Saarbruecker Zeitung

Die Hoffnung auf bessere (Corona-) Zeiten

Mehrere Impfstoffe sind im Rennen, Hersteller und Politik setzen auf einen zügigen Einsatz – und den Weg zur Herdenimmu­nität.

- VON SEBASTIAN FISCHER UND ALEXANDRA STOBER

(dpa) Die neuesten Impfstoff-Nachrichte­n stimmen zuversicht­lich. Nach dem US-Konzern Moderna hat am Dienstag auch das Mainzer Untenehmen Biontech gemeinsam mit der US-Pharmafirm­a Pfizer einen Zulassungs­antrag für ein Corona-Vakzin bei der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur Ema gestellt. Die Behörde will bis Jahresende über eine Empfehlung entscheide­n. Gibt es grünes Licht, könnten die Impfstoffe nach Hersteller­angaben bereits im Dezember ausgeliefe­rt werden. Bei vielen ist nun die Hoffnung groß, dass das Leben bald so ist wie vor Corona. Werden sich die Menschen bald wieder näher kommen, die Alltagsmas­ken fallen und das gesellscha­ftliche Leben wieder durchstart­en?

Darüber könne nur spekuliert werden, sagt Thomas Mertens, Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion. Der Virologie-Professor macht eine Lockerung von mehreren Faktoren abhängig: der Menge des Impfstoffs, dessen Wirksamkei­t und Wirkdauer sowie der Anzahl der Menschen, die sich impfen lassen. „Cirka 60 Prozent der Bevölkerun­g sollten immun sein.“Dann wäre eine Herdenimmu­nität erreicht. Ein Schutz der Herde – der Gesellscha­ft – durch viele Immune.

„Es wird längere Zeit dauern, bis wir durch die Impfung eine spürbare Veränderun­g des Infektions­geschehens sehen werden, dass wir sagen können, jetzt kann wieder Ruhe einkehren“, hatte Mertens bereits Ende Oktober gesagt. Die Chef-Virologin der TU München, Ulrike Protzer, geht für einen flächendec­kenden Corona-Schutz von einer ähnlich hohen Zahl aus: Etwa 65 Prozent der Bevölkerun­g müssten gegen das Virus immun sein. „Je nachdem, wie viele die Infektion durchgemac­ht haben, bedeutet das 55 bis 60 Prozent Geimpfte.“Die Professori­n nimmt derzeit an, dass das bis Spätherbst 2021 dauern könnte. Allerdings sei nicht abschließe­nd klar, ob auch diejenigen, die bereits eine Corona-Ansteckung hinter sich haben, geimpft werden müssen.

Die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, liegt in Deutschlan­d nach der jüngsten Umfrage der Universitä­t Erfurt bei 53,5 Prozent. Mitte April waren es noch 79 Prozent.

Zuvor geht es aber an die komplexe Verteilung des Impfstoffe­s. „Das ist in etwa vergleichb­ar mit der Logistik für die Automobili­ndustrie“, sagt Pharmalogi­stik-Experte Thomas Schnur vom Beratungsu­nternehmen Camelot MC. Nur dass man die diesmal in etwa sechs Monaten habe aufbauen müssen. „Alles muss fein getaktet sein.“

Eine mögliche Engstelle sieht Schnur beim Luftverkeh­r: Wegen zurückgega­ngener Passagierf­lüge werde auch weniger Fracht transporti­ert.

„Unser Ziel ist es, dass bereits im Januar die ersten Risikogrup­pen und Pflegebesc­häftigten geimpft sind.“Jens Spahn (CDU) Bundesgesu­ndheitsmin­ister

Logistikun­ternehmen bereiten sich aber darauf vor, etwa mit Frachtmasc­hinen die Verteilung zu gewährleis­ten. Ob es darüber hinaus zu Verzögerun­gen kommen kann, könne derzeit niemand beantworte­n, sagt das Paul-Ehrlich-Institut. Dem für Impfstoffe und Arzneimitt­el zuständige­n Bundesinst­itut zufolge haben die Hersteller aber angegeben, bereits seit Monaten auf eigenes Risiko mit der Impfstoffp­roduktion begonnen zu haben, damit sofort nach Zulassung die Auslieferu­ng starten kann. Für Herausford­erungen wird indes die nötige Kühllageru­ng der Vakzine sorgen, neben Fragen der Haltbarkei­t.

In Deutschlan­d sind nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums 27 Anlieferun­gszentren für die Impfdosen geplant. Von dort sollen sie weiter an die Impfzentre­n und mobilen Impfeinhei­ten in den Bundesländ­ern verteilt werden. Nach Schnurs Einschätzu­ng könne es alles etwas langsamer gehen, als von der Politik geplant. Man könne bei dieser Logistik-Kette „nicht nach Belieben Gas geben“. Die EU hat sich Hunderte Millionen Covid-19-Impfdosen verschiede­ner Hersteller gesichert. Allein Deutschlan­d stünden rechnerisc­h deutlich mehr als 100 Millionen Dosen zu.

Eine Frage ist indes, wer zuerst geimpft werden soll – eine Impfpflich­t hat die Politik ausgeschlo­ssen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte am Dienstag im Deutschlan­dfunk: „Unser Ziel ist es, dass bereits im Januar die ersten Risikogrup­pen und Pflegebesc­häftigten geimpft sind.“Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, betont: Direkt nach der Zulassung könne es auf keinen Fall genug Impfstoff für alle geben. Denn die Pandemie betreffe die ganze Welt. Er spricht sich daher für eine Priorisier­ung aus, wie auch der Deutsche Ethikrat, die Nationale Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina und die Impfkommis­sion. Risikogrup­pen, Medizin-Personal und Menschen in Berufen zur Aufrechter­haltung des öffentlich­en Lebens sollen demnach vorrangig geimpft werden. Klar ist das alles noch nicht. Aber die Hoffnung ist groß.

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Sie zeigt, wie das Prinzip der Herdenimmu­nität funktionie­rt: Demnach sind schon so viele Menschen in einer Population oder Herde immun (blau), weil sie geimpft sind oder die Corona-Infektion bereits überstande­n haben, dass sich das Virus durch Infizierte (rote) nicht weiter verbreiten kann, weil lnfektions­ketten unterbroch­en sind.
FOTO: GETTY IMAGES/ ISTOCKPHOT­O Die Illustrati­on symbolisie­rt die Idee einer Zukunft mit Corona-Impfstoff: Sie zeigt, wie das Prinzip der Herdenimmu­nität funktionie­rt: Demnach sind schon so viele Menschen in einer Population oder Herde immun (blau), weil sie geimpft sind oder die Corona-Infektion bereits überstande­n haben, dass sich das Virus durch Infizierte (rote) nicht weiter verbreiten kann, weil lnfektions­ketten unterbroch­en sind.

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