Kinderärzte für neue Quarantäne-Praxis an Saar-Schulen
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte im Saarland kommentiert in einem offenen Brief die Entscheidungen von Saar-Bildungsministern Streichert-Clivot (SPD).
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte im Saarland und das Paedine Saar Netzwerk haben die neue Quarantäne-Praxis an Saar-Schulen verteidigt. Bei ausreichendem Lüften und dem Tragen von Masken sei das Ansteckungsrisiko mit Corona im Klassenraum gering, erklärten die Mediziner in einem offenen Brief. Im Saarland müssen bei Vorliegen eines Corona-Falles nicht mehr alle Schüler einer Klasse, sondern nur direkte Kontaktpersonen in Quarantäne. Landespolitik
Die Bildungseinrichtungen müssen so lange wie möglich offen bleiben. Das ist das erklärte Ziel in der gesamten Bundesrepublik. Angesichts der hohen Infektionszahlen sehen viele ein Festhalten am Regelbetrieb mit Präsenzunterricht in den Schulen jedoch kritisch. Der Landesverband Saarland des Berufsverbands der Kinderund Jugendärzte und das Paedine Saar Netzwerk scheinen in ihrer Bewertung der Situation teilweise hinter den Entscheidungen der saarländischen Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) zu stehen. Sie haben gemeinsam einen offenen Brief zu den Herausforderungen und zum Umgang mit der Corona-Pandemie bei Kindern- und Jugendlichen verfasst.
Das Paedine (für pädiatrisch-Infektiologisch) Netzwerk Saar ist eine Initiative des Universitätsklinikums Homburg. Kooperationspartner sind unter anderem das Klinikum Saarbrücken, die Marienhaus Kliniken und das Saar-Gesundheitsministerium. Die Kinder- und Jugendärzte kommentieren auf zehn Seiten die Corona-Situation. Sie möchten damit „Schülern, Eltern,
Lehrern, Erziehern und weiteren einen medizinisch begründeten Ausblick auf die aktuellen Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stellen“.
Die Mediziner bewerten zum Beispiel den Einsatz von FFP2-Masken in Schulen. Lehrerverbände und Gewerkschaften hatten diese gefordert – für alle Lehrer, die sie tragen möchten. Sie sehen darin einen besseren Gesundheitsschutz. Streichert-Clivot hatte der Forderung nachgegeben und 250 000 Spezialmasken verteilt, 250 000 weitere sind bestellt. Zuvor waren die Masken nur für besonders gefährdete Lehrkräfte vorgesehen. Die Kinder- und Jugendärzte sehen die Spezial-Masken kritisch. Sie hätten zwar durchaus einen Nutzen – im medizinischen Bereich, bei engem Kontakt mit Patienten: „Zum Beispiel bei Intubation und Beatmung sowie bei medizinischen Eingriffen im Bereich der oberen Atemwege.“Aber nur, wenn die Masken ganz dicht am Gesicht anlägen, und nicht an der Maske vorbeigeatmet werde. FFP-Masken mit einem Ausatemventil schützten nur den Träger, „was in der Pandemiesituation nicht sinnvoll ist“, warnen die Mediziner sogar. Sie kommen zu dem Schluss: „Im Alltag sind Mund-Nasen-Bedeckung oder ein medizinischer Mund-Nasen-Schutz die am besten geeigneten Masken. FFP2- oder FFP3-Masken bringen im Alltag (außerhalb von medizinischen Behandlungen) keinen messbaren Vorteil.“
Visiere schützten den Angaben zufolge lediglich die Augen und das Gesicht vor Tröpfchen im näheren Bereich.
„FFP2- oder FFP3-Masken bringen im Alltag (außerhalb von medizinischen Behandlungen) keinen messbaren Vorteil.“
Landesverband Saarland des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte
„Sie haben keinerlei Bedeutung in Hinblick auf den Schutz vor der Einatmung von Tröpfchen oder auch von Aerosolen.“Visiere sollten, wenn überhaupt, immer nur in Kombination mit einem Mund-Nasen-Schutz getragen werden. „Auch der Schutz für Andere ist bei ausschließlichem Tragen eines Visiers nicht gegeben.“
Die viel diskutierten mobilen Luftreiniger brächten keinen relevanten zusätzlichen Nutzen zu den AHA + LRegeln (Abstand halten, Hygienemaßnahmen beachten, Alltagsmaske tragen, Lüften). Zu dieser Einschätzung kommt auch das Umweltbundesamt, auf dessen Empfehlung sich das Bildungsministerium wiederholt beruft (wir berichteten). Die Kosten der Geräte
spielten keine Rolle, sagen die Mediziner. Viel mehr ginge es um Effektivität und Praktikabilität. „Man bräuchte mehrere sehr leistungsfähige Geräte pro Klassenzimmer. In den hohen Leistungsstufen sind diese Geräte zu laut für den Unterricht.“Die Geräte hätten auch keinen Einfluss auf eine Übertragung der Viren im Nahbereich.
Vor Kurzem hatte Streichert-Clivot in Absprache mit dem Gesundheitsministerium die Quarantäneregelung in Schulen gelockert. Ist ein Schüler oder Lehrer infiziert, muss nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne. Das hatten einige Landräte gefordert. Lehrerverbände und Gewerkschaften wehren sich dagegen. Sie sehen den Gesundheitsschutz in Gefahr. Die Mediziner verweisen in ihrem offenen Brief auf das Robert-Koch-Institut. Das definiert ein hohes Ansteckungsrisiko in Situationen, wenn der Mindestabstand ohne eine Maske zu tragen für länger als 15 Minuten nicht eingehalten wird und, wenn man sich für mehr als 30 Minuten mit einem Infizierten in einem unzureichend gelüfteten Raum befindet. „Das bedeutet jedoch auch, dass bei Nichtzutreffen dieser Kriterien kein hohes Ansteckungsrisiko vorliegt“, sagt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Bei Einhaltung der AHA + L-Regeln sei das Übertragungsrisiko sehr klein. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Kinder- und Jugendärzte „ganz unmittelbar die Frage der Verhältnismäßigkeit von undifferenzierten Quarantäneanordnungen für ganze Klassenstufen oder Schulen (auch Kitas, etc.) beim Auftreten einzelner SarsCoV-2 Nachweise“. Deshalb die Frage, warum man ganze Klassen in Quarantäne schicken sollte.
Schulen und Kitas seien auch keine Treiber des Infektionsgeschehens. Vielmehr seien sie „sichere Orte für die dort betreuten Kinder und Jugendlichen sowie auch für die Lehrer, Erzieher und Betreuer“– sofern die Vorgaben des Musterhygieneplans eingehalten würden.
Der komplette offene Brief unter https://bit.ly/3l1wI1m