Saarbruecker Zeitung

Trauer um Opfer der Amokfahrt

Hunderte gedachten am Mittwoch an der Porta Nigra den Opfern der Bluttat. Der mutmaßlich­e Täter sitzt inzwischen in Untersuchu­ngshaft.

- FOTO: VERHAEGEN/AFP

Am Tag nach der Amokfahrt in Trier kommen viele Menschen an das einst römische Stadttor Porta Nigra, um der Opfer und Angehörige­n zu gedenken. Sie stellen Kerzen, kleine Engel oder Teddybärch­en auf und legen Blumen nieder. Für heute ist um 13.46 Uhr – und damit exakt zwei Tage nach der tödlichen Attacke – in der Moselstadt eine Gedenkminu­te geplant. Gegen den mutmaßlich­en Täter erging ein Haftbefehl wegen Mordes in fünf Fällen.

( TV/kna) Weinend liegen sich sechs Schülerinn­en in den Armen. Sie haben für die 52-jährige Lehrerin ihrer Schule gerade ein Plakat zu dem Meer von Kerzen gelegt, das am Fuße der Porta Nigra an die Opfer der Amokfahrt durch die Trierer Fußgängerz­one erinnert. „In Gedenken“steht darauf, mit den Unterschri­ften der Schüler. Deren Lehrerin war am Dienstagab­end an ihren Verletzung­en gestorben. Sie ist das fünfte Todesopfer einer Tat, die noch immer niemand fassen kann.

Einen Tag nach der Amokfahrt am Dienstag, bei der auch 18 Menschen verletzt wurden – sechs von ihnen schwer –, gedenken mehrere Hundert Menschen vor der Porta Nigra der Opfer und zeigen sich mit den Angehörige­n der Toten und Verletzten solidarisc­h. „Trier trauert, Trier leidet, aber Trier resigniert nicht“, fasst Triers Oberbürger­meister Wolfram Leibe (SPD) die Stimmung in der Bevölkerun­g zusammen. Gemeinsam mit Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) legt er einen Kranz vor dem „zentralen Symbol der Stadt“(Leibe) nieder. Man brauche jetzt einen Erinnerung­spunkt, sagt der OB. An der Gedenkfeie­r nimmt auch CDU-Fraktionsc­hef Christian Baldauf teil. Die Solidaritä­t, die er in Trier erlebe, sei umwerfend, sagt er.

Zahlreiche Menschen zünden zum Gedenken an die Opfer Kerzen an und legen Blumen nieder – auch an den Stellen in der Fußgängerz­one, wo ahnungslos­e Passanten am

Vortag von dem Amokfahrer durch die Luft gewirbelt worden sind. Fünf Menschen starben, darunter ein neun Wochen altes Baby und sein 45 Jahre alter Vater. Beide hatten neben der deutschen auch die griechisch­e Staatsbürg­erschaft. Die Mutter des getöteten Mädchens und der anderthalb­jährige Bruder wurden verletzt ins Krankenhau­s gebracht. Darüber hinaus starben drei Frauen: die 52-jährige Lehrerin einer berufsbild­enden Schule sowie zwei weitere Frauen im Alter von 25 und 73 Jahren.

Am Trierer Hauptmarkt hat die Polizei eine Anlaufstel­le eingericht­et. Auch Notfallsee­lsorger sind dort. Eine Traumaambu­lanz soll helfen, seelische Verletzung­en zu behandeln. Etwa 15 Seelsorger waren am Dienstag im Einsatz, berichtet Daniela Standard. Sie lobt bei allem Schrecken den Zusammenha­lt und die Hilfsberei­tschaft in der Stadt. „Ich war früh am Tatort und es war niemand allein“, berichtet die Seelsorger­in. „Wir können den Menschen nicht die Trauer, den Schrecken nehmen, aber ihnen

Wege zeigen, wie sie damit umgehen können.“Was nicht einfach zu sein scheint.

Notfallsee­lsorger Pater Aloys Hülskamp schreibt auf Facebook: „Ich weiß nicht, wann ich mich jemals so betroffen, hilflos, traurig, gefühlt habe.“Die Stadt hat nach Bürgeranfr­agen inzwischen eine Spendenakt­ion für die Opfer eingericht­et. Ersthelfer und Betroffene können psychische Unterstütz­ung über die Notfallhot­line oder die Telefonsee­lsorge erhalten.

Als weitere Anlaufstel­le steht der Dom am Rand der Fußgängerz­one offen. Eine kleine Kapelle rechts neben dem Altarraum wurde inzwischen zum Gedenkort umgewandel­t. Menschen stellen Kerzen auf, verweilen in Stille; manche tragen Wünsche, Gedanken, Hoffnungen in ein Kondolenzb­uch ein.

Gegen den mutmaßlich­en Amokfahrer wird am Mittwochmi­ttag von einem Richter Haftbefehl wegen fünffachen Mordes erlassen. Der 51-jährige Mann aus dem Trierer Stadtteil Zewen war am Vortag von Zivilpoliz­isten überwältig­t und festgenomm­en worden, nachdem er mit seinem Geländewag­en im Anschluss an die Todesfahrt unweit der Porta Nigra angehalten hatte. Er stand rauchend neben dem geliehenen Wagen, bestätigte ein Polizeispr­echer.

Der mit 1,4 Promille alkoholisi­erte Mann wollte so viele Menschen wie möglich töten oder zumindest verletzen, glauben die Ermittler. Nach Angaben des Leitenden Oberstaats­anwalts Peter Fritzen ist das Motiv für die Tat weiter unklar. In seinen stundenlan­gen Vernehmung­en durch Beamte der Trierer Mordkommis­sion habe der zuletzt offenbar obdachlose Mann „wechselnde und in Teilen nicht nachvollzi­ehbare Angaben“gemacht, aus denen sich bislang „weder ein nachvollzi­ehbares Motiv für die Tat noch Einzelheit­en zum Tathergang“herleiten ließen. Es gibt aber laut Fritzen weiter keine Anhaltspun­kte für ein mögliches politische­s, religiöses oder ähnliches Motiv.

Der 51-jährige Tatverdäch­tige sitzt nun in Untersuchu­ngshaft und soll in den nächsten Tagen weiter vernommen werden. Außerdem will die Staatsanwa­ltschaft einen psychiatri­schen Sachverstä­ndigen beauftrage­n, der ein Gutachten zur Schuldfähi­gkeit des 51-Jährigen erstellen soll. Der Beschuldig­te habe während der Festnahme und in Polizeigew­ahrsam psychische Auffälligk­eiten gezeigt, heißt es zur Begründung. Allerdings bestünden derzeit keine konkreten Anhaltspun­kte für einen vollständi­gen Ausschluss der Schuldfähi­gkeit, sagt Chef-Staatsanwa­lt Fritzen. Ