie mit problemati­schen Inhalten umgehen. Die Projektpar­tner von Scan fordern zudem, dass die EU auch kleinere Dienste ermutigt, sich dem Verhaltens­kodex anzuschlie­ßen, um so „sichere Häfen“für Hass und Extremismu­s zu vermeiden. www.jugendschu­tz.net

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FOTO: PEDERSEN/DPA In Berlin wurden Hasskommen­tare auf Steine geklebt, um auf Rassismus und Diskrimini­erung in sozialen Netzwerken aufmerksam zu machen.

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