Saarbruecker Zeitung

Die AfD wird die Geister nicht mehr los

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Jörg Meuthen ist schon der dritte Zauberlehr­ling der AfD, der versucht, die Geister wieder in die Flasche zu bekommen. Bernd Lucke, dem Parteigrün­der und Euroskepti­ker, war 2015 nicht mehr geheuer, wie viele Ausländerh­asser er auf den Plan gerufen hatte. Er wurde abgewählt. Frauke Petry störte sich an zu engen Kontakten zu Rechtsextr­emisten und schied 2017 aus. Meuthen, der bis hierhin alles mitgemacht hat, kritisiert nun den Schultersc­hluss vieler AfD-Vertreter mit Reichsbürg­ern, Verschwöru­ngstheoret­ikern und Corona-Leugnern. „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“So dichtete Goethe, das war auch Meuthens Klage am Sonnabend in Kalkar.

Egal, ob die Warnung des Parteispre­chers nur taktisch begründet oder ehrlich gemeint ist, in der Sache ist sein Einwand auch für eingefleis­chte AfD-Anhänger nicht von der Hand zu weisen: Das ungebührli­che Verhalten von Abgeordnet­en im Bundestag und der Schultersc­hluss mit schrägen Corona-Querdenker­n überall im Land schreckt bürgerlich­e und kleinbürge­rliche Wähler ab. Die sind nämlich (noch) nicht so weit weg vom Vertrauen in den demokratis­chen Staat wie einige AfD-Funktionär­e. Nicht so weit, wie etwa der brave Parlamenta­rier Hilse, um ein Beispiel für viele zu nennen, der vorletzte Woche am Reichstag mit Polizisten rangelte, oder wie sein braver Kollege Brandner, der sich wie ein Pubertiere­nder bei Maskenkont­rollen auf der Zugtoilett­e einschließ­t. Im Gegenteil, die Regierungs­politik gegen die Pandemie findet große und wachsende Unterstütz­ung im Volk.

Man wird sehen, ob Meuthen seinen hellen Moment politisch überlebt. Im Moment nutzt ihm, dass keine Vorstandsw­ahlen anstehen. Seine Gegner sind stark, sie repräsenti­erten beim Parteitag in Kalkar die Hälfte der Delegierte­n. Ihre Sorge: Als brave bürgerlich­e Partei droht der AfD eine Randexiste­nz. Diese Furcht ist berechtigt, denn für seriöse konservati­ve Politik gibt es bessere Alternativ­en, allen voran die FDP und die CDU. Am Rentenkonz­ept, das in Kalkar verabschie­det wurde, wird das deutlich. Ein paar Akzente in der Familienfö­rderung, das war`s. Keine Aussagen zur künftigen Rentenhöhe oder zur künftigen Höhe des Rentenbeit­rages, also zu den Kernproble­men. Und dort, wo es konkret wurde, bei der Einbeziehu­ng von Beamten und Selbststän­digen in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung, dürfte der Beschluss die Partei eher noch Stimmen kosten.

Hygienetec­hnisch war das AfD-Treffen in Kalkar kein Problem, die Delegierte­n haben sich weitgehend an die Regeln gehalten. Trotzdem muss die Partei sich fragen, was es gebracht hat, diese Veranstalt­ung durchzuzie­hen. Denn von ihr bleiben zwei Erkenntnis­se: Der Versuch, immer die jeweiligen Wutbürger für sich zu mobilisier­en, ist kurzatmig. Er führt zur Radikalisi­erung und am Ende zur Spaltung der AfD. Und in der Sozialpoli­tik hat die Partei wenig zu bieten. Die aktuell sieben Prozent in den Umfragen sind noch geschmeich­elt.

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