Wenn der Pflegeberuf krank macht – vor allem in Corona-Zeiten
Schon vor der Corona-Pandemie war der Mangel an Pflegekräften spürbar. Nun hat sich die Situation weiter verschärft. Zumal die Betroffenen in ihrem Beruf häufiger krank und frühverrentungsbedürftig sind als viele andere Erwerbstätige. Dabei ließe sich der Pflegenotstand durch bessere Arbeitsbedingungen abmildern. Zu diesem Schluss kommt der neue Pflegereport der Barmer Krankenkasse, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Wie ist die aktuelle Lage?
Nach Angaben des Studienautors Heinz Rothgang haben sich die Anforderungen für Pflegekräfte während der Pandemie dadurch erhöht, dass mit der Einschränkung der Besuche von Angehörigen und Ehrenamtlichen zeitweilige Entlastungen im Arbeitsalltag entfallen sind. Obendrein, so der Bremer Pflegewissenschaftler, erfordere die Umsetzung der Hygienekonzepte etwa in Heimen einen zeitlichen Mehraufwand. „Diese zusätzlichen Belastungen mussten mit einer pandemiebedingt verringerten Personalausstattung bewältigt werden“, erläuterte Rothgang.
Gibt es belastbare Zahlen?
Rothgang verwies auf eine aktuelle Umfrage in 800 Pflegeheimen, wonach dort im Monat Mai Personalausfälle im Umfang von teilweise bis zu 30 Prozent verkraftet werden mussten. Für Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten erhöhte sich im ersten Lockdown die zeitliche Mehrbelastung pro Schicht um rund eine Stunde. Hinzu kommt, dass die Pflegekräfte selbst einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Nach den Daten der Barmer waren Anfang November etwa fünf Prozent des krankgeschriebenen Pflegepersonals aufgrund von Corona arbeitsunfähig.
Schon vor der Pandemie lag der Krankenstand allerdings über dem Durchschnitt. Laut Report fehlte in den Jahren 2016 bis 2018 jede krankgeschriebene Altenpflegefachkraft durchschnittlich 16,6 Tage. Das waren 5,3 Tage mehr als bei Beschäftigten in anderen Berufen.
Welche Erkrankungen sind besonders häufig?
Pflegekräfte leiden der Untersuchung zufolge vor allem unter psychischen Problemen sowie an Muskel-Skelett-Erkrankungen. So verursachen zum Beispiel Rückenschmerzen bei Mitarbeitern in der Altenpflege bis zu 180 Prozent mehr Krankheitstage als in sonstigen Berufen. Beschäftigte in der Altenpflege kommen wegen Depressionen auf bis zu 90 Prozent mehr Fehltage als andere Erwerbstätige. Viele scheiden deshalb auch vorzeitig aus dem Pflegeberuf aus. Von 1000 Fachkräften gehen im Jahr durchschnittlich 3,9 Prozent in die Erwerbsminderungsrente. In den anderen Berufen sind es nur 3,0 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit eines krankheitsbedingten, vorzeitigen Rentenbezugs ist bei Pflegekräften damit um gut ein Viertel höher.
Was muss sich ändern?
Laut Rothgang ist die Personaldecke zu dünn, um sowohl eine fachgerechte Pflege als auch gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Durch die Arbeitsverdichtung komme es vermehrt zu Krankschreibungen, was die Belastung für verbliebene Mitarbeiter erhöhe und so den Pflegenotstand verstärke. „Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen“, meinte Rothgang. Zu den Gegenmaßnahmen zählte er eine Aus- und Weiterbildungsoffensive sowie einen deutlichen Zuwachs an Ausbildungsplätzen. Nach Angaben Rothgangs könnte Deutschland rein rechnerisch 26 000 Pflegekräfte mehr haben, lägen Krankenstand und Frühverrentung auf dem niedrigeren Niveau der übrigen Berufe. Zum Vergleich: Allein in den deutschen Kliniken fehlten 2019 rund 50 000 Pflegekräfte.