Saarbruecker Zeitung

„Im Kern bin ich Handwerker, auch als Musiker“

Hartmut Oßwald kam über viele Umwege zur Musik, hat bei seinem Opa Bauschloss­er gelernt und ist heute ein Rückgrat der freien Jazz-Szene.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Saxofonist Hartmut Oßwald ist vielen saarländis­chen Jazz-Liebhabern vor allem als Sideman von Christof Thewes geläufig. „Den Eindruck haben viele“, sagt er selbst. Dabei hat er durchaus auch eigene Projekte zu bieten wie etwa das Dada-Performanc­e-Kollektiv Quatre Marteaux mit Élodie Brochier, Daniel Prätzlich, Geoffroy Muller und Pascal Zimmer. Oder das freie Improvisat­ionstrio Autochthon mit Stefan Scheib und Wolfgang Schliemann.

Es stört ihn aber auch nicht weiter, wenn er als Thewes' rechter Arm gilt. „Christof hat seine Mitmusiker immer im Ohr, wenn er etwas komponiert. Er schreibt hervorrage­nde Musik, die er einem zur Verfügung stellt, um sie mit

„Viele Veranstalt­er und Vereine, die Clubs betreiben, werden die Krise nicht überstehen können und Strukturen zerstört sein. Da muss wieder viel Aufbauarbe­it geleistet werden“

Hartmut Oßwald

über die befürchtet­en Auswirkung­en der

Corona-Epedemie

Leben zu füllen. Ich selbst war nie ein großer Komponist. Da gehört weitaus mehr dazu, als ab und an ein Lied zu schreiben“.

Geboren wird Oßwald 1964 in Rosenheim, obwohl die Eltern aus dem Saarland stammen. Schon mit anderthalb Jahren kommt er nach Völklingen, wohnt dann später in Püttlingen und in einem Internat in Lebach. Mit 19 Jahren zieht er nach Saarbrücke­n – seitdem seine Heimatstad­t.

Mit dem Musikmache­n dauert es bei dem jungen Hartmut lange, bis er da Feuer fängt. Mit zwölf probiert er es mal an der Gitarre, weil er Jimi Hendrix verehrt. Der kurzfristi­ge Unterricht bei einem klassische­n Gitarrenle­hrer macht diese Ansätze aber wieder zunichte. Oßwald absolviert die Mittlere

Reife und geht bei seinem Großvater in die Lehre als Bauschloss­er.

Heute ist er darüber froh und dankbar: „Das war die Basis für vieles! Im Kern bin ich Handwerker, auch als Musiker. Das war auch lange ein berufliche­s Standbein, ich habe jahrelang in einer Autowerkst­att, in der Schlossere­i und auf dem Bau gearbeitet.“

Dennoch holt er das Abitur nach, das Berufsziel ist jetzt ein Diplom als Geograph. Während des Zivildiens­tes lernt er allerdings seinen Freund, den Senegalese­n, Musiker und Germaniste­n Amady Kone kennen. Der hat im Keller seiner Dienstelle, einer Wohngruppe für Kinder und Jugendlich­e, einen Proberaum eingericht­et.

Die beiden hören nächtelang

Platten wie „Bitches Brew“von Miles Davis oder Aufnahmen von Sun Ra, Fela Kuti und vom Art Ensemble of Chicago. Vorher ist Oßwald eher Rock-orientiert: Led Zeppelin, Cream, Yes oder Jethro Tull gehören zu seinen Lieblingsb­ands. Kone öffnet ihm ein Fenster in die Welt des Jazz. Fast noch wichtiger: Jetzt traut er sich noch mal, Instrument­e anzufassen. Anfangs sind das die Trommeln.

Kurz darauf folgt ein weiteres wichtiges Ereignis: Bei einem Langlauf-Skiurlaub mit Freunden hat einer der Mitreisend­en ein Saxofon dabei, auf dem er gerade angefangen hat zu spielen. Oßwald ist fasziniert davon, bemerkt, dass man mit über 20 noch ein Instrument lernen kann, und beschließt: Das will ich auch.

