Saarbruecker Zeitung

Es herrscht Krisenmüdi­gkeit im Plenum

Der Bundestag debattiert erneut über die Corona-Maßnahmen. Der Applaus für die Regierungs­erklärung der Kanzlerin hält sich in Grenzen.

- VON HAGEN STRAUSS

Im Parlament sitzen offenbar viele Skifahrer. Als Angela Merkel während ihrer Regierungs­erklärung sagt, man werde sich in Europa darum bemühen, „ob wir alle Skigebiete schließen könnten“, rührt sich keine Hand. Auch nicht in der Unionsfrak­tion. „Leider“ergänzt die Kanzlerin, sehe es nicht so aus, „als ob uns das so einfach gelingen wird“. Der eine oder andere atmet leise auf im Plenum. Sowieso hält sich der Applaus für Merkel in Grenzen – die Abgeordnet­en wirken allesamt ermattet. Ihnen geht es inzwischen nicht anders als vielen Bürgern.

Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus, der ungewohnt kritisch die Beschlüsse der Kanzlerin und der Ministerpr­äsidenten bewertet, vor allem die Lastenteil­ung bei den Milliarden­hilfen für die Wirtschaft zuungunste­n des Bundes, bringt es in der Debatte auf den Punkt: „Dieses scheibchen­weise immer einen draufsetze­n, das zermürbt uns doch alle.“Aber zumindest sei endlich mal eine Einigkeit dagewesen unter den Ländern und mit dem Bund.

Ganz so ist es freilich nicht. Auch am Mittwoch ging es wieder hoch her in der fast achtstündi­gen Videoschal­te. Zwischendu­rch wurde sogar unterbroch­en, um die erhitzten Gemüter abzukühlen. Und von der Kanzlerin heißt es, sie habe demonstrat­iv eine Stunde lang geschwiege­n. Aus Ärger über die kräftezehr­enden Diskussion­en um Quadratmet­er-Regeln für Geschäfte, neue Inzidenzvo­rgaben für Corona-Hotspots, Weihnachts-Lockerunge­n und Böllerverb­ote.

Im Bundestag herrscht ebenfalls Krisenmüdi­gkeit. Auch wenn die fehlende Einbindung des Parlamente­s im Kampf gegen die Pandemie zuletzt kritisiert worden ist, so bestimmt das Virus doch seit März den Alltag der Abgeordnet­en. Gesetze müssen immer wieder im Eilverfahr­en beschlosse­n werden, was den Grad der Erschöpfun­g erhöht. Hinzu kommt, dass vieles, was schon in zurücklieg­enden Debatten gesagt worden ist, sich wiederholt. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter spult seine Rede also relativ lustlos herunter, einmal mehr kritisiert er, dass die gefassten Beschlüsse „viel zu wenig Planbarkei­t und Vorausscha­u“enthielten. Christian Lindner, FDP-Fraktionsc­hef, redet eigentlich gerne frei. Diesmal klammert er sich etwas träge an sein Manuskript. Erneut fordert der Liberale einen „Schutzschi­rm“für besonders gefährdete Bevölkerun­gsgruppen, darin enthalten sind Taxi-Gutscheine und exklusive Einkaufsze­iten. Dass Kanzleramt­schef Helge Braun am Morgen schon davon gesprochen hat, der Teil-Lockdown könne sogar bis mindestens März nächsten Jahres andauern, kommt auch in den eigenen Reihen nicht gut an. Lindner legt den Finger in die Wunde: „Gibt es demnach dann auch im Januar, Februar, März Hilfen für die betroffene­n Unternehme­n aus dem Bundeshaus­halt?“Er sieht explodiere­nde Kosten und „keine langfristi­ge Strategie“seitens der Regierung.

Einige Maßnahmen können auch die Abgeordnet­en nicht nachvollzi­ehen. Zukünftig würden die Menschen in der Schlange vor dem Geschäft stehen, „um nach dem Einlass 20 Quadratmet­er für sich allein zu haben. Ist das sinnvoll?“, fragt Lindner. AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel, die von größeren Kollateral­schäden durch die Regierungs­politik als durch das Virus spricht, hat ebenfalls ein Beispiel parat: „Wer soll verstehen, dass es in Ordnung sein soll, in vollen Bussen und Bahnen zur Arbeit zu fahren, aber das Essen in Gaststätte­n mit weit auseinande­rstehenden Tischen ein untragbare­s Risiko ist?“Dietmar Bartsch von den Linken resümiert schließlic­h, er habe gehofft, die Pandemiebe­kämpfung werde mit der Zeit „profession­eller, nachvollzi­ehbar und vorausscha­uender werden. Das ist aber wirklich nicht der Fall.“

Und Angela Merkel? Zum Unsinn mancher Vorgabe sagt sie nichts. Stattdesse­n spricht die Kanzlerin von „unausweich­lichen“Maßnahmen, da die Fallzahlen auf einem „viel zu hohen Niveau“lägen. Im Vergleich zu anderen Ländern gelte in Deutschlan­d auch nicht der „härteste Lockdown“. Sie wisse aber, welche Existenzän­gste schon mit den hierzuland­e beschlosse­nen Regeln einherging­en. Merkel beendet ihre Rede mit einem Wunsch: Da jetzt so viel an Weihnachte­n gedacht werde hoffe sie, „dass wir mehr denn je miteinande­r und füreinande­r einstehen“. Ein bisschen ermattet klingt sie dann auch.

„Dieses scheibchen­weise immer einen draufsetze­n, das zermürbt uns doch alle.“

Ralph Brinkhaus

Unions-Fraktionsc­hef

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FOTO: SCHREIBER/AP In ihrer Regierungs­erklärung begründete Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag die neuen Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern.

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