Kargers Leidenszeit ist zu Ende
Der Sommer-Neuzugang der SV Elversberg ist ins Mannschaftstraining eingestiegen und fiebert seinem Debüt entgegen.
Er fordert im Training des Fußball-Regionalligisten SV Elversberg lautstark die Bälle, wirft sich furchtlos in jeden Zweikampf und fühlt sich auch bei Richtungswechseln aus vollem Lauf wieder topfit – und vor allem schmerzfrei. „Das schönste Gefühl war, als ich das erste Mal wieder mit dem Ball trainieren konnte – das war wie Weihnachten“, sagt Nico Karger.
Der 27-Jährige ist einer der Gewinner der Corona-Pause und seit zwei Wochen wieder voll im Mannschaftstraining der SVE. „Es hört sich vielleicht komisch an, aber Corona hat mir die Zeit gegeben, um meinen Körper wieder ganz in Ruhe aufbauen zu können. Natürlich habe ich zu Saisonbeginn einige Spiele verpasst, aber jetzt kann es hoffentlich losgehen“, sagt der Neuzugang vom Drittligisten 1860 München voller Tatendrang.
Kargers wahnsinnige Leidenszeit fing im Mai 2019 mit einer Schambeinentzündung an. Er trainierte und spielte zunächst trotz Schmerzen weiter, doch irgendwann rebellierte der Körper. Er riss sich zwei Sehnen am Schambein ab. Es folgte eine erste Operation und ein erster Aufbau, der aber alles andere als optimal verlief. „Ich hatte weiterhin Schmerzen und fühlte mich ständig schlapp. Nach längerem Sitzen musste ich mich beim Aufstehen immer abstützen, und beim Aufstehen aus dem Bett musste ich mich herausrollen. Das ging fast ein Jahr lang so“, erzählt Karger – wohlgemerkt erst 27 Jahre alt.
Karger wurde im bayrischen Kronach geboren und wuchs dort auch auf. Mit 16 Jahren wechselte er zu 1860 München. In der vergangenen Saison kam er beim Drittligisten durch seine Verletzung nicht mehr in Form, und der Verein hatte kein Interesse mehr an ihm. Er erfuhr über das Internet, dass der Verein nicht mehr mit ihm plant und seine Trikotnummer schon weiter vergeben wurde. Die SV Elversberg wusste um die Stärken des offensiven Außenbahnspielers und verpflichtete Karger. Genaue Untersuchungen ergaben, dass sich im Schambein-Bereich noch viel entzündetes Gewebe befand. Also unterzog er sich im Sommer einer weiteren Operation, und die SVE gab ihm danach die notwendige Zeit, um mit Rehabilitations-Maßnahmen wieder ganz von vorne anzufangen.
„Obwohl ich noch kein Spiel gemacht habe, war der Wechsel nach Elversberg die beste Entscheidung, die ich getroffen habe. Vorher war ich bei unzähligen Ärzten und sollte zwischenzeitlich meine Verletzung sogar mit verschiedenen Atemtechniken auskurieren“, blickt der Bayer zurück. Das ist jetzt Vergangenheit.
Karger zog mit seiner Freundin und seinem Sohn zum ersten Mal aus München weg und landete im Saarland. Doch dort war bei weitem nicht alles gut. „Das Autofahren war am Anfang echt eine Katastrophe. Hier gibt es überall Kreisverkehre, und in manchen werden aus zwei Fahrspuren eine Spur. Da soll man sich mal zurechtfinden“, berichtet Karger und muss lachen. Passiert ist beim Autofahren aber noch nichts.
Er hatte noch zwei weitere Erlebnisse mit Saarländern, von denen eins nicht so schön und eins richtig toll war. Im Jahr 2013 scheiterte der Mittelfeldspieler mit der zweiten Mannschaft von 1860 München in der Relegation zur 3. Liga an der
SV Elversberg. Karger stand in beiden Spielen auf dem Platz. „Damals war ich 20 Jahre alt und noch viel zu jung, um zu wissen, um was es da ging. Das war dann im Jahr 2018 ganz anders“, sagt er rückblickend.
2018 standen sich die erste Mannschaft
von 1860 München und der 1. FC Saarbrücken ebenfalls in der Regionalliga zur 3. Liga gegenüber. Beim 3:2-Sieg in Saarbrücken erzielte Karger ein Tor, und beim 2:2 in München bereitete er das entscheidende Tor zum 2:2 vor. „Nach dem Tor wussten wir, dass wir es gepackt hatten. Es kann sich keiner vorstellen, welcher Druck damals auf uns lastete. Der Verein wäre tot gewesen, wenn wir den Aufstieg nicht geschafft hätten. Um so deutlicher fiel die Feier nach dem Spiel aus. Ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern. Der Aufstieg und die Feier danach waren das größte, was ich bislang im Fußball erlebt habe“, erinnert sich der 27-Jährige.
Jetzt ist er bei der SV Elversberg, und die möchte auch so schnell es geht in die 3. Liga. Nach seiner langen Leidenszeit ist er endlich in der Mannschaft angekommen und hat eine ganz neue Erfahrung gemacht. „Es gibt keine Grüppchenbildung bei der SVE. Jeder kann mit jedem. Das ist echt super, und das kannte ich bislang so noch nicht“, sagt er. Wann für ihn das erste Spiel mit der SVE auf dem Programm steht, weiß er wegen Corona noch nicht. Auf ein paar Wochen kommt es für ihn jetzt auch nicht mehr an. Spätestens aber am 22. Dezember (20.45 Uhr/ Sky) könnte es so weit sein. Dann trifft die SVE in der zweiten Runde des DFB-Pokals auf den Bundesligisten Borussia Mönchengladbach. Und vielleicht gibt es danach ja eine ähnliche Feier wie damals nach dem Aufstieg der 60er in die 3. Liga.
„Beim Aufstehen aus dem Bett musste ich mich herausrollen – das ging fast ein Jahr so.“
Nico Karger
Neuzugang der SV Elversberg