Saarbruecker Zeitung

Wie macht man das beste deutsche Hörspiel?

Das Liquid Penguin Ensemble und das SR-Hörspiel haben mal wieder ein prominent besetztes und preisgekrö­ntes Hörspiel gemacht.

- DIE FRAGEN STELLTE SUSANNE BRENNER

Wer gerne Hörspiele hört in Deutschlan­d, der hat mit hoher Wahrschein­lichkeit schon mal vom Saarbrücke­r Liquid Penguin Ensemble gehört. Und wenn er oder sie aufmerksam ist, wurde sicher auch registrier­t, dass oft gute Hörspiele vom kleinen Saarländis­chen Rundfunk kommen. Denn das SR2-Hörspiel wird ziemlich häufig ausgezeich­net. Gerade erst gab es einen der ganz wichtigen Preise, den deutschen Hörspielpr­eis, für „Einsteins Zunge“vom Autor Christoph Buggert, realisiert durch das Liquid Penguin Ensemble. Die Jury um Doris Dörrie wählte das SR-Hörspiel unter vielen anderen aus. Wir haben uns mit Katharina Bihler und Stefan Scheib von Liquid Penguin und SR2-Hörspielch­efin Anette Kührmeyer über das Geheimnis ihrer erfolgreic­hen Arbeit unterhalte­n.

Die Hörspielre­daktion von SR2 Kulturradi­o ist klein, aber was Preise betrifft, muss sie sich vor den großen Sendern nicht verstecken. Und die wichtigste­n Erfolge gelangen im Zusammensp­iel mit dem Liquid Penguin Ensemble. Was macht die Arbeit von Katharina Bihler und Stefan Scheib so besonders, dass es Preise regnet?

Katharina Bihler

Anette Kührmeyer: Die Beiden haben die deutsche Hörspiella­ndschaft um einen ganz eigenen, feinen, warmen Klang bereichert. Der ergibt sich aus den Texten und der Stimme von Katharina Bihler, den Kompositio­nen aus Musik und Geräuschen von Stefan Scheib und ihrer gemeinsame­n akustische­n Herangehen­sweise an wichtige Themen unserer Zeit. Wobei sie mit spielerisc­her Leichtigke­it die Grenzen zwischen Dokumentat­ion und Hörspiel verwischen. Noch dazu bereitet das Hören ihrer Stücke immenses Vergnügen.

Da muss ich natürlich gleich mal das Liquid Penguin Ensemble fragen: Sie und das SR-Hörspiel sind ja fast schon eine Art Symbiose eingegange­n. Was bedeutet diese Zusammenar­beit für Sie – mal abgesehen vom verlässlic­hen Honorar, was für freie Künstler ja nicht zu unterschät­zen ist?

Katharina Bihler: Es ist ein künstleris­ches Glück! Die großartige und kontinuier­liche Zusammenar­beit mit dem SR-Hörspiel und insbesonde­re mit Anette Kührmeyer als unserer Dramaturgi­n, bedeutet für uns sowohl Bereicheru­ng im Arbeitspro­zess als auch kreativitä­tsfördernd­e Verlässlic­hkeit: Sie bedeutet, dass man sich als Künstlerin, als Künstler und Ensemble entwickeln kann – und darf.

Frage an die Hörspielch­efin: Der Autor Christoph Buggert war ja selbst lange Jahre Hörspielch­ef. Ist ein früherer Hörspiel-Redakteur ein besonders „lohnender“Autor fürs Radio? Hat er ein besonders Gespür dafür, was zum Beispiel eine SR2-Hörspieldr­amaturgin reizt?

Anette Kührmeyer: Nur insofern als Christoph Buggert die Notwendigk­eiten des Metiers respektier­t (z. B. Abgabe-Termine) und die Zusammenar­beit mit einer Dramaturgi­n schätzt, die ihn bei der Arbeit am Text berät, damit seine Themen den bestmöglic­hen Ausdruck im Hörspiel finden – denn Christoph Buggert sucht sich, wie letztlich jeder Autor, seine Themen selbst.

Sphärische­s Heulen, Prasseln, schmerzhaf­t schrilles Quietschen,Vogelkreis­chen, Orgelgetös­e: Wo und wie finden Sie als Musiker eigentlich die Geräusche und Klänge für ein Hörspiel? Laufen Sie immer mit dem Mikrophon durch die Welt?

Stefan Scheib: Häufig, ja. Unser eigenes Archiv umfasst mittlerwei­le über 10 000 Klänge. Die meisten davon sind selbst aufgenomme­n. Bis ein Geräusch im Archiv landet, haben wir es oft gehört. Es wird ja aufgenomme­n, geschnitte­n, evtl. nachbearbe­itet, mit Schlagwort­en versehen etc. Da entsteht eine intensive Verbindung, und wir kennen unser Archiv sehr gut. Das hilft, wenn es darum geht, die genau passenden Geräusche zu finden, um eine Szene zu bauen. Wenn wir selbst kein passendes Geräusch haben, suchen wir aber auch im Rundfunkar­chiv

oder in kommerziel­len Archiven.

„Einsteins Zunge“ist eine etwas absurde, streckenwe­ise richtig lustige wissenscha­ftliche Fantasie. Was hat Sie als Regisseuri­n an diesem Text gereizt?

Katharina Bihler: Der Text behandelt sehr abwechslun­gsreich, facettenre­ich und in unterschie­dlichen literarisc­hen Formen Themen, die mich sehr interessie­ren, etwa dieses: In welchem Verhältnis stehen Gedanke und physische Welt zueinander? Was sind Vorstellun­gen und wie gelangen sie von einem Kopf in den anderen? Und was bedeutet räumliche Entfernung für einen Gedanken? Nichts! Das finde ich toll, und das Hörspiel ist das perfekte Medium, sich mit solchen Themen auseinande­rzusetzen. Durch die Fokussieru­ng auf den Hörsinn provoziert es im Hörenden in ganz besonderer Weise eigene Vorstellun­gen.

Wolf-Dietrich Sprenger, Dietrich Hollinderb­äumer, Kasimir Brause, Lena Stolze und Peter Jordan: Die Besetzungs­liste des Hörspiels hat prominente Namen. Hatten Sie freie Hand bei der Auswahl der Sprecher? Wie haben Sie Darsteller ausgewählt?

Was war wichtig?

Katharina Bihler: Wir hatten freie Hand, aber vor allem hatten wir Pia Frede aus der Hörspielre­daktion, eine echte Besetzungs-Koryphäe, die ungeheuer viele Sprecherin­nen und Sprecher im Ohr hat und uns kluge und interessan­te Vorschläge gemacht hat. Prominenz spielt keine Rolle bei der Wahl. Es geht darum, Stimmen zu finden, die von sich aus etwas transporti­eren, das wir in den Charaktere­n verkörpert hören wollen. Wir haben viele Stimmen angehört, uns eine mögliche Besetzung vorgestell­t und dann wieder und wieder den Text gelesen, mit diesen Stimmen im Ohr.

Kasimir Brause ist noch ein Kind. Otto-Normal-Fernseher kennen ihn wahrschein­lich aus der Endlos-Serie „In aller Freundscha­ft“.Wie arbeitet man als Regisseuri­n eines nicht gerade kinderleic­hten Hörspiel-Textes mit einem Kind? Wie haben Sie ihm erklärt, worauf es ankommt?

Katharina Bihler: Für Kasimir Brause war es das erste Hörspiel, und er hat sich ein bisschen gewundert, wie intensiv diese Arbeit ist. . . Beim Casting habe ich ihn gebeten, mir zu erklären, wie der Sprudel in die Flasche kommt oder warum die Erde nicht aus ihrer Bahn fliegt – und er durfte mir dabei gerne das Blaue vom Himmel erzählen, was er auch äußerst fantasievo­ll und mit sehr originelle­n Begründung­en gemacht hat. Ich konnte also da den Eindruck bekommen, dass er diese Texte im Hörspiel vom Prinzip her ganz gut verstehen wird – und so war es auch. In erster Linie musste ich sein Sprech-Tempo bremsen.

Eine Frage an alle: Ein zentrales Element in „Einsteins Zunge“ist die Krankheit Apophänie. Der Betroffene sieht überall und in allem Gesichter und Zeichen. Im Grunde eine Art überreizte Phantasie, als Stoff für einen Autor natürlich enorm reizvoll. Ich muss gestehen, ich hatte zuvor noch nie von dieser Krankheit gehört. Kannten Sie sie schon, bevor Sie das Hörspiel in die Hand bekamen?

Anette Kührmeyer: Nein, auch in dieser Hinsicht hat Christoph Buggert meinen Horizont erweitert… Katharina Bihler: Ich kannte das Phänomen, allerdings kannte ich nicht diesen Namen dafür, in der physischen Welt an allen Ecken Spiegel der eigenen Vorstellun­gen zu finden. Stefan Scheib: Ich hatte von der Krankheit vorher noch nichts gehört. Aber der Übergang zu einer Krankheit ist ja auch fließend. Auch ich kann, wie wahrschein­lich die meisten in unterschie­dlich ausgeprägt­er Form, in Mustern Gesichter sehen.

„Was bedeutet räumliche Entfernung für einen Gedanken? Nichts! Das finde ich toll. Und das Hörspiel ist das perfekte Medium, sich mit solchen Themen auseinande­rzusetzen“

„Einsteins Zunge“steht zum Nachhören in der ARD Audiothek und in der SR Mediathek: www.ardaudioth­ek.de oder www.sr2.de (Einsteins Zunge in die Such-Funktion eingeben, dann hat man es gleich).

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SR ?? Team-Besprechun­g: Stefan Scheib (Kompositio­n), Katharina Bihler (Regie) und die Sprecher Peter Jordan und Dietrich Hollinderb­äumer bei der Arbeit an „Einsteins Zunge“.
FOTO: OLIVER PARUSEL/ SR Team-Besprechun­g: Stefan Scheib (Kompositio­n), Katharina Bihler (Regie) und die Sprecher Peter Jordan und Dietrich Hollinderb­äumer bei der Arbeit an „Einsteins Zunge“.
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FOTO: OLIVER PARUSEL/SR Aufnahme läuft: Dietrich Hollinderb­äumer und Lena Stolze sprechen eine Szene ein.
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MAURER ?? Grund zur Freude hat SR2-Hörspiel-Chefin Anette Kührmeyer.
FOTO: IRIS MAURER Grund zur Freude hat SR2-Hörspiel-Chefin Anette Kührmeyer.

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