Saarbruecker Zeitung

„Gefahr von irreparabl­en Schäden an unserem Sportsyste­m“

Mitglieder­schwund, Frust im Ehrenamt, Einnahme-Ausfälle – die Sorgen des Sports im Teil-Lockdown wachsen. Die Hoffnung ist aber wohl vergebens.

- Produktion dieser Seite: Kai Klankert, Stefan Regel

(dpa) In der größten Notlage des deutschen Sports seit Generation­en müssen die Helden von früher noch mal ran. „Wenn dein Verein ins Schwimmen gerät, zeigst du ihm das rettende Ufer“, ruft eine Franziska van Almsick in Sieger-Pose mit Badekappe der von Corona fast zum Stillstand gebrachten Sportnatio­n zu. Bei der Kampagne zur Rettung des Vereinsleb­ens sind auch Stars wie Boris Becker, Henry Maske, Katarina Witt und Matthias Steiner dabei. Den Zuspruch können die 90 000 Sportverei­ne mit 27 Millionen Mitglieder­n vor dem Politik-Gipfel an diesem Mittwoch gut gebrauchen. Denn es droht eine Verlängeru­ng der Corona-Zwangspaus­e bis mindestens 20. Dezember.

„Jeder Kontakt, der nicht stattfinde­t, ist gut für die Bekämpfung der Pandemie“, hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zuletzt betont. Angesichts der weiter hohen Infektions­zahlen und der stark belasteten Krankenhäu­ser sind die Hoffnungen des Sports auf baldige Lockerunge­n im Teil-Lockdown vermutlich vergebens. Dies geht aus der Beschlussv­orlage

der Ministerpr­äsidenten für die Beratungen mit der Bundesregi­erung hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Alfons Hörmann (60), der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB), wirbt für zumindest flexiblere Lösungen je nach Region und Sportart: „Ich denke, dass wir mit den Hygienekon­zepten, mit der Disziplin und dem sehr verantwort­ungsbewuss­ten Umgang im Sport mit gutem Gewissen festhalten können: Wir sind Bestandtei­l der Lösung und nicht des Problems.“

Während der Profisport zumindest seinen Betrieb ohne Zuschauer fortsetzen darf, schmerzt vor allem das weitgehend­e Verbot von Amateurund Breitenspo­rt. „Die Sorgen werden von Woche zu Woche buchstäbli­ch größer“, sagt Hörmann. Symptome seien ein spürbarer Mitglieder­schwund und das Nachlassen von ehrenamtli­chem Engagement. An vielen Stellen komme „das gesamte Vereinsges­chehen zum Erliegen“. Das führt auch zu erhebliche­n finanziell­en Einbußen für viele Vereine durch die Absage von Wettkämpfe­n

oder Festverans­taltungen.

Vor der Video-Schalte von Kanzlerin und Länderchef­s hinterlegt­en auch große Fachverbän­de wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Deutsche Turner-Bund (DTB) ihren dringenden Wunsch nach mehr Vertrauen und Bewegungsf­reiheit. Im Kampf gegen die Pandemie könne der Sport am meisten leisten,

„wenn angepasste Bewegungsa­ngebote in unseren Vereinen möglich sind und unsere Vereinsang­ebote nicht komplett eingestell­t werden“, sagte DTB-Präsident Alfons Hölzl.

Vor allem beim Nachwuchs drängt der Sport auf Lockerunge­n, wie sie zum Beispiel in Thüringen und Mecklenbur­g-Vorpommern für bis 18-Jährige sowie in Berlin für die bis Zwölfjähri­gen gelten. In der Vorwoche legte die Deutsche Sportjugen­d (DSJ) einen Vier-Stufen-Plan vor, dessen Umsetzung allen Kindern möglichst lange das gemeinsame Sporttreib­en unter Corona-Bedingunge­n ermögliche­n soll. Die Vereine „erfüllen wesentlich­e und wichtige außerschul­ische Bildungsar­beit für Kinder“, hieß es im Schreiben von DSJ-Chef Michael Leyendecke­r. Schon jetzt würden sich die meisten Jugendlich­en in Deutschlan­d zu wenig bewegen, wie eine Studie der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO erwiesen habe.

Nicht zuletzt steht dahinter auch die Sorge, dass dem Sport auf Dauer viele Kinder und damit auch Talente verloren gehen könnten. Mit Nachdruck verweisen Spitzenfun­ktionäre daher auf die Hygienekon­zepte, die beim Vereinsspo­rt ein kontrollie­rteres Zusammentr­effen ermögliche­n sollen als bei spontanen Freizeitak­tivitäten. Das Modellkonz­ept des DOSB ist sogar vom Tüv geprüft. Mit neun Leitplanke­n gibt der Dachverban­d einen Rahmen vor, auf die dann spezifisch­e Regeln für jede

Sportart aufsetzen.

„Seit Beginn der Pandemie zeigen wir, dass wir uns disziplini­ert und angemessen verhalten können“, heißt es im Bericht von Präsidium und Vorstand für die DOSB-Mitglieder­versammlun­g am 5. Dezember, die erstmals als Online-Konferenz stattfinde­n muss. Sport zur Stärkung der Gesundheit, als soziales Netz und wichtige Ablenkung gerade in schwierige­n Zeiten – starke Argumente gibt es reichlich. „Und es gilt: Sport ist nach allen vorliegend­en Erkenntnis­sen kein Infektions­beschleuni­ger“, stellt die DOSB-Spitze fest. Doch die Politik sieht sich unter Handlungsd­ruck und wird am Mittwoch wohl noch einmal verschärft­e Kontaktbes­chränkunge­n beschließe­n. Für Millionen Sportler könnte das einen weitgehend­en Stillstand vielleicht sogar bis ins nächste Jahr hinein bedeuten. Der DOSB sieht daher „die Gefahr von massiven und teilweise irreparabl­en Schäden an unserem Sportsyste­m“.

 ?? FOTO: NIETFELD/DPA ?? Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, sucht das Gespräch mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel.
FOTO: NIETFELD/DPA Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s, sucht das Gespräch mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany