„Es gibt für mich aktuell keinen besseren Ort“
Der 29-jährige Bundesliga-Profi aus Uchtelfangen spricht über die neue Heimat Mönchengladbach und das Pokalspiel in Elversberg.
In der Champions League überrascht Borussia Mönchengladbach und führt vor dem Heimspiel an diesem Dienstag gegen Inter Mailand (21 Uhr) die Vorrundengruppe an. Mittendrin der Saarländer Patrick Herrmann, der bereits seit 2008 im Club unter Vertrag steht. Im SZ-Interview spricht der 29-Jährige aus Uchtelfangen über seine zweite Heimat, das DFB-Pokalspiel am 22. Dezember bei der SV Elversberg und das Essen von Oma Ursel.
Herr Herrmann, in der Bundesliga sind es nur drei Punkte Abstand zu den Champions-League-Plätzen, in der Champions League selbst ist das Achtelfinale greifbar nah. Es läuft zurzeit bei Borussia Mönchengladbach, oder?
PATRICK HERRMANN Ja, es macht zurzeit wirklich Spaß, und wir spielen auch gut. Die vielen englischen Wochen sind zwar stressig, aber das ist alles in Ordnung. Mir geht's gut, und es läuft wirklich bei uns.
Was sagt der 29 Jahre alter Körper nach den Spielen mittlerweile?
HERRMANN Früher als junger Spieler, habe ich die älteren Spieler wie Juan Arango oder Mike Hanke etwas belächelt, als sie nach den Spielen immer über kleinere Wehwehchen geklagt haben (lacht). Heute muss ich ihnen Recht geben. Das geht alles nicht spurlos an einem vorbei. Es ist leider kein Mythos. Ich nehme mir heute auch viel mehr Zeit zur Regeneration.
Wie war die erste Reaktion nach der DFB-Pokalauslosung, als klar war, dass Sie mit Borussia Mönchengladbach in die saarländische Heimat kommen und gegen die SV Elversberg spielen?
HERRMANN Wir hatten zu der Zeit der Auslosung ein Spiel gegen Leverkusen. Danach hatte ich schon sehr viele Nachrichten auf dem Handy. Familie und Freunde hatten sofort geschrieben. Das wird richtig cool. Ich freue mich darauf.
In welcher Reihenfolge? SV Elversberg, 1. FC Saarbrücken oder Heimatverein FC Uchtelfangen?
HERRMANN Ganz klar zuerst FC Uchtelfangen. Ich informiere mich ständig über den Verein und schaue auch jeden Sonntag nach den Ergebnissen. Danach kommt der 1. FC Saarbrücken. Da verfolge ich auch alle Spiele und sehe mir die Zusammenfassungen an.
Sie haben von 2004 bis 2008 in der Jugend des 1. FC Saarbrücken gespielt. Was trauen Sie der Mannschaft in der 3. Liga zu?
HERRMANN Sehr viel. Ich glaube, die können den Durchmarsch schaffen. Der FCS hat die Euphorie nach dem Aufstieg toll mitgenommen, und die Mannschaft war bislang in fast allen Spielen auch klar überlegen. Das ist kein Glück, dass sie so weit oben stehen.
Ihr Vertrag in Gladbach läuft noch bis 2022. Wäre danach ein Comeback beim 1. FC Saarbrücken möglich?
HERRMANN Das wäre natürlich die Story, aber dazu müsste der FCS in dieser Saison in die 2. Bundesliga aufsteigen und in der nächsten Saison in die Bundesliga (lacht). Ich fühle mich in Gladbach extrem wohl und lebe ja fast schon mein halbes Leben hier. Es gibt für mich aktuell keinen besseren Ort. Wir bauen gerade ein Haus in Gladbach, und hier soll es auch nach meiner Karriere weitergehen.
Gibt es schon konkrete Planungen für die Zeit nach dem Fußball?
HERRMANN Es gibt Gedanken, aber keine Planungen. Ich würde gerne bei der Borussia bleiben. Ich habe mein Fachabitur Wirtschaft gemacht und kann mir einen Job in der Geschäftsstelle genauso vorstellen wie einen Job, bei dem der Ball noch eine Rolle spielt. Aber das ist alles noch zu weit weg. Ich bin noch viel zu gerne Fußballer.
Sie haben 281 Bundesliga-Spiele für einen Verein gemacht. Das ist Rekord für einen Saarländer. Kam ein Wechsel zu einem anderen Verein nie in Frage?
HERRMANN Wenn ich ehrlich bin nicht. Im Jahr 2015 lief es bei uns in der Bundesliga und der Champions League perfekt, und ich spielte auch zweimal für die Nationalmannschaft. Da kamen einige Anfragen aus dem Ausland, auch von englischen Topclubs.
Und warum sind Sie in Gladbach geblieben?
