Saarbruecker Zeitung

Die „Titanic“hatte eine zuverlässi­ge Schwester

Die Kulisse des weltberühm­ten Films über den Untergang der „Titanic“entstand nur, weil Einrichtun­gsgestände des baugleiche­n Dampfers „Olympic“bei Auktionen auftauchte­n. Teile davon überlebten im Saarland.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Diese Seefahrer-Geschichte beginnt in der Belfaster Werft Harland und Wolff, spielt weitgehend auf dem Atlantik und endet in Differten, in einer Garage. Sie geht so. Es waren mal drei Schwestern-Ozeandampf­er. Baugleich, einer so schön wie der andere. Zwei sanken, der dritte absolviert­e 257 Atlantik-Überquerun­gen und brachte 430 000 Passagiere sicher ans Ziel. Aber nur eines der Schiffe ging als Luxus-Ikone früher Vergnügung­s-Schifffahr­t und als Inbegriff der Katastroph­en der Seefahrt in die Geschichts­bücher ein. Das war die „Titanic“, die am 15. April 1912 mit knapp 1500 Passagiere­n vor Neufundlan­d unterging. Auch ihr Schwestern­schiff, die „Britannic“, die im Ersten Weltkrieg als Lazarettsc­hiff eingesetzt wurde, liegt seit 1916 in der Ägäis auf dem Meeresgrun­d, versenkt durch eine deutsche U-Boot-Mine.

Weniger spektakulä­r verlief das Schicksal für das dritte Schiff, die „Olympic“. Doch sie bekommt jetzt endlich einen publikumsw­irksamen Auftritt, in der Völklinger Gebläsehal­le. Dabei müsste die „Olympic“längst berühmt sein, denn ohne sie gäbe es all die historisch bestechend­en Kinobilder aus dem „Titanic“-Film von 1997 nicht. Das lässt sich in der „Mon Trésor“-Schau überprüfen. Dort sind Original-Inneneinri­chtungs-Teile aus der „Olympic“wie eine Theaterkul­isse aufgebaut. Die wirken verblüffen­d unscheinba­r, obwohl sie aus dem Treppenhau­s der ersten Klasse stammen: Holzvertäf­elungen samt prunkendem Gemälde-Stillleben und antiken Säulen sowie Wand-Elemente aus dem Gymnastikr­aum samt Fenster. An dessen Eichen-Rahmen klebt spateldick rosabeige Farbe, wenig sorgsam aufgebrach­t. Risse enthüllen als Vorgänger-Farbton lichtes Grün, und drunter schimmert es gold-oliv. Shabby-Look statt mondänes Luxus-Ambiente? Das ist schnell erklärt. Einerseits waren in den 1920er Jahren, als das Fliegen nur etwas für Abenteurer war und Schiffe das Standard-Transportm­ittel zur Atlantik-Überquerun­g, berühmte Passagiere an Bord, etwa Charlie Chaplin oder Prinz Edward, der spätere englische Skandal-König. Anderersei­ts wurde die „Olympic“im Ersten Weltkrieg als Truppentra­nsporter eingesetzt, und ihre Reederei, die White Star Line, die sich von der Titanic-Katastroph­e

nie ganz erholt hatte, litt unter finanziell­en Schwierigk­eiten.

Bis 1935 tat die „Olympic“treu und brav ihren Linien-Dienst, von Southampto­n nach New York. Bis 1935. Ihr Abwrack-Hafen hieß Jarrow in Nordenglan­d, rund zwei Jahre dauerte das Ausschlach­ten. Die Inneneinri­chtung landete auf zahlreiche­n Auktionen.

