Die Hoffnung auf bessere (Corona-) Zeiten
Mehrere Impfstoffe sind im Rennen, Hersteller und Politik setzen auf einen zügigen Einsatz – und den Weg zur Herdenimmunität.
(dpa) Die neuesten Impfstoff-Nachrichten stimmen zuversichtlich. Nach dem US-Konzern Moderna hat am Dienstag auch das Mainzer Untenehmen Biontech gemeinsam mit der US-Pharmafirma Pfizer einen Zulassungsantrag für ein Corona-Vakzin bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur Ema gestellt. Die Behörde will bis Jahresende über eine Empfehlung entscheiden. Gibt es grünes Licht, könnten die Impfstoffe nach Herstellerangaben bereits im Dezember ausgeliefert werden. Bei vielen ist nun die Hoffnung groß, dass das Leben bald so ist wie vor Corona. Werden sich die Menschen bald wieder näher kommen, die Alltagsmasken fallen und das gesellschaftliche Leben wieder durchstarten?
Darüber könne nur spekuliert werden, sagt Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission. Der Virologie-Professor macht eine Lockerung von mehreren Faktoren abhängig: der Menge des Impfstoffs, dessen Wirksamkeit und Wirkdauer sowie der Anzahl der Menschen, die sich impfen lassen. „Cirka 60 Prozent der Bevölkerung sollten immun sein.“Dann wäre eine Herdenimmunität erreicht. Ein Schutz der Herde – der Gesellschaft – durch viele Immune.
„Es wird längere Zeit dauern, bis wir durch die Impfung eine spürbare Veränderung des Infektionsgeschehens sehen werden, dass wir sagen können, jetzt kann wieder Ruhe einkehren“, hatte Mertens bereits Ende Oktober gesagt. Die Chef-Virologin der TU München, Ulrike Protzer, geht für einen flächendeckenden Corona-Schutz von einer ähnlich hohen Zahl aus: Etwa 65 Prozent der Bevölkerung müssten gegen das Virus immun sein. „Je nachdem, wie viele die Infektion durchgemacht haben, bedeutet das 55 bis 60 Prozent Geimpfte.“Die Professorin nimmt derzeit an, dass das bis Spätherbst 2021 dauern könnte. Allerdings sei nicht abschließend klar, ob auch diejenigen, die bereits eine Corona-Ansteckung hinter sich haben, geimpft werden müssen.
Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, liegt in Deutschland nach der jüngsten Umfrage der Universität Erfurt bei 53,5 Prozent. Mitte April waren es noch 79 Prozent.
Zuvor geht es aber an die komplexe Verteilung des Impfstoffes. „Das ist in etwa vergleichbar mit der Logistik für die Automobilindustrie“, sagt Pharmalogistik-Experte Thomas Schnur vom Beratungsunternehmen Camelot MC. Nur dass man die diesmal in etwa sechs Monaten habe aufbauen müssen. „Alles muss fein getaktet sein.“
Eine mögliche Engstelle sieht Schnur beim Luftverkehr: Wegen zurückgegangener Passagierflüge werde auch weniger Fracht transportiert.
„Unser Ziel ist es, dass bereits im Januar die ersten Risikogruppen und Pflegebeschäftigten geimpft sind.“Jens Spahn (CDU) Bundesgesundheitsminister
Logistikunternehmen bereiten sich aber darauf vor, etwa mit Frachtmaschinen die Verteilung zu gewährleisten. Ob es darüber hinaus zu Verzögerungen kommen kann, könne derzeit niemand beantworten, sagt das Paul-Ehrlich-Institut. Dem für Impfstoffe und Arzneimittel zuständigen Bundesinstitut zufolge haben die Hersteller aber angegeben, bereits seit Monaten auf eigenes Risiko mit der Impfstoffproduktion begonnen zu haben, damit sofort nach Zulassung die Auslieferung starten kann. Für Herausforderungen wird indes die nötige Kühllagerung der Vakzine sorgen, neben Fragen der Haltbarkeit.
In Deutschland sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums 27 Anlieferungszentren für die Impfdosen geplant. Von dort sollen sie weiter an die Impfzentren und mobilen Impfeinheiten in den Bundesländern verteilt werden. Nach Schnurs Einschätzung könne es alles etwas langsamer gehen, als von der Politik geplant. Man könne bei dieser Logistik-Kette „nicht nach Belieben Gas geben“. Die EU hat sich Hunderte Millionen Covid-19-Impfdosen verschiedener Hersteller gesichert. Allein Deutschland stünden rechnerisch deutlich mehr als 100 Millionen Dosen zu.
Eine Frage ist indes, wer zuerst geimpft werden soll – eine Impfpflicht hat die Politik ausgeschlossen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Dienstag im Deutschlandfunk: „Unser Ziel ist es, dass bereits im Januar die ersten Risikogruppen und Pflegebeschäftigten geimpft sind.“Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, betont: Direkt nach der Zulassung könne es auf keinen Fall genug Impfstoff für alle geben. Denn die Pandemie betreffe die ganze Welt. Er spricht sich daher für eine Priorisierung aus, wie auch der Deutsche Ethikrat, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Impfkommission. Risikogruppen, Medizin-Personal und Menschen in Berufen zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens sollen demnach vorrangig geimpft werden. Klar ist das alles noch nicht. Aber die Hoffnung ist groß.