HERRMANN Ich bin mittlerweile ein Teil der Borussia. Als ich in der U17 von Saarbrücken nach Gladbach wechselte und hier ankam, war alles neu, ich kannte niemanden. Heute kenne ich fast alles und fast jeden. Vor dem Stadion haben wir mittlerweile ein großes Hotel und ein Museum. Ich habe mitbekommen, wie hier alles entstanden und gewachsen ist. So etwas erlebst du nicht, wenn du ständig den Verein wechselst. Das ist etwas ganz Besonderes und fühlt sich an wie eine Familie. Gladbach ist auch eine Heimat geworden.
Wie viel Kontakt gibt es noch ins Saarland, wie oft sind Sie noch in Uchtelfangen und Umgebung?
HERRMANN Es gibt noch sehr viel Kontakt. Vor zwei Wochen in der Länderspielpause war ich im Saarland. So fünf bis sechs Mal im Jahr bin ich in Uchtelfangen. Aber es sind immer nur Kurzurlaube. Mehr Zeit bleibt nicht. Besuche über mehrere Wochen gehen erst wieder nach der Karriere. Aber wir sind immer in Verbindung. Wenn ich mit meiner
Frau und meinem Sohn mal längere Zeit nicht ins Saarland kommen kann, dann kommt meine Familie nach Gladbach.
Was vermissen Sie am meisten am Saarland?
HERRMANN Die hügelige Landschaft, unseren Dialekt und natürlich das Essen.
Das Essen vermissen irgendwie fast alle Saarländer, die weggezogen sind. Was hat es mit dem saarländischen Essen auf sich?
HERRMANN Das ist einfach einzigartig. Wenn es eine Gourmet-Bundesliga gäbe, dann wären wir ganz vorne. Immer wenn ich einen Besuch im Saarland ankündige, fragt mich Oma Ursel, ob sie Lyonerpann, Gefüllte oder Mehlknippcher machen soll. Ich mag einfach unser Essen und hole mir auch immer etwas mit nach Gladbach. In dieser Hinsicht beneide ich meinen Bruder, der dieses Essen täglich bekommt.
Sie haben mit Ihrem Zwillingsbruder Pascal beim FC Uchtelfangen mit dem Kicken begonnen. Wieso haben sich die Wege getrennt?
HERRMANN Ich hatte wahrscheinlich mehr Ehrgeiz, und mein Bruder findet es heute immer noch spannender, mit seinen Freunden beim FC Uchtelfangen zu spielen. Vom Talent gab es kaum Unterschiede. Pascal hat vielleicht sogar den besseren Torriecher. Jeder hat seinen Weg gemacht. Wir schreiben oder telefonieren fast täglich, und mein Bruder kommt auch sehr oft zu unseren Spielen.
Im vergangenen Sommer verlor Ihr saarländischer Bundesliga-Kollege Jonas Hector auf tragische Weise seinen nur ein Jahr älteren Bruder Lucas. Fühlt man da mit, kann man sich diesen Schicksalsschlag vorstellen?
HERRMANN Natürlich fühlt man da mit. Ich glaube, vorstellen kann und will man sich so etwas nicht. Ich wünsche Jonas alle erdenkliche Kraft, die er in dieser Zeit braucht. Es gibt einfach Dinge, die viel wichtiger als Fußball sind.
Schattenseiten im Fußballer-Leben sind auch Verletzungen. Als es im Jahr 2015 für Sie überall super lief, zogen Sie sich im linken Knie einen Kreuzbandriss zu und unmittelbar danach eine Verletzung im rechten Sprunggelenk. Wie sieht es aktuell aus?
HERRMANN Das war damals wirklich eine schlimme, harte Zeit, und das wirft einen auch zurück. Aber Verletzungen gehören nun mal dazu. Mittlerweile bin ich seit eineinhalb Jahren verletzungsfrei und sehr glücklich darüber.
Stimmt es, dass Sie immer noch mit gerissenem Kreuzband spielen?
HERRMANN Ja, das stimmt. Es ist das hintere Kreuzband, und ich habe mir damals sehr viele Meinungen von Ärzten eingeholt und mich schließlich gegen die Operation entschieden. Ich habe es nie bereut. Natürlich muss man, was den Muskelaufbau angeht, Sonderschichten einlegen, um das Knie noch besser zu stabilisieren, aber das gehört für mich zum Trainingsalltag.
Da die Borussia in den vergangenen zehn Jahren keinen Titel gewinnen konnte, blieb der ganze große Triumph mit der Mannschaft aus. Allerdings sind Sie in der Bundesliga schon 148 Mal ausgewechselt worden. Das hat bislang noch kein anderer Bundesliga-Spieler geschafft. War dieser Titel das erklärte Ziel?
HERRMANN
Absolut! Darauf habe ich immer hingearbeitet und versuche, diese Marke auch noch zu verbessern (lacht). Als Außenbahnspieler wird man sehr häufig ausgewechselt. Ich finde es lustig, dass es diese Statistik gibt und dass ich so auch in die Geschichtsbücher der Liga komme. Aber eine echte Bedeutung hat es nicht.
Mehmet Scholl wurde mit 123 Mal am häufigsten eingewechselt. Sie stehen bislang bei 95 Einwechslungen. Da fehlen auch nur noch 28 für den nächsten Rekord.
HERRMANN Jetzt wird die Sache ja noch interessanter (lacht wieder). Mein Ziel ist es ohnehin, den Vertrag in Gladbach in zwei Jahren noch einmal zu verlängern. Dann könnte der nächste Rekord fallen. Aber ich glaube, es kommt beim Trainer nicht gut an, wenn ich ihm sage, dass ich am liebsten von Anfang an auf der Bank sitze (lacht).
Ihr letztes Länderspiel war am 13. Juni 2015. Ist die Nationalmannschafts-Karriere eigentlich schon komplett beendet?
HERRMANN Mit 29 Jahren ist es natürlich sehr schwer, da noch einmal hineinzukommen. Aber wenn die Leistungen stimmen und ich eingeladen werden sollte, werde ich mit Sicherheit nicht ablehnen, für mein Land spielen zu dürfen.
Bis zum Pokalspiel in Elversberg sind es noch genau drei Wochen. Denken Sie schon an das Spiel?
Ausgangslage, die wir verwerten wollen“, sagt Sportdirektor Max Eberl.
HERRMANN Also ich weiß, dass Elversberg völlig zu Recht in der ersten Runde mit 4:2 gegen St. Pauli gewonnen hat und die SVE eine starke Mannschaft hat. Aber bei uns passiert bis dorthin noch so viel, dass das Pokalspiel jetzt noch keine Rolle spielt.
Unter anderem Spielt die Borussia am 9. Dezember bei Real Madrid. Was liegt vorne, das Stadion Bernabeu in Madrid oder die Kaiserlinde in Elversberg?
HERRMANN In Elversberg haben wir 2014 ja schon bei einem Freundschaftsspiel gespielt. In Madrid war ich noch nie, von daher Bernabeu (lacht). Es ist auch für mich nach so langer Zeit immer noch ein absolutes Wow-Erlebnis, in solchen Stadien zu spielen. Vor ein paar Wochen habe ich mit der Borussia zum ersten Mal im San Siro in Mailand gespielt. Das sind wirklich besondere Momente.
Momente, die wie das Pokalspiel in Elversberg zurzeit ohne Zuschauer stattfinden müssen. Wie ist das, wenn man ständig 50 000 Zuschauer gewöhnt ist?
HERRMANN Es fehlt natürlich etwas. Gerade zum Pokalspiel wären viele Freunde von mir gekommen, und es gibt im Saarland extrem viele Gladbach-Fans, die ihre Mannschaft gerne mal vor der eigenen Haustür gesehen hätten. Auf der anderen Seite sind Spiele ohne Zuschauer fast schon normal geworden.
Haben die Geisterspiele auch positive Effekte?
HERRMANN Ja, so komisch sich das auch anhört. Bei 50 000 Zuschauern im Stadion versteht man auf dem Platz sein eigenes Wort nicht mehr, geschweige das von den Mitspielern. Aktuell können wir, weil es so still ist, auf dem Platz viel einfacher Dinge kommunizieren oder ändern. Auch das Verhältnis zu den Schiedsrichtern ist ohne eine aufgeheizte Stimmung und die ganzen Emotionen etwas ganz anderes und deutlich besser geworden und entspannter. Aber das ist alles nichts im Vergleich dazu, wie dich 50 000 Fans im Stadion pushen und nach vorne treiben können. Unsere Fans fehlen uns total. In leeren Stadien zu spielen, das ist nicht der Fußball, den wir lieben, und auch nicht das, wovon auch wir Profis als kleine Jungs geträumt haben. Wichtig ist aber aktuell, dass überhaupt gespielt werden kann. Sonst wären die Verluste der Clubs noch höher.
Bleiben Sie nach dem Pokalspiel am 22. Dezember eigentlich über Weihnachten im Saarland?
HERRMANN Ich bleibe nur eine Nacht da bis zum 23. Dezember. Wir haben 2019 im Saarland Weihnachten gefeiert. Dieses Jahr feiern wir in Gladbach. Aber das Wunsch-Mittagessen bei Oma Ursel nehme ich am 23. definitiv noch mit. Ich bin mir aber noch nicht ganz sicher, was ich mir bestellen soll.
Und wie geht's aus am 22. Dezember an der Kaiserlinde?
HERRMANN 3:0 für uns.
Dreimal Herrmann?
HERRMANN Das wäre natürlich die Krönung, aber ein souveräner Sieg würde mir schon reichen.