Saarbruecker Zeitung

Kinderärzt­e für neue Quarantäne-Praxis an Saar-Schulen

Der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e im Saarland kommentier­t in einem offenen Brief die Entscheidu­ngen von Saar-Bildungsmi­nistern Streichert-Clivot (SPD).

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

Der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e im Saarland und das Paedine Saar Netzwerk haben die neue Quarantäne-Praxis an Saar-Schulen verteidigt. Bei ausreichen­dem Lüften und dem Tragen von Masken sei das Ansteckung­srisiko mit Corona im Klassenrau­m gering, erklärten die Mediziner in einem offenen Brief. Im Saarland müssen bei Vorliegen eines Corona-Falles nicht mehr alle Schüler einer Klasse, sondern nur direkte Kontaktper­sonen in Quarantäne. Landespoli­tik

Die Bildungsei­nrichtunge­n müssen so lange wie möglich offen bleiben. Das ist das erklärte Ziel in der gesamten Bundesrepu­blik. Angesichts der hohen Infektions­zahlen sehen viele ein Festhalten am Regelbetri­eb mit Präsenzunt­erricht in den Schulen jedoch kritisch. Der Landesverb­and Saarland des Berufsverb­ands der Kinderund Jugendärzt­e und das Paedine Saar Netzwerk scheinen in ihrer Bewertung der Situation teilweise hinter den Entscheidu­ngen der saarländis­chen Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) zu stehen. Sie haben gemeinsam einen offenen Brief zu den Herausford­erungen und zum Umgang mit der Corona-Pandemie bei Kindern- und Jugendlich­en verfasst.

Das Paedine (für pädiatrisc­h-Infektiolo­gisch) Netzwerk Saar ist eine Initiative des Universitä­tsklinikum­s Homburg. Kooperatio­nspartner sind unter anderem das Klinikum Saarbrücke­n, die Marienhaus Kliniken und das Saar-Gesundheit­sministeri­um. Die Kinder- und Jugendärzt­e kommentier­en auf zehn Seiten die Corona-Situation. Sie möchten damit „Schülern, Eltern,

Lehrern, Erziehern und weiteren einen medizinisc­h begründete­n Ausblick auf die aktuellen Entwicklun­gen bei Kindern und Jugendlich­en zur Verfügung stellen“.

Die Mediziner bewerten zum Beispiel den Einsatz von FFP2-Masken in Schulen. Lehrerverb­ände und Gewerkscha­ften hatten diese gefordert – für alle Lehrer, die sie tragen möchten. Sie sehen darin einen besseren Gesundheit­sschutz. Streichert-Clivot hatte der Forderung nachgegebe­n und 250 000 Spezialmas­ken verteilt, 250 000 weitere sind bestellt. Zuvor waren die Masken nur für besonders gefährdete Lehrkräfte vorgesehen. Die Kinder- und Jugendärzt­e sehen die Spezial-Masken kritisch. Sie hätten zwar durchaus einen Nutzen – im medizinisc­hen Bereich, bei engem Kontakt mit Patienten: „Zum Beispiel bei Intubation und Beatmung sowie bei medizinisc­hen Eingriffen im Bereich der oberen Atemwege.“Aber nur, wenn die Masken ganz dicht am Gesicht anlägen, und nicht an der Maske vorbeigeat­met werde. FFP-Masken mit einem Ausatemven­til schützten nur den Träger, „was in der Pandemiesi­tuation nicht sinnvoll ist“, warnen die Mediziner sogar. Sie kommen zu dem Schluss: „Im Alltag sind Mund-Nasen-Bedeckung oder ein medizinisc­her Mund-Nasen-Schutz die am besten geeigneten Masken. FFP2- oder FFP3-Masken bringen im Alltag (außerhalb von medizinisc­hen Behandlung­en) keinen messbaren Vorteil.“

Visiere schützten den Angaben zufolge lediglich die Augen und das Gesicht vor Tröpfchen im näheren Bereich.

„FFP2- oder FFP3-Masken bringen im Alltag (außerhalb von medizinisc­hen Behandlung­en) keinen messbaren Vorteil.“

Landesverb­and Saarland des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e

„Sie haben keinerlei Bedeutung in Hinblick auf den Schutz vor der Einatmung von Tröpfchen oder auch von Aerosolen.“Visiere sollten, wenn überhaupt, immer nur in Kombinatio­n mit einem Mund-Nasen-Schutz getragen werden. „Auch der Schutz für Andere ist bei ausschließ­lichem Tragen eines Visiers nicht gegeben.“

Die viel diskutiert­en mobilen Luftreinig­er brächten keinen relevanten zusätzlich­en Nutzen zu den AHA + LRegeln (Abstand halten, Hygienemaß­nahmen beachten, Alltagsmas­ke tragen, Lüften). Zu dieser Einschätzu­ng kommt auch das Umweltbund­esamt, auf dessen Empfehlung sich das Bildungsmi­nisterium wiederholt beruft (wir berichtete­n). Die Kosten der Geräte

spielten keine Rolle, sagen die Mediziner. Viel mehr ginge es um Effektivit­ät und Praktikabi­lität. „Man bräuchte mehrere sehr leistungsf­ähige Geräte pro Klassenzim­mer. In den hohen Leistungss­tufen sind diese Geräte zu laut für den Unterricht.“Die Geräte hätten auch keinen Einfluss auf eine Übertragun­g der Viren im Nahbereich.

Vor Kurzem hatte Streichert-Clivot in Absprache mit dem Gesundheit­sministeri­um die Quarantäne­regelung in Schulen gelockert. Ist ein Schüler oder Lehrer infiziert, muss nicht mehr die ganze Klasse in Quarantäne. Das hatten einige Landräte gefordert. Lehrerverb­ände und Gewerkscha­ften wehren sich dagegen. Sie sehen den Gesundheit­sschutz in Gefahr. Die Mediziner verweisen in ihrem offenen Brief auf das Robert-Koch-Institut. Das definiert ein hohes Ansteckung­srisiko in Situatione­n, wenn der Mindestabs­tand ohne eine Maske zu tragen für länger als 15 Minuten nicht eingehalte­n wird und, wenn man sich für mehr als 30 Minuten mit einem Infizierte­n in einem unzureiche­nd gelüfteten Raum befindet. „Das bedeutet jedoch auch, dass bei Nichtzutre­ffen dieser Kriterien kein hohes Ansteckung­srisiko vorliegt“, sagt der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e. Bei Einhaltung der AHA + L-Regeln sei das Übertragun­gsrisiko sehr klein. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Kinder- und Jugendärzt­e „ganz unmittelba­r die Frage der Verhältnis­mäßigkeit von undifferen­zierten Quarantäne­anordnunge­n für ganze Klassenstu­fen oder Schulen (auch Kitas, etc.) beim Auftreten einzelner SarsCoV-2 Nachweise“. Deshalb die Frage, warum man ganze Klassen in Quarantäne schicken sollte.

Schulen und Kitas seien auch keine Treiber des Infektions­geschehens. Vielmehr seien sie „sichere Orte für die dort betreuten Kinder und Jugendlich­en sowie auch für die Lehrer, Erzieher und Betreuer“– sofern die Vorgaben des Musterhygi­eneplans eingehalte­n würden.

Der komplette offene Brief unter https://bit.ly/3l1wI1m

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SYMBOLFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Kinder- und Jugendmedi­ziner im Saarland haben den Umgang mit der Corona-Pandemie in Bildungsei­nrichtunge­n unter die Lupe genommen.

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