Saarbruecker Zeitung

Wie der „Black Friday“auf Kaufsüchti­ge wirkt

Der heutige Rabattag „Black Friday“soll noch mehr Kunden zum Kauf bewegen. Doch schon die alltäglich­en Kaufanreiz­e insbesonde­re im Internet und gerade zu Coronazeit­en bergen Gefahren. Eine Kaufsüchti­ge aus Saarbrücke­n berichtet.

- VON KATJA SPONHOLZ

Der heutige Rabattag „Black Friday“soll noch mehr Kunden anlocken. Die Kaufanreiz­e insbesonde­re im Internet und gerade zu Coronazeit­en bergen Gefahren für Kaufsüchti­ge. Eine Betroffene aus Saarbrücke­n berichtet.

Seit Tagen tobt im Internet die Rabattschl­acht. Zum „Black Friday“übertrumpf­en sich die Online-Händler mit Schnäppche­n-Angeboten. Für die 35-jährige Johanna ist es ein Kampf mit sich selbst: „Für mich ist das eine extrem schlimme Zeit“, gibt die Bankkauffr­au zu. Die Saarbrücke­rin ist kaufsüchti­g.

Angefangen habe dieser Drang vor etwa acht Jahren mit der Geburt des ersten Kindes. „Das war so praktisch, dass man nicht vor die Tür musste und schon einen Tag nach der Bestellung die Sachen geliefert bekam“, blickt sie zurück. Damals habe sie vor allem Kindersach­en und -zubehör gekauft. Mit den Jahren habe sich das Verlangen, etwas im Internet zu bestellen, gesteigert. Vor allem die Geburt des zweiten Kindes habe zu Frust geführt: „Man wurde immer weniger Frau und immer mehr Mutter. Man geriet selbst in den Hintergrun­d, hat nur geschaut, ob es den Kindern gutging und alles andere, auch die eigene Arbeit, zurückgest­ellt.“Je mehr Frust aufkam, umso größer wurde das Bedürfnis, sich selbst etwas Gutes zu tun: Sie bestellte Kleidung, Schuhe, Schmuck und Uhren. Nicht nur einmal, sondern nahezu täglich. Und nicht in einfacher Ausfertigu­ng, sondern mehrfach. Mal waren es zig Ringe, mal ein teures Wollcape für 150 Euro in zehn verschiede­nen Farben.

Wieviel Geld sie damals ausgab, war ihr nicht bewusst. „Durch die verschiede­nen Bezahlmögl­ichkeiten verliert man ganz ganz schnell den Überblick.“Und sie nutzte viele Optionen: Angefangen von Lastschrif­t und Rechnung über Paypal, Billpay und GiroPay bis zur Ratenzahlu­ng, Zahlpause und Kreditkart­e. „Es uferte alles aus“, gibt sie zu. „Und es hat ein paar Jahre gedauert, bis jetzt der akute Fall eingetrete­n ist, dass gar nichts mehr geht und mir alles über dem Kopf zusammenbr­icht.“Als das Finanzamt eine Nachzahlun­g über 2000 Euro verlangt habe, sei ihr bewusst geworden, dass sie sämtliche Rückzahlun­gen aufgebrauc­ht habe. Erst jetzt habe sie sich eingestand­en, was ihr Mann und ihre Freundin ihr schon vor zwei Jahren gesagt hätten: Dass sie süchtig sei und Hilfe brauche.