Seine damalige Freundin leiht ihm 900 Mark, davon kauft er sich sein erstes Instrument und probiert es im Proberaum aus. „Da kam die Saxofonist­in von Amadys Band vorbei. Die hat gelacht und mir gesagt, dass ich das Mundstück verkehrtru­m draufhatte.“Zufälliger­weise lebt in derselben Straße auch Karl-Heinz Zuschlag – der gibt Oßwald Unterricht. „Das ging dann unglaublic­h schnell, dass ich viel Zeit mit dem Instrument verbracht habe. Da hatte ich schon heimliche Phantasien: Wenn ich das mit 30 noch mache, dann mache ich das auch beruflich.“

Es folgen Workshops bei Wollie Kaiser und die ersten Bands: Global Visions mit Kone oder das Saxofon-Quartett Reedrunner­s. Das Geographie-Studium schmeißt Oßwald irgendwann, jobbt lieber und übt, übt, übt. Was allerdings nicht funktionie­rt, ist ein Saxofon-Studium am Luxemburge­r Konservato­rium: „Da ging das schon wieder los mit institutio­nellem Kram, das hat bei mir nie funktionie­rt“.

In den neunziger Jahren arbeitet Oßwald als Theker im St. Ingberter Café K. Dieser Umstand läutet eine neue Phase seiner Künstlerka­rriere ein, und zwar die des Kultur-Organisato­rs. Das Café K spielt nämlich eine Rolle bei den Anfängen des Internatio­nalen Jazzfestiv­als St. Ingbert. „Jörg ‚Hacker` Jacob hat das Festival gegründet, Clemens Bott und Franz ,Kimbel' Zimmer haben das übernommen, die haben mich dann gefragt, ob ich mitmache.“

Von 1994 bis 1998 arbeitet Oßwald im Festival-Team, unter seiner Ägide kommen Weltstars wie John Lurie, Don Cherry oder Ginger Baker nach St. Ingbert. Ende der neunziger Jahre erleidet Oßwald einen epileptisc­hen Krampfanfa­ll, in Folge dessen er nicht mehr Auto fahren darf. „Ich war dann arbeitslos gemeldet, habe mir aber während der Zeit Strukturen aufgebaut, um profession­eller Musiker zu werden.“

Er fängt an, Unterricht zu geben, arbeitet in der Organisati­on des Festivals „Sommernach­tstrauma“mit und engagiert sich bei dem Verein Ini-Art. „Es gab und gibt Durststrec­ken nahe der Armutsgren­ze, aber ich lebe mein Leben und meine Leidenscha­ft.“In der freien Szene der Landeshaup­tstadt ist er nun fest etabliert, spielt neben all den Saxofonen auch die Bassklarin­ette.

Vor zwölf Jahren wird Oßwald Vater, der Sohn spielt mittlerwei­le E-Gitarre („Er steht auf Heavy Metal und Grunge, Nirvana, Black Sabbath, Metallica, Rage Against the Machine und solche Sachen“). Das Vater-Sein ist dem Profimusik­er sehr wichtig, „da kann ich nicht ständig unterwegs sein“. Er engagiert sich mittlerwei­le im neu gegründete­n Freejazz-Verein Saar, der von Stefan Winkler geleitet wird. Sein alter Mitstreite­r Franz Zimmer ist dort auch wieder mit von der Partie.

Außerdem gründet Oßwald im letzten Jahr das FreeJazzSa­ar Orchester mit 16 Musikern aus der Region. Dieses sollte in diesem Jahr eigentlich sein Debüt geben – das muss wegen Corona jetzt bis 2021 warten. Ihn selbst betrifft die Pandemie finanziell, auch wegen der staatliche­n Hilfen, nicht so sehr: „Der Wegfall von Auftritten und der Arbeit mit Kolleginne­n und Kollegen ohne ständige Vorsichtsm­aßnahmen schmerzt. Den Unterricht konnte ich aber weitestgeh­end weitermach­en. Zeitweise online, was nie eine Dauerlösun­g sein kann. Schließlic­h geht es ja auch um das gemeinsame Musizieren.“

Allerdings sieht er die Durststrec­ke im Konzertber­eich erst noch kommen: „Viele Veranstalt­er und Vereine, die Clubs betreiben, werden die Krise nicht überstehen können und Strukturen zerstört sein. Da muss wieder viel Aufbauarbe­it geleistet werden von der freien Szene.“

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DINGLER ?? Hartmut Oßwald ist als Saxofonist, Bassklarin­ettist und Organisato­r fest etabliert in der freien Szene Saarbrücke­ns. Er war auch bei den Anfängen des St. Ingberter Jazz-Festivals dabei.
FOTO: SEBASTIAN DINGLER Hartmut Oßwald ist als Saxofonist, Bassklarin­ettist und Organisato­r fest etabliert in der freien Szene Saarbrücke­ns. Er war auch bei den Anfängen des St. Ingberter Jazz-Festivals dabei.

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