„Gefahr von irreparablen Schäden an unserem Sportsystem“
Mitgliederschwund, Frust im Ehrenamt, Einnahme-Ausfälle – die Sorgen des Sports im Teil-Lockdown wachsen. Die Hoffnung ist aber wohl vergebens.
(dpa) In der größten Notlage des deutschen Sports seit Generationen müssen die Helden von früher noch mal ran. „Wenn dein Verein ins Schwimmen gerät, zeigst du ihm das rettende Ufer“, ruft eine Franziska van Almsick in Sieger-Pose mit Badekappe der von Corona fast zum Stillstand gebrachten Sportnation zu. Bei der Kampagne zur Rettung des Vereinslebens sind auch Stars wie Boris Becker, Henry Maske, Katarina Witt und Matthias Steiner dabei. Den Zuspruch können die 90 000 Sportvereine mit 27 Millionen Mitgliedern vor dem Politik-Gipfel an diesem Mittwoch gut gebrauchen. Denn es droht eine Verlängerung der Corona-Zwangspause bis mindestens 20. Dezember.
„Jeder Kontakt, der nicht stattfindet, ist gut für die Bekämpfung der Pandemie“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zuletzt betont. Angesichts der weiter hohen Infektionszahlen und der stark belasteten Krankenhäuser sind die Hoffnungen des Sports auf baldige Lockerungen im Teil-Lockdown vermutlich vergebens. Dies geht aus der Beschlussvorlage
der Ministerpräsidenten für die Beratungen mit der Bundesregierung hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Alfons Hörmann (60), der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), wirbt für zumindest flexiblere Lösungen je nach Region und Sportart: „Ich denke, dass wir mit den Hygienekonzepten, mit der Disziplin und dem sehr verantwortungsbewussten Umgang im Sport mit gutem Gewissen festhalten können: Wir sind Bestandteil der Lösung und nicht des Problems.“
Während der Profisport zumindest seinen Betrieb ohne Zuschauer fortsetzen darf, schmerzt vor allem das weitgehende Verbot von Amateurund Breitensport. „Die Sorgen werden von Woche zu Woche buchstäblich größer“, sagt Hörmann. Symptome seien ein spürbarer Mitgliederschwund und das Nachlassen von ehrenamtlichem Engagement. An vielen Stellen komme „das gesamte Vereinsgeschehen zum Erliegen“. Das führt auch zu erheblichen finanziellen Einbußen für viele Vereine durch die Absage von Wettkämpfen
oder Festveranstaltungen.
Vor der Video-Schalte von Kanzlerin und Länderchefs hinterlegten auch große Fachverbände wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Deutsche Turner-Bund (DTB) ihren dringenden Wunsch nach mehr Vertrauen und Bewegungsfreiheit. Im Kampf gegen die Pandemie könne der Sport am meisten leisten,
„wenn angepasste Bewegungsangebote in unseren Vereinen möglich sind und unsere Vereinsangebote nicht komplett eingestellt werden“, sagte DTB-Präsident Alfons Hölzl.
Vor allem beim Nachwuchs drängt der Sport auf Lockerungen, wie sie zum Beispiel in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern für bis 18-Jährige sowie in Berlin für die bis Zwölfjährigen gelten. In der Vorwoche legte die Deutsche Sportjugend (DSJ) einen Vier-Stufen-Plan vor, dessen Umsetzung allen Kindern möglichst lange das gemeinsame Sporttreiben unter Corona-Bedingungen ermöglichen soll. Die Vereine „erfüllen wesentliche und wichtige außerschulische Bildungsarbeit für Kinder“, hieß es im Schreiben von DSJ-Chef Michael Leyendecker. Schon jetzt würden sich die meisten Jugendlichen in Deutschland zu wenig bewegen, wie eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO erwiesen habe.
Nicht zuletzt steht dahinter auch die Sorge, dass dem Sport auf Dauer viele Kinder und damit auch Talente verloren gehen könnten. Mit Nachdruck verweisen Spitzenfunktionäre daher auf die Hygienekonzepte, die beim Vereinssport ein kontrollierteres Zusammentreffen ermöglichen sollen als bei spontanen Freizeitaktivitäten. Das Modellkonzept des DOSB ist sogar vom Tüv geprüft. Mit neun Leitplanken gibt der Dachverband einen Rahmen vor, auf die dann spezifische Regeln für jede
Sportart aufsetzen.
„Seit Beginn der Pandemie zeigen wir, dass wir uns diszipliniert und angemessen verhalten können“, heißt es im Bericht von Präsidium und Vorstand für die DOSB-Mitgliederversammlung am 5. Dezember, die erstmals als Online-Konferenz stattfinden muss. Sport zur Stärkung der Gesundheit, als soziales Netz und wichtige Ablenkung gerade in schwierigen Zeiten – starke Argumente gibt es reichlich. „Und es gilt: Sport ist nach allen vorliegenden Erkenntnissen kein Infektionsbeschleuniger“, stellt die DOSB-Spitze fest. Doch die Politik sieht sich unter Handlungsdruck und wird am Mittwoch wohl noch einmal verschärfte Kontaktbeschränkungen beschließen. Für Millionen Sportler könnte das einen weitgehenden Stillstand vielleicht sogar bis ins nächste Jahr hinein bedeuten. Der DOSB sieht daher „die Gefahr von massiven und teilweise irreparablen Schäden an unserem Sportsystem“.