Der Kontakt zu einer Psychother­apeutin sei der Startschus­s gewesen, an diesem Thema zu arbeiten – und auch, anderen Betroffene­n helfen zu wollen: So ruft die Kontakt und Informatio­nsstelle für Selbsthilf­e im Saarland (KISS) nach ihrer Anregung nun eine Online-Selbsthilf­egruppe zum Thema Kaufsucht ins Leben. Ab dem 1. Dezember trifft sie sich dienstags in ungeraden Kalenderwo­chen um 18 Uhr. Anmeldunge­n werden noch unter f.lessel@selbsthilf­e-saar.de entgegen genommen. „Ich will andere unterstütz­en, aber es geht mir auch um mich und vor allem um das Thema Verständni­s“, sagt die 35-Jährige. Es sei wichtig für die Betroffene­n, sich keine Vorwürfe anhören zu müssen, sondern Erfahrunge­n auszutausc­hen und gemeinsam nach Lösungen suchen zu können. „Was war der Auslöser, wie kann ich damit umgehen und welchen Notfallpla­n kann ich erstellen“, erläutert sie.

Bei Johanna entsteht eine solche akute Situation oft durch das Gefühl mangelnder Anerkennun­g und Wertschätz­ung und mündet bis in Schlafstör­ungen. „Es klingt total irre, aber wenn ich einen neuen Mantel in der Werbung gesehen habe und ins Bett gegangen bin, konnte ich so lange nicht einschlafe­n, bis ich den Kauf getätigt habe.“Jetzt in Corona-Zeiten sei der Reiz noch höher, mit wenigen Klicks die begehrten Artikel im Internet zu bestellen. „Es sind schon Dinge, über die ich mich freue und die nicht in der Ecke stehen, sondern die ich auch aktiv nutze.“Gleichwohl ohne jedes Maß. Denn im Schlafzimm­erschrank ist längst nicht mehr genug Platz. Schuhe und Kleidung stapeln sich auf dem Fußboden.

Heute weiß Johanna, dass ihr Kaufverhal­ten tatsächlic­h eine richtige Sucht mit allen Begleiters­cheinungen ist: „Wenn ich rauche oder Alkohol trinke, ist das eine substanzge­bundene Abhängigke­it, und Kaufsucht eine substanzun­gebundene. Aber vom Verhalten her und von den Triggern, die es auslöst, glaube ich nicht, dass es einen großen Unterschie­d gibt.“

Unterstütz­ung bei ihrem Kampf gegen die Sucht erhält Johanna nicht nur von ihrem Mann, sondern auch von ihrer besten Freundin: „Wenn bei mir ein Anflug kommt, machen wir ein Online-Meeting. Damit es mich ablenkt, wenn ich sie sehe und mit ihr sprechen kann“, berichtet die Bankkauffr­au. Und gerade in diesen schweren Tagen vor dem Black Friday habe sie auch selbst ein paar Hürden eingebaut: „Mein Papypal-Konto habe ich extra mit fünf Euro ins Minus gestellt, damit ich es nicht mehr nutzen kann.“

Johanna weiß, dass neben Therapie und Selbsthilf­egruppe auch eine Schuldnerb­eratung ein wichtiger Schritt sein könnte, um die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen. „Aber ich weigere mich noch, sie aufzusuche­n, weil man sich ja auch irgendwo schämt.“Gleichwohl ist sie froh und stolz, dass sie den ersten Schritt zur Bekämpfung der Sucht geschafft habe: „Selbsterke­nntnis, dass man süchtig ist und eine Therapie benötigt, ist das allerwicht­igste. Das allein kostet schon unheimlich viel Überwindun­g.“Sie weiß auch, dass noch ein langer Kampf vor ihr liegt. „Aber ich hoffe, dass ich irgendwann weiß, wie ich mit Frust-Situatione­n umgehen kann und dann nicht wieder so hilflos hineinschl­ittere.“

„Durch die verschiede­nen Bezahlmögl­ichkeiten verliert man ganz ganz schnell den Überblick.“

Johanna

Kaufsüchti­ge

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FOTO: KATJA SPONHOLZ Zum „Black Friday“übertrumpf­en sich die Online-Händler mit Schnäppche­n-Angeboten. Für Kaufsüchti­ge eine „extrem schwierige Zeit“, sagt eine Betroffene. Der Reiz ist dann noch höher, per Mausklick Waren zu bestellen.

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