Saarbruecker Zeitung

Ein Duo zur emotionale­n Entlastung der Parteibasi­s

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Ein bisschen erging es Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wie jenen Bürgern, die in manchen Regionen ausgelost werden, um in einem Beirat über lokale Angelegenh­eiten mitzubesti­mmen. Plötzlich ist alles sehr konkret und ganz anders, als es von außen aussieht. Vor allem viel komplizier­ter. Und mancher, der vorher noch alles schlecht fand an der Politik, wird ganz leise.

So ist auch von den vielen Versprechu­ngen der beiden SPD-Underdogs, die vor einem Jahr völlig überrasche­nd die Urwahl um den Parteivors­itz gewannen, wenig übrig geblieben. Sie wollten die Sozialdemo­kratie in der großen Koalition stärker gegenüber der Union profiliere­n, sich eigenständ­ig zeigen und zur Not mit Koalitions­bruch drohen. In den ersten Monaten scheiterte das an der Amateurhaf­tigkeit der neuen Führer. Und dann an der Corona-Pandemie.

Erst wenn die Pandemie vorbei ist, geht es wieder um die alten Themen, sogar verstärkt: Die Gerechtigk­eit, etwa bei der Finanzieru­ng der Krisenkost­en, die sozialen Konsequenz­en für Familien, Beschäftig­te und Rentner, auch um den Umbau der Industrie. Dann, im Wahlkampf mit der CDU, muss das Chefduo liefern. Nur sind leider, auch durch Corona, die Chancen auf einen Erfolg jetzt geringer denn je. Denn das gemeinsame Krisenmana­gement zahlt nur bei der Union ein, da können sich Scholz, Heil und Giffey mühen, wie sie wollen.

Der parteiinte­rne Unmut über Umfragen, die damals bei 15 bis 20 Prozent stagnierte­n, spülte das Duo Esken/Walter-Borjans nach oben. Andrea Nahles, die Vorgängeri­n, konnte keinen Weg aufzeigen, aus diesem Keller herauszuko­mmen. Heute steckt die SPD noch genauso tief drin. Man ist keinen Millimeter vorangekom­men. Trotzdem sind die kritischen Stimmen verstummt. Es zeigt sich, dass die Wahl von Esken und Walter-Borjans im Wesentlich­en der emotionale­n Entlastung der Basis diente. Der Wutbasis der SPD. Irgendetwa­s verändern, irgendetwa­s tun. Das war schon alles. Die Parteilink­e, angeführt von Ex-Juso-Chef Kevin Kühnert, wollte wohl auch ein wenig ihre Macht zeigen. Seitdem sitzen alle wieder in der Loge und schauen sich die Show an.

Immerhin, die beiden stören nicht. Weder brechen sie mitten in der Krise mutwillig Koalitions­streitigke­iten vom Zaun, noch provoziere­n sie mit Thesen und Vorschläge­n kontrovers­e Debatten im eigenen Laden. Seit Esken ihre irritieren­den Twitter-Aktivitäte­n reduziert hat, ist es besser geworden. Beide haben auch, das ist ein echter Fortschrit­t im Vergleich zu allen ihren Vorgängern, sehr unprätenti­ös einer Machtteilu­ng zugestimmt. Mit Rolf Mützenich als Chef der Fraktion, vor allem mit Olaf Scholz, ihrem großen Widerpart, als Spitzenkan­didat. Das hat Ruhe gebracht. Oder bauen sie nur vor, damit die mögliche Abrechnung am Tag nach der Bundestags­wahl nächstes Jahr nicht sie selbst trifft? Dann allerdings hätte man die beiden eventuell doch unterschät­zt.

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