Lüften oder filtern: Expertenstreit um Aerosole
(byl) In Aerosolen, winzigen Speicheltröpfchen, die wir beim Sprechen und Husten ausatmen, können Coronaviren stundenlang in der Luft schweben. Wie lassen sie sich am besten in Innenräumen eliminieren? Um diese Frage ist jetzt Streit unter Fachleuten entbrannt. Während Forscher der Uni Frankfurt nach Messungen im Oktober mit der Nachricht „Luftreiniger beseitigen 90 Prozent der Aerosole in Schulklassen“an die Öffentlichkeit gingen, haben nun Forscher der TH Mittelhessen (Gießen) eine andere Sicht der Dinge
dargelegt. Sie kommen zum Ergebnis: Nicht Luftfilter, sondern das vom Umweltbundesamt empfohlene regelmäßige Lüften ist die beste Methode, um die Corona-Konzentration drastisch zu reduzieren.
Die Gießener Hochschule berichtet über eine Untersuchung der Professoren Hans-Martin Seipp und Thomas Steffens im selben Klassenraum einer Wiesbadener Schule, in dem vier Wochen zuvor das Team um den Frankfurter Professor Joachim Curtius gemessen hatte. Das Team kam zum Ergebnis, dass die Stoßlüftung
Luftfiltern haushoch überlegen ist. Das Verfahren sei zudem im Winter ganz besonders effektiv, weil der Luftaustausch bei großen Temperaturunterschieden extrem beschleunigt werde, erklärt Hans-Martin Seipp. Er ist Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin und Experte für Lüftungstechnik in OP-Räumen.
Die Öffnung aller Fenster in der Klasse für einen Zeitraum von drei Minuten bei Außentemperaturen von sieben bis elf Grad habe praktisch sämtliche Aerosole (99,8 Prozent) entfernt. Bei anderen Messungen und geringeren Temperaturdifferenzen sei die Konzentration binnen fünf Minuten um 83 Prozent gefallen. Alles in allem habe sich die Lüftung im Vergleich zur maschinellen Filterung als bis zu 80-fach wirksamer erwiesen. Das Frankfurter Team hatte mit vier mobilen Luftfiltergeräten nach 30 Minuten eine um 90 Prozent reduzierte Konzentration gemessen.
Luftfilter in Klassenzimmern seien erheblich lauter als erlaubt, kritisieren die Gießer Forscher. Den Einwand, dass es im Winter durchs Lüften in der Klasse zu kalt werde, wollen sie nicht gelten lassen. Nach einem Temperaturabfall von sechs Grad Celsius hätten sich die Lufttemperaturen bereits nach vier bis sieben Minuten wieder fast auf dem Ausgangsniveau stabilisiert. Hochleistungs-Partikelfilter in Luftreinigern müssten zudem laut Norm mit Vorfiltern betrieben werden. Das sei aber nur bei teuren Geräten der Preisklasse über 4500 Euro regelmäßig der Fall. Ohne Vorfilter arbeite ein einfacher Luftreiniger im Laufe der Zeit nicht mehr effizient. Dann blieben mehr Aerosole in der Raumluft.