Die „Titanic“hatte eine zuverlässige Schwester
Die Kulisse des weltberühmten Films über den Untergang der „Titanic“entstand nur, weil Einrichtungsgestände des baugleichen Dampfers „Olympic“bei Auktionen auftauchten. Teile davon überlebten im Saarland.
Diese Seefahrer-Geschichte beginnt in der Belfaster Werft Harland und Wolff, spielt weitgehend auf dem Atlantik und endet in Differten, in einer Garage. Sie geht so. Es waren mal drei Schwestern-Ozeandampfer. Baugleich, einer so schön wie der andere. Zwei sanken, der dritte absolvierte 257 Atlantik-Überquerungen und brachte 430 000 Passagiere sicher ans Ziel. Aber nur eines der Schiffe ging als Luxus-Ikone früher Vergnügungs-Schifffahrt und als Inbegriff der Katastrophen der Seefahrt in die Geschichtsbücher ein. Das war die „Titanic“, die am 15. April 1912 mit knapp 1500 Passagieren vor Neufundland unterging. Auch ihr Schwesternschiff, die „Britannic“, die im Ersten Weltkrieg als Lazarettschiff eingesetzt wurde, liegt seit 1916 in der Ägäis auf dem Meeresgrund, versenkt durch eine deutsche U-Boot-Mine.
Weniger spektakulär verlief das Schicksal für das dritte Schiff, die „Olympic“. Doch sie bekommt jetzt endlich einen publikumswirksamen Auftritt, in der Völklinger Gebläsehalle. Dabei müsste die „Olympic“längst berühmt sein, denn ohne sie gäbe es all die historisch bestechenden Kinobilder aus dem „Titanic“-Film von 1997 nicht. Das lässt sich in der „Mon Trésor“-Schau überprüfen. Dort sind Original-Inneneinrichtungs-Teile aus der „Olympic“wie eine Theaterkulisse aufgebaut. Die wirken verblüffend unscheinbar, obwohl sie aus dem Treppenhaus der ersten Klasse stammen: Holzvertäfelungen samt prunkendem Gemälde-Stillleben und antiken Säulen sowie Wand-Elemente aus dem Gymnastikraum samt Fenster. An dessen Eichen-Rahmen klebt spateldick rosabeige Farbe, wenig sorgsam aufgebracht. Risse enthüllen als Vorgänger-Farbton lichtes Grün, und drunter schimmert es gold-oliv. Shabby-Look statt mondänes Luxus-Ambiente? Das ist schnell erklärt. Einerseits waren in den 1920er Jahren, als das Fliegen nur etwas für Abenteurer war und Schiffe das Standard-Transportmittel zur Atlantik-Überquerung, berühmte Passagiere an Bord, etwa Charlie Chaplin oder Prinz Edward, der spätere englische Skandal-König. Andererseits wurde die „Olympic“im Ersten Weltkrieg als Truppentransporter eingesetzt, und ihre Reederei, die White Star Line, die sich von der Titanic-Katastrophe
nie ganz erholt hatte, litt unter finanziellen Schwierigkeiten.
Bis 1935 tat die „Olympic“treu und brav ihren Linien-Dienst, von Southampton nach New York. Bis 1935. Ihr Abwrack-Hafen hieß Jarrow in Nordengland, rund zwei Jahre dauerte das Ausschlachten. Die Inneneinrichtung landete auf zahlreichen Auktionen.
Auf diesem Weg kam das Groß-Exponat auch ins Saarland. Es stammt aus der deutschlandweit wohl größten Privatsammlung zur Geschichte der zivilen Schifffahrt. Matthias Trennheuser (57), von Beruf Apotheker in Differten, hat sie in 40 Jahren zusammengetragen. Das war nicht nur eine Hobby-Beschäftigung, denn der Seefahrts-Begeisterte hat nicht nur in Pharmazie, sondern auch in Kunstgeschichte promoviert, zum Thema „Die innenarchitektonische Einrichtung deutscher Passagierschiffe zwischen 1880 und 1940“. Deshalb besitzt Trennheuser nicht nur 16 000 Bücher, hunderte von Dokumenten und Karten, sondern auch Mobiliar und Innen-Ausstattungs-Ensembles. Vor rund 20 Jahren entdeckte er in einem Auktions-Katalog
das „Olympic“-Mobiliar, erstand die komplette Wandabdeckung, rund 40 Meter lang, zum „überschaubaren Preis von zwei VW Golf“, wie er sagt, und wollte sie ursprünglich mal in sein Haus integrieren, in die Bibliothek.
Der Entwurf zur Schiffs-Innenausstattung stammte von Alexander Carlisle, einem Geschäftsführer von Harland & Wolff. Was eher ungewöhnlich war, engagierten die Reedereien dafür doch gerne Top-Architekten, denn sie standen beim Bau von Transatlantik-Schiffen nicht nur im Wettbewerb, was Größe und Schnelligkeit anging, sie verstanden deren Outfit außerdem als nationale Leistungsschau. Doch mag das „Olympic“-Design auch schwächeln, historisch sind die Teile
einzigartig. „Näher als durch diese Wand-Verkleidungen kommt man nirgendwo auf der Welt an die Titanic heran“, sagt Hendrik Kersten, der sich in der „Mon Trésor“-Ausstellung um die „Olympic“-Inszenierung gekümmert hat. Warum? Ausgerechnet von der Titanic sind keine Bau-Dokumentation auf Foto-Platten überliefert, obwohl dies bei Harland & Wolff üblich war. Dem hingegen war jedes Schräubchen der „Olympic“festgehalten. Und genau auf diese Dokumente griff Regisseur James Cameron für seinen später Oscar-prämierten Film (1997) zurück, ließ danach die Kulisse bauen. „Der Film ist gruselig, aber das Bühnenbild brillant“, sagt Trennheuser. „Das Besondere an der Olympic-Klasse war: Es war der erste Schiffstyp, der in Serie gebaut wurde.“Deshalb trägt alles aus der „Olympic“die Seriennummer 400, die „Titanic“hatte die Nummer 401. Dieser Umstand könnte jetzt den Dolchstoß für eine „Verschwörungstheorie“bringen: Nicht die „Titanic“liege auf dem Meeresgrund, lautet die Saga, sondern die „Olympic“. Doch wer in der Gebläsehalle hinter die Fassade schaut, sieht auf einem Holzpaneel die Nummer 400 aufgedruckt. „Das Paneel ist eineindeutig“, erklärt Trennheuser.
Doch was kann man gegen Phantasie schon ausrichten, zumal es so viele ungehobene Geschichts-Schätze rund um die drei Dampfer-Schwestern aus England gibt, die erzählt werden wollen? Etwa die des Kapitäns Edward John Smith, der die Jungfernfahrt der „Olympic“kommandierte und später mit der „Titanic“unterging. Und wer weiß schon, dass die „Olympic“, die sich auf der Rückreise nach Europa befand, den Notruf ihres Schwesterschiffs „Titanic“empfing? Sie fuhr zwar mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Unglücksstelle, doch sie war fast 1000 Kilometer – 20 Stunden – weit entfernt. Nach dem „Tod“ihrer Schwester wurde sie mit zusätzlichen Rettungsbooten und einer doppelten Außenhaut ausgestattet. Sie versenkte ein U-Boot, überstand eine Monsterwelle. Und machte ihrem Spitznamen – „alte Zuverlässige – (old Reliable) Ehre.
Die „Olympic“war bis 1935 im Linien-Dienst von Southampton nach New York, dann wurde sie abgewrackt und die Inneneinrichtung versteigert.