Der Hass im Netz kennt keine Grenzen
Ein Projekt europäischer Organisationen zeigt, dass es EU-weite Trends bei Hetze und Diskriminierung im Internet gibt.
Hass, Hetze und Rassismus sind kein reines Netzphänomen, verbreiten sich aber vor allem in sozialen Medien und Online-Kommentarspalten rasant. In vielen Ländern Europas ähneln sich dabei die Erzählungen, die Extremisten auf den Plattformen verbreiten. Auch finden sich länderübergreifend dieselben stereotypen Zuschreibungen. Das ist ein Ergebnis des Projektes „Scan“, in dem sich zehn Organisationen aus neun europäischen Ländern zusammengeschlossen haben, um Trends und Hassphänomene im Netz über die Grenzen hinweg zu untersuchen. Ein weiteres Zwischenfazit nach zweijähriger Projektdauer lautet: Auch wenn sich viele soziale Netzwerke in den vergangenen Jahren verpflichtet haben, gegen illegale Hassrede vorzugehen, verbleibt davon noch viel im Netz.
Unter den Projektpartnern ist auch die deutsche Bund-LänderInitiative Jugendschutz.net, die die Ergebnisse von „Scan“im Bericht „Hate Speech – ein europäischer Vergleich“zusammenfasst. Demnach gehören Sinti und Roma in Europa noch immer zu den Bevölkerungsgruppen, die am stärksten stigmatisiert sind. Europaweit würden die beiden Gruppen im Netz als Bettler diffamiert, die sich nicht integrieren wollen oder können. Dieses Klischee sei oft geknüpft an die Forderung, sie aus den Sozialsystemen auszuschließen. In Deutschland, Italien und Slowenien sei zudem das Vorurteil verbreitet, Sinti und Roma entführten Kinder.
Ein ebenfalls häufig beobachtetes Phänomen in den europäischen Staaten sei, Betroffene wegen ihrer Zugehörigkeit zu mehreren sozialen Gruppen anzugreifen. Jugendschutz.net spricht dabei von intersektionaler Hassrede. So würden etwa geflüchtete Menschen nicht nur wegen ihrer Fluchterfahrung, sondern auch wegen ihres (mutmaßlich) muslimischen Glaubens als Terroristen verunglimpft. Zudem würden arabischstämmige Menschen, Geflüchtete und Muslime häufig in einen Topf geworfen.
Die Projektpartner beobachten in der Krise einen Anstieg von Verschwörungserzählungen. Bereits stigmatisierte Minderheiten werden laut Bericht häufig für die Pandemie verantwortlich gemacht. Zunächst seien in den meisten Ländern asiatische Menschen in besonderem
Maße mit Hassrede im Netz konfrontiert gewesen. In Österreich und Kroatien wurden laut Bericht chinesische Touristen oft als Hauptinfektionsquelle dargestellt. In Frankreich sei online vor allem gegen angeblich unhygienische Essgewohnheiten von Chinesen gehetzt worden. Und in Deutschland stellten islamistische Gruppen das Coronavirus zu Beginn als eine göttliche Strafe für die Unterdrückung der uigurischen Minderheit in China dar.
Die Pandemie habe auch rechtsextremistische Propaganda in Europa befeuert. So sei in Belgien, Deutschland und Slowenien häufig davon die Rede gewesen, dass geheime Eliten die Pandemie nutzen würden, um eine Diktatur oder eine „neue Weltordnung“einzuführen. Dabei werde oftmals behauptet, dass diese Eliten von Juden gesteuert würden. In der rechtsextremen Szene Frankreichs wurde behauptet, Juden würden das Virus absichtlich verbreiten. In Kroatien, Lettland und Österreich wurden laut Bericht stellvertretend vor allem ausländische Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen, Bill Gates oder George
Soros für den Ausbruch verantwortlich gemacht.
2016 hat die EU-Kommission mit den Online-Dienste Facebook, Twitter, Youtube und Microsoft den Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hassreden im Internet vereinbart. Darin verpflichten sich die Dienste, Meldungen zu Hassrede auf den Plattformen innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und illegale Inhalte zu löschen. Mittlerweile haben sich auch Instagram, Snapchat, Dailymotion, Tiktok und Jeuxvideo angeschlossen. Die Projektpartner von Scan haben an zwei von der EU-Kommission durchgeführten Monitoring-Runden teilgenommen, bei denen überprüft wird, ob die Dienste die Vorgaben wirksam umsetzen. Zudem haben sie zwei eigene Überprüfungen durchgeführt und kommen zum Ergebnis, dass die Löschquote erheblich schwankte, zwischen 58 und 73 Prozent in den vier Runden.
Im fünften und bislang letzten Monitoring im Juni zeigte sich die EU-Kommission zufrieden. Die IT-Unternehmen prüften mittlerweile 90 Prozent der gemeldeten
Inhalte innerhalb von 24 Stunden und entfernten 71 Prozent dessen, was als illegale Hetze betrachtet werde, hieß es in einer Pressemitteilung. Allerdings müssten sie die Rückmeldung an Nutzer, die Inhalte melden, verbessern und zudem transparenter machen, wie sie mit problematischen Inhalten umgehen. Die Projektpartner von Scan fordern zudem, dass die EU auch kleinere Dienste ermutigt, sich dem Verhaltenskodex anzuschließen, um so „sichere Häfen“für Hass und Extremismus zu vermeiden. www.jugendschutz.net