Kurzarbeitergeld für Pendler sorgt für Ärger
Bei der Besteuerung gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen aus Deutschland und Frankreich. Den Nachteil haben die Arbeitnehmer.
Grenzgänger aus Frankreich fühlen sich beim Kurzarbeitergeld diskriminiert. Grund ist ein Problem bei der Besteuerung, das sich wegen Corona verschärft – und auch politisch zu Ärger führt.
Bei Arsène Schmitt steht derzeit das Telefon nicht mehr still. Beim Vorsitzenden der Grenzgängervereinigung im Département Moselle rufen vor allem Menschen an, die in Lothringen leben, im Saarland arbeiten und sich derzeit in Kurzarbeit befinden. Coronabedingt betrifft diese Situation viel mehr Menschen als in den vergangenen Jahren. Denn sie fühlen sich durch die Regelungen zum Kurzarbeitergeld (KUG) gegenüber ihren Kollegen diskriminiert, die in Deutschland wohnen.
Gerät ein Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, hat aber Aussicht auf bessere Zeiten, kann der Arbeitgeber auf das Kurzarbeitergeld zugreifen, um eine Schließung des Betriebs zu verhindern. Er zahlt dieses seinen Angestellten und bekommt die Summe wie gesetzlich vorgeschrieben von der Bundesagentur für Arbeit zurück. „Kurzarbeitergeld berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Soll-Entgelt und dem Ist-Entgelt, also zwischen dem, was die Arbeitnehmer verdienen sollten und dem, was sie tatsächlich verdienen. Das heißt, für die Berechnung wird ein pauschaliertes Nettoentgelt zugrunde gelegt. Dieses beinhaltet den Abzug einer fiktiven deutschen Lohnsteuer und der Sozialabgaben. Von diesem ausgefallenen Netto-Entgelt erhalten die Berechtigten 60 Prozent. Beschäftigte mit mindestens einem Kind erhalten 67 Prozent“, erläutert die Arbeitsagentur in Saarbrücken.
In Deutschland wird das Kurzarbeitergeld als Entgeltersatzleistung betrachtet; es findet kein Steuerabzug auf die ausgezahlte Summe statt. Anders verhält es sich in Frankreich, wo das Kurzarbeitergeld, das de facto das Gehalt ersetzt, auch als solches angesehen und besteuert wird. Und genau da beginnt für Grenzgänger das Problem. Im Normalfall muss ein Pendler eine Freistellungsbescheinigung beim deutschen Finanzamt beantragen und seinem Arbeitgeber vorlegen, damit er dann in Frankreich – also am Wohnort – seine Steuer bezahlen kann. Ähnlich wie beim regulären Gehalt erhebt das französische Finanzamt auch auf das Kurzarbeitergeld eine Steuer. Somit werden Grenzgänger de facto doppelt besteuert: einmal, weil eine fiktive Steuer auf deutscher Seite für die Berechnung des Kurzarbeitergeldes abgezogen wird, und einmal in Frankreich auf den von deutscher Seite ausgezahlten Betrag. Verschärft hat sich die Situation, seit die Steuer in Frankreich nicht mehr jährlich, sondern monatlich erhoben wird.
Für viele Arbeitnehmer gerade im Niedriglohnsektor bedeutet das einen monatlichen Verlust von bis zu 400 Euro. Für Arsène Schmitt stellt dieser Zustand eine eklatante Diskriminierung der Grenzgänger dar. Für ihn ist ganz klar die deutsche Seite in der Pflicht. „Die Tatsache, dass dieses Kurzarbeitergeld nach einer Berechnungsmethode ermittelt wird, die den Abzug einer fiktiven deutschen Steuer berücksichtigt, ist ein Verstoß gegen den Artikel 13, Absatz 8 des Zusatzvertrags vom 31. März 2015 des Doppelbesteuerungsabkommens, das vorsieht, dass Ruhegehälter, Renten
– einschließlich Bezügen aus der gesetzlichen Sozialversicherung – und ähnliche Vergütungen nur in dem Staat besteuert werden können, in dem der Begünstigte ansässig ist. Es muss laut und deutlich betont werden, dass das KUG nochmals ganz besteuert wird in Frankreich“, also eine klare unerträgliche Doppeltbesteuerung, sagt Schmitt.
Das sieht man in Deutschland anders. „Faktisch besteht keine Ungleichbehandlung, da wie oben beschrieben die Berechnung für alle Leistungsberechtigten gemäß den gesetzlichen Regelungen erfolgt“, heißt es aus der Arbeitsagentur.
Auch bei der Arbeitskammer in Saarbrücken haben sich bereits betroffene Mitglieder gemeldet. „Wir kennen diese Problematik. Es handelt sich um ein äußerst schwieriges Problem“, sagt Egbert Ulrich, Stabsstellenleiter „grenzüberschreitende Projekte“, der SZ. Doch er plädiert auch in dieser Angelegenheit für ein sachliches Miteinander. Die Stimmung zwischen den Betroffenen, den Grenzgängerorganisationen und den deutschen Behörden sei derzeit angespannt. „Doch gegenseitige Schuldzuweisungen helfen niemandem“, so Ulrich. Ihm ist bewusst, in welche Lage betroffene Arbeitnehmer geraten können. „Ich glaube aber, dass die Problemlösung bei der französischen Finanzverwaltung liegt.“Eine Möglichkeit wäre aus seiner Sicht, dass Grenzgänger in Frankreich ebenso von der Steuer auf das Kurzarbeitergeld befreit wären, wie es in Deutschland bereits der Fall ist.
Mittlerweile hat der Streit die höchste staatliche Ebene erreicht, wo zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem französischen Finanzministerium in Paris um eine Lösung gerungen wird. Involviert ist auch der lothringische Abgeordnete Christophe Arend, der nicht nur in der französischen Nationalversammlung sitzt, sondern zusammen mit dem Deutschen Andreas Jung (CDU) den Vorsitz der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung innehat. Aus seiner Sicht muss die deutsche Verwaltung den Pendlern entgegenkommen. „Man sollte in diesem Stadium sogar vermeiden, weiterhin von ‚Doppelbesteuerung' zu sprechen, sondern im Gegenteil ganz klar sagen, dass Deutschland Grenzgänger diskriminiert, indem es eine fiktive Steuer auf der Grundlage der Berechnung ihrer Zulage abzieht, während die Zuständigkeit Frankreichs für die Erhebung der Steuer als Wohnsitzland des Arbeitnehmers seit 2015 nicht mehr angezweifelt wird“, sagt er der SZ. „Unter dem Vorwand, es handele sich um eine Sozialleistung, wollen die deutschen Ministerien Frankreich zum Verzicht auf die Besteuerung dieses Einkommens zwingen. Dies hat jedoch keine Legitimität“, sagt Arend.
„Es handelt sich um ein äußerst schwieriges Problem.“
Egbert Ulrich
Arbeitskammer des Saarlandes