Auf diesem Weg kam das Groß-Exponat auch ins Saarland. Es stammt aus der deutschlan­dweit wohl größten Privatsamm­lung zur Geschichte der zivilen Schifffahr­t. Matthias Trennheuse­r (57), von Beruf Apotheker in Differten, hat sie in 40 Jahren zusammenge­tragen. Das war nicht nur eine Hobby-Beschäftig­ung, denn der Seefahrts-Begeistert­e hat nicht nur in Pharmazie, sondern auch in Kunstgesch­ichte promoviert, zum Thema „Die innenarchi­tektonisch­e Einrichtun­g deutscher Passagiers­chiffe zwischen 1880 und 1940“. Deshalb besitzt Trennheuse­r nicht nur 16 000 Bücher, hunderte von Dokumenten und Karten, sondern auch Mobiliar und Innen-Ausstattun­gs-Ensembles. Vor rund 20 Jahren entdeckte er in einem Auktions-Katalog

das „Olympic“-Mobiliar, erstand die komplette Wandabdeck­ung, rund 40 Meter lang, zum „überschaub­aren Preis von zwei VW Golf“, wie er sagt, und wollte sie ursprüngli­ch mal in sein Haus integriere­n, in die Bibliothek.

Der Entwurf zur Schiffs-Innenausst­attung stammte von Alexander Carlisle, einem Geschäftsf­ührer von Harland & Wolff. Was eher ungewöhnli­ch war, engagierte­n die Reedereien dafür doch gerne Top-Architekte­n, denn sie standen beim Bau von Transatlan­tik-Schiffen nicht nur im Wettbewerb, was Größe und Schnelligk­eit anging, sie verstanden deren Outfit außerdem als nationale Leistungss­chau. Doch mag das „Olympic“-Design auch schwächeln, historisch sind die Teile

einzigarti­g. „Näher als durch diese Wand-Verkleidun­gen kommt man nirgendwo auf der Welt an die Titanic heran“, sagt Hendrik Kersten, der sich in der „Mon Trésor“-Ausstellun­g um die „Olympic“-Inszenieru­ng gekümmert hat. Warum? Ausgerechn­et von der Titanic sind keine Bau-Dokumentat­ion auf Foto-Platten überliefer­t, obwohl dies bei Harland & Wolff üblich war. Dem hingegen war jedes Schräubche­n der „Olympic“festgehalt­en. Und genau auf diese Dokumente griff Regisseur James Cameron für seinen später Oscar-prämierten Film (1997) zurück, ließ danach die Kulisse bauen. „Der Film ist gruselig, aber das Bühnenbild brillant“, sagt Trennheuse­r. „Das Besondere an der Olympic-Klasse war: Es war der erste Schiffstyp, der in Serie gebaut wurde.“Deshalb trägt alles aus der „Olympic“die Seriennumm­er 400, die „Titanic“hatte die Nummer 401. Dieser Umstand könnte jetzt den Dolchstoß für eine „Verschwöru­ngstheorie“bringen: Nicht die „Titanic“liege auf dem Meeresgrun­d, lautet die Saga, sondern die „Olympic“. Doch wer in der Gebläsehal­le hinter die Fassade schaut, sieht auf einem Holzpaneel die Nummer 400 aufgedruck­t. „Das Paneel ist eineindeut­ig“, erklärt Trennheuse­r.

Doch was kann man gegen Phantasie schon ausrichten, zumal es so viele ungehobene Geschichts-Schätze rund um die drei Dampfer-Schwestern aus England gibt, die erzählt werden wollen? Etwa die des Kapitäns Edward John Smith, der die Jungfernfa­hrt der „Olympic“kommandier­te und später mit der „Titanic“unterging. Und wer weiß schon, dass die „Olympic“, die sich auf der Rückreise nach Europa befand, den Notruf ihres Schwesters­chiffs „Titanic“empfing? Sie fuhr zwar mit Höchstgesc­hwindigkei­t Richtung Unglücksst­elle, doch sie war fast 1000 Kilometer – 20 Stunden – weit entfernt. Nach dem „Tod“ihrer Schwester wurde sie mit zusätzlich­en Rettungsbo­oten und einer doppelten Außenhaut ausgestatt­et. Sie versenkte ein U-Boot, überstand eine Monsterwel­le. Und machte ihrem Spitznamen – „alte Zuverlässi­ge – (old Reliable) Ehre.

Die „Olympic“war bis 1935 im Linien-Dienst von Southampto­n nach New York, dann wurde sie abgewrackt und die Inneneinri­chtung versteiger­t.

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FOTO: OLIVER DIETZE Der Sammler Matthias Trennheuse­r steht vor Relikten des Dampfers „Olympic“, der Schwester der „Titanic“, in der Ausstellun­g „Mon Tresor“in Völklingen.

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