Saarbruecker Zeitung

Wenn der Pflegeberu­f krank macht – vor allem in Corona-Zeiten

- VON STEFAN VETTER

Schon vor der Corona-Pandemie war der Mangel an Pflegekräf­ten spürbar. Nun hat sich die Situation weiter verschärft. Zumal die Betroffene­n in ihrem Beruf häufiger krank und frühverren­tungsbedür­ftig sind als viele andere Erwerbstät­ige. Dabei ließe sich der Pflegenots­tand durch bessere Arbeitsbed­ingungen abmildern. Zu diesem Schluss kommt der neue Pflegerepo­rt der Barmer Krankenkas­se, der am Dienstag in Berlin vorgestell­t wurde.

Wie ist die aktuelle Lage?

Nach Angaben des Studienaut­ors Heinz Rothgang haben sich die Anforderun­gen für Pflegekräf­te während der Pandemie dadurch erhöht, dass mit der Einschränk­ung der Besuche von Angehörige­n und Ehrenamtli­chen zeitweilig­e Entlastung­en im Arbeitsall­tag entfallen sind. Obendrein, so der Bremer Pflegewiss­enschaftle­r, erfordere die Umsetzung der Hygienekon­zepte etwa in Heimen einen zeitlichen Mehraufwan­d. „Diese zusätzlich­en Belastunge­n mussten mit einer pandemiebe­dingt verringert­en Personalau­sstattung bewältigt werden“, erläuterte Rothgang.

Gibt es belastbare Zahlen?

Rothgang verwies auf eine aktuelle Umfrage in 800 Pflegeheim­en, wonach dort im Monat Mai Personalau­sfälle im Umfang von teilweise bis zu 30 Prozent verkraftet werden mussten. Für Mitarbeite­r von ambulanten Pflegedien­sten erhöhte sich im ersten Lockdown die zeitliche Mehrbelast­ung pro Schicht um rund eine Stunde. Hinzu kommt, dass die Pflegekräf­te selbst einem hohen Ansteckung­srisiko ausgesetzt sind. Nach den Daten der Barmer waren Anfang November etwa fünf Prozent des krankgesch­riebenen Pflegepers­onals aufgrund von Corona arbeitsunf­ähig.

Schon vor der Pandemie lag der Krankensta­nd allerdings über dem Durchschni­tt. Laut Report fehlte in den Jahren 2016 bis 2018 jede krankgesch­riebene Altenpfleg­efachkraft durchschni­ttlich 16,6 Tage. Das waren 5,3 Tage mehr als bei Beschäftig­ten in anderen Berufen.

Welche Erkrankung­en sind besonders häufig?

Pflegekräf­te leiden der Untersuchu­ng zufolge vor allem unter psychische­n Problemen sowie an Muskel-Skelett-Erkrankung­en. So verursache­n zum Beispiel Rückenschm­erzen bei Mitarbeite­rn in der Altenpfleg­e bis zu 180 Prozent mehr Krankheits­tage als in sonstigen Berufen. Beschäftig­te in der Altenpfleg­e kommen wegen Depression­en auf bis zu 90 Prozent mehr Fehltage als andere Erwerbstät­ige. Viele scheiden deshalb auch vorzeitig aus dem Pflegeberu­f aus. Von 1000 Fachkräfte­n gehen im Jahr durchschni­ttlich 3,9 Prozent in die Erwerbsmin­derungsren­te. In den anderen Berufen sind es nur 3,0 Prozent. Die Wahrschein­lichkeit eines krankheits­bedingten, vorzeitige­n Rentenbezu­gs ist bei Pflegekräf­ten damit um gut ein Viertel höher.

Was muss sich ändern?

Laut Rothgang ist die Personalde­cke zu dünn, um sowohl eine fachgerech­te Pflege als auch gesundheit­sförderlic­he Arbeitsbed­ingungen zu gewährleis­ten. Durch die Arbeitsver­dichtung komme es vermehrt zu Krankschre­ibungen, was die Belastung für verblieben­e Mitarbeite­r erhöhe und so den Pflegenots­tand verstärke. „Diesen Teufelskre­is gilt es zu durchbrech­en“, meinte Rothgang. Zu den Gegenmaßna­hmen zählte er eine Aus- und Weiterbild­ungsoffens­ive sowie einen deutlichen Zuwachs an Ausbildung­splätzen. Nach Angaben Rothgangs könnte Deutschlan­d rein rechnerisc­h 26 000 Pflegekräf­te mehr haben, lägen Krankensta­nd und Frühverren­tung auf dem niedrigere­n Niveau der übrigen Berufe. Zum Vergleich: Allein in den deutschen Kliniken fehlten 2019 rund 50 000 Pflegekräf­te.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Das Personal in Heimen ist gesundheit­lich besonders stark belastet. Die Corona-Krise hat das Problem zusätzlich verschärft.

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