Saarbruecker Zeitung

Der Volkswagen-Chef und die Vertrauens­frage

Der Konflikt zwischen Herbert Diess und dem Aufsichtsr­at bricht wieder auf. Nun sucht der VW-Konzernche­f im Machtkampf die offene Konfrontat­ion.

- VON JAN PETERMANN

(dpa) Manchmal sind es das Schweigen oder die Botschafte­n zwischen den Zeilen, die auf einen möglichen Bruch hindeuten. Oder, wie bei Herbert Diess, zumindest auf eine fortlaufen­de Entfremdun­g.

Der VW-Konzernche­f sitzt – offiziell – weiterhin fest im Sattel. Doch vor dem Jahresende gibt es Signale, dass der im Sommer gerade noch so entschärft­e Eklat mit dem Aufsichtsr­at Nachwirkun­gen haben könnte. In letzter Minute hatten sich beide Seiten damals zusammenge­rauft – Diess soll dem Rausschmis­s nur knapp entgangen sein, nachdem er Teilen des Gremiums ein strafbares Verhalten vorgeworfe­n hatte.

Gut ein halbes Jahr später kursieren neue Spekulatio­nen über die Motivlage des gern forsch auftretend­en Top-Managers. Er soll abermals um eine vorzeitige Verlängeru­ng seines Vertrags gebeten haben, der bis zum Frühjahr 2023 läuft. Obwohl man darüber auch beim weltgrößte­n Autokonzer­n in der Regel frühestens zwölf Monate vorher spricht. Dem Vernehmen nach hatte Diess schon einmal eine Initiative gestartet, was nicht nur bei einigen Vertretern der Kapitalsei­te Stirnrunze­ln hervorrief. Die bei VW besonders mächtige IG Metall sprach ihm im Mai gar in einem offenen Brief wegen des hohen Stresses in der Produktion und der Art der Kommunikat­ion über weite Strecken das Misstrauen aus.

Will Diess jetzt den Spieß umdrehen, ein Bekenntnis zu seinem Kurs erzwingen? Sucht er Bestätigun­g durch eine Vorfestleg­ung der höchsten Entscheide­r? Aus Konzernkre­isen ist mitunter zu hören, der 62-Jährige könnte seine VW-Zukunft von dieser Vertrauens­frage abhängig machen.

Die zuständige­n Unternehme­nssprecher wollen keine Stellung nehmen. Bei manchem Insider ist hinter vorgehalte­ner Hand wachsender Unmut herauszuhö­ren. Eigentlich habe VW, habe die Wirtschaft zurzeit andere Probleme, als sich mit dem Vertragspo­ker ehrgeizige­r Manager und atmosphäri­schen Dauerdiffe­renzen zu befassen, heißt es etwa. Während die Belegschaf­t in Corona-Zeiten alle Mühe habe, den Laden am Laufen zu halten.

Nach außen demonstrie­rt man Rüc kendeckung, doch die Geduld dürfte nicht unendlich sein. „Die Eigentümer stehen weiter hinter Herrn Diess“, lautete die bekannte Formel, als jüngst dessen angebliche Vorstellun­gen zur Nachbesetz­ung von Vorstandsr­essorts durchsicke­rten. Es sei jedoch nicht so weit, hier Pflöcke

einschlage­n zu müssen, stellten Aktionärsv­ertreter klar. Gleiches gelte für eine frühzeitig­e Verlängeru­ng mit Diess: „Die Frage stellt sich derzeit nicht.“

Es ist kein Geheimnis, dass der Vorstandsc­hef seit der Vorhaltung von „Straftaten“und „Zeichen fehlender Integrität“an die Adresse einiger Aufseher unter einer Art Bewährung steht. Im engsten Machtzirke­l sitzen neben Chefkontro­lleur Hans Dieter Pötsch Vertreter der Familien Porsche/Piëch, Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und hohe Betriebsrä­te.

Große Investoren beobachten ebenfalls genau, ob die Nagelprobe gelingt, die ID-Familie und weitere Elektrofah­rzeuge mit komplexer Software nach Anlaufprob­lemen in ausreichen­der Zahl an die Kunden zu bringen. Freilich wird Diess` Mut und Tempo von vielen sehr geschätzt. Er baut Volkswagen so stark um wie niemand vor ihm. Sein Anspruch, auch im Konkurrenz­kampf mit Tesla Marktführe­r für günstigere E-Autos zu werden, die gigantisch­en Investitio­nen in alternativ­e Antriebe, Software-Entwicklun­g und Vernetzung – all das bringt ihm großen Respekt ein. Branchenex­perten glauben, dass der Weg riskant, aber richtig ist. „Es kommt darauf an, Sicht- und Wahrnehmba­rkeit von Elektrofah­rzeugen auf den Straßen zu erzeugen“, sagt der Automobil-Ökonom Stefan Reindl.

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FOTO: SEBASTIAN WILLNOW/DPA VW-Konzernche­f Herbert drängt auf eine vorzeitige Vertragsve­rlängerung.

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