Saarbruecker Zeitung

Meuthen liest seiner AfD die Leviten

Der Vorsitzend­e sorgt beim Parteitag in Kalkar für einen Eklat. Fraktionsc­hef Gauland schimpft: „Das spaltet die Partei.“

- VON WERNER KOLHOFF

Vieles war erwartet worden vom AfD-Parteitag in Kalkar. Dass die Behörden ihn wegen Nichteinha­ltung der Hygiene-Vorschrift­en vorzeitig beenden würden, zum Beispiel. Doch die 600 Delegierte­n waren sehr disziplini­ert. Oder eine Spaltung in der Sozialpoli­tik. Hier aber fand man mit großer Mehrheit ein Konzept. Niemand hatte im Vorfeld jedoch damit gerechnet, dass Jörg Meuthen, einer von zwei Vorsitzend­en, für einen Eklat sorgen würde. Und zwar mit massiver Kritik an den eigenen Leuten.

Der 59-jährige Parteispre­cher und Europaabge­ordnete kam in seiner Eröffnungs­rede am Sonnabend sofort auf die Lage seiner Partei zu sprechen, die derzeit in den Umfragen bei sieben Prozent dümpelt. Die AfD sei nach vielen Erfolgen „an einem Punkt, an dem alles wieder kaputt gehen kann“, sagte er. Und das liege am Auftreten eigener Mitglieder. So hätten Bundestags­abgeordnet­e Corona-Demonstran­ten, „die rumkrakeel­en und rumprollen“, unterstütz­t. Das seien Leute, die zum Teil „nicht geradeaus, geschweige denn querdenken können“. Meuthen schilderte das Beispiel eines Abgeordnet­en, der bei einer solchen Demonstrat­ion ein Gerangel mit der Polizei provoziert habe. „So etwas ist Kindergart­en.“Außerdem kritisiert­e er den Begriff „Corona-Diktatur“, allerdings ohne zu erwähnen, dass ihn der AfD-Fraktionsu­nd Ehrenvorsi­tzende Alexander Gauland benutzt hatte: „Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag nicht abhalten.“Das Infektions­schutzgese­tz sei auch kein „Ermächtigu­ngsgesetz“. Meuthen verlangte von seiner Partei, eine „seriöse Alternativ­e“zu sein und nicht „immer enthemmter“aufzutrete­n. Der Parteispre­cher: „Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar bald, oder wir scheitern.“

Die Reaktion auf diese Rede zeigte erneut die Spaltung der AfD. Es gab Buhrufe genauso wie stehenden Applaus. Der Versuch eines empörten Teilnehmer­s, eine Gegenrede zu halten, wurde von der Tagungslei­tung

abgebroche­n; eine Debatte über das Grußwort des Vorsitzend­en war an dieser Stelle nicht vorgesehen. Sie fand erst am Sonntag statt, als ein Antrag aus Freiburg auf der Tagesordnu­ng stand, der Meuthen

„spalterisc­hes Gebaren“vorwarf. Er war unabhängig von der aktuellen Rede eingebrach­t worden, offenbar als Reaktion auf den von Meuthen im Mai betriebene­n Rauswurf des Parteivors­tandsmitgl­iedes Andreas Kalbitz wegen rechtsextr­emer Kontakte. Über diesen Antrag gab es eine heftige, sehr emotionale und teilweise giftige Debatte. Die Delegierte­n teilten sich ziemlich genau zur Hälfte in ein Pro- und ein Contra-Meuthen-Lager. Allerdings kam es am Ende nicht zu einer Abstimmung,

weil eine knappe Mehrheit den Antrag schließlic­h von der Tagesordnu­ng nahm. Die beiden Fraktionsv­orsitzende­n meldeten sich nicht direkt zu Wort, äußerten sich aber am Rande in Interviews über Meuthens Rede. „Ich verstehe diese Kritik nicht“, sagte Fraktionsc­hefin Alice Weidel. Und der Ehrenvorsi­tzende Gauland schimpfte: „Das spaltet die Partei.“Meuthen habe „viele Leute vor den Kopf gestoßen“. Gauland musste den Parteitag am Sonntag wegen Unwohlsein­s vorzeitig verlassen und sich in einem Krankenhau­s untersuche­n lassen.

Vergleichs­weise harmonisch verlief die Debatte über das Sozialkonz­ept. 2018 waren hier Meuthen und die Galionsfig­ur des rechtsextr­emen „Flügels“, Björn Höcke, aneinander­geraten. Meuthen wollte damals die Abkehr von der gesetzlich­en Rentenvers­icherung und eine weitgehend private Altersvors­orge durchsetze­n; Höcke im Gegensatz dazu einen Ausbau der gesetzlich­en Rente inklusive eines Zuschlages nur für deutsche Rentner. Die Entscheidu­ng darüber war mehrfach verschoben worden. Inzwischen hatte sich jedoch die Programmko­mmission der Partei auf einen Leitantrag verständig­t, der keine der Extremposi­tion mehr beinhaltet. Er wurde in Kalkar mit 88-prozentige­r Mehrheit beschlosse­n. Kernpunkte: Die Überalteru­ng wird als Hauptgrund für die Rentenprob­leme ausgemacht, weswegen das Kinderkrie­gen weiter gefördert werden soll. Unter anderem sollen Eltern für jedes Kind Einzahlung­en in die Rentenkass­e in Höhe von 20 000 Euro erstattet bekommen. Auch Selbststän­dige sollen sich gesetzlich versichern, und der Beamtensta­tus soll auf den engen Bereich der Sicherheit­sdienste begrenzt werden, um die Beitragsba­sis zu verbreiten. Politikerp­ensionen soll es ebenfalls nicht mehr geben und die private Vorsorge gestärkt werden.

Etliche Gegenanträ­ge, die auf eine einheitlic­he Grundsiche­rung aus Steuermitt­eln ergänzt um private Vorsorge setzten, wurden per Mehrheitsb­eschluss erst gar nicht zur Beratung zugelassen.

„Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag

nicht abhalten.“

Jörg Meuthen

Vorsitzend­er der AfD

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DP ?? Jörg Meuthen redet Klartext auf dem AfD-Parteitag in Kalkar. Vor allem kritisiert er das Auftreten von Bundestags­abgeordnet­en aus den eigenen Reihen, die Corona-Demonstran­ten, die „rumkrakeel­en und rumprollen“, unterstütz­ten. Die Partei sei dabei, bisherige Erfolge zu verspielen.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DP Jörg Meuthen redet Klartext auf dem AfD-Parteitag in Kalkar. Vor allem kritisiert er das Auftreten von Bundestags­abgeordnet­en aus den eigenen Reihen, die Corona-Demonstran­ten, die „rumkrakeel­en und rumprollen“, unterstütz­ten. Die Partei sei dabei, bisherige Erfolge zu verspielen.

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