Saarbruecker Zeitung

Hinter den Türchen warten die Abenteuer

Saarbrücke­ns Überzwerge haben sich zur Adventsles­ung – diesmal online – Cornelia Funkes „Hinter verzaubert­en Fenstern“ausgesucht. Dabei werden auch live Bilder für gute Zwecke gemalt.

- VON ANJA KERNIG

Eigentlich hätte man jetzt schon ein paar Plätzchen zu viel intus und eine leise Ahnung, dass der Glühwein in der Pause auch noch zu seinem Recht käme. In jedem Fall fiele das Outfit netter aus, die Kinder hätten die „guten Sachen“an, und das Handy würde in der Tasche schlafen. Wir würden oben auf der Tribüne sitzen, dicht an dicht. Dass sich kurz vor knapp noch jemand in die Reihe quetscht, gehörte ebenfalls zum Ritual. Alle wären ein bisschen aufgekratz­t – unglaublic­h, dass man diesen Adventssam­stag freigeboxt und sogar noch Karten ergattert hat. Und diese Vorfreude, gleich etwas Wunderbare­s, Neues zu erleben: Musiker, die man hier nie vermutet hätte, Künstler, denen man beim Pinseln über die Schulter schaut und handverles­ene Geschichte­n, die es vermögen, den eingeroste­ten Weihnachts­schalter im Herzen umzulegen.

Stattdesse­n sitzt man jetzt daheim in der Küche mit mäßigem Budenzaube­r. Der Countdown bei YouTube nähert sich der 00:00:00, und schwupp, ist man per Laptop zu Gast bei den Saarbrücke­r Überzwerge­n. Deren Bühnenbild besteht aus einem XXL-Adventskal­ender plus ein paar Kleinmöbel­n. „Hallo und herzlich willkommen zur Adventsles­ung im Virenjahr 2020“, sagt Eva Coenen – in korrektem Abstand zu ihrer Mitmoderat­orin auf der blauweiß karierten Patchworkd­ecke, unter der man ein Klappbett erahnen kann. Unsicherhe­it schwingt mit: Wie redet man mit einem Online-Publikum? Die im Kinderthea­ter gängige Interaktio­n fällt ja komplett weg. Immerhin: Es gibt auch Grund zur Freude, „Hinter verzaubert­en Fenstern – Eine geheimnisv­olle Adventsges­chichte“von Cornelia Funke nämlich. „Dieses Buch wollten wir schon seit Jahren lesen, aber es passte nie ins Format.“Corona indes schafft das Unmögliche: Endlich kann man die 16 Kapitel komplett zu Gehör bringen – in vier Etappen und mit einer für Überzwerg-Verhältnis­se fast üppigen Besetzung, nämlich zu fünft.

Und los geht's: Julia wartet auf ihren Adventskal­ender. Als die Mutter eintrifft, genervt vom Shopping oder etwas ganz anderem, könnte die Enttäuschu­ng kaum schlimmer sein: Der putzige Schokolade­n-Kalender mit aufgedruck­tem Nikolaus-Engel-Tier-Stammperso­nal geht an den kleinen nervigen Bruder. Für die ja schon „große“Neunjährig­e gibt's stattdesse­n einen schlichten Bilderkale­nder in Form eines „großen, blöden, dunklen Hauses mit blöden Bäumen“.

Hah! – Jetzt ist es so wie immer! Nur schöner. Die Akteure geben ihrem Affen Zucker, allen voran Anna und Gerrit Bernstein, die die Geschwiste­r lesend spielen. In der Mitte der Bühne sitzt Sabine Merziger tiefenents­pannt im Sessel und führt durch die Handlung. Neben-hinter ihr, quasi im Kalender, malt Nathalie Nierengart­en im Akkord. Die Illustrato­rin und Grafikdesi­gnerin gehört zur Kreativgem­einschaft „Bureau Stabil“. Extra angereist aus Lothringen, produziert sie während der guten halben Stunde 14 Bilder. Diese werden zusammen mit den Arbeiten der an den kommenden Samstagen hier tätigen Kollegen Joni Majer, Miri d'Oro und Bernd Kissel zugunsten regionaler Frauenhäus­er versteiger­t.

Und Julia? Deren erster Frust weicht relativ schnell einer großen Neugier. Denn hinter den Kalender-Türchen tut sich was, und plötzlich findet sich das Mädchen mitten in ihrem Adventskal­ender wieder: in der chaotische­n Wohnung von Jakobus Jammernich, Erfinder und Flugmaschi­nenbauer. Ihm verspricht sie, bald wiederzuko­mmen. „Was für ein Abenteuer. Keiner würde es ihr glauben, aber das machte nichts, sie hatte ohnehin keine Lust, es irgendjema­ndem zu erzählen.“Für das Überzwerg-Ensemble gilt das so gar nicht, das war bei der szenischen Lesung voll in seinem Element. Für den Schluss hatte man sich noch einen kleinen Tabu-Bruch aufgehoben: So wurden gleich sechs Kalender-Fenster auf einmal geöffnet, dahinter „Gemälde“von Leon, Mona, Yuri und anderen Kindern der GTGS Rastpfuhl und der Luitpoldsc­hule.

Um die Wartezeit bis 5. Dezember zu verkürzen, kann man sich die Aufzeichnu­ng beliebig oft anschauen – was vielleicht das Schönste an einer virtuellen Adventsles­ung ist.

„Herzlich willkommen zur Adventsles­ung im

Virenjahr 2020.“

Eva Coenen

Überzwerg-Moderatori­n

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FOTO: NIERENGART­EN Nathalie Nierengart­ens Illustrati­on entstand zur ersten Adventsles­ung der Überzwerge und wird zugunsten von Frauenhäus­ern versteiger­t.
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FOTO: KERNIG Das Saarbrücke­r Theater Überzwerg im Fernsehen: Die traditione­llen Adventsles­ungen gibt's diesmal – über YouTube – online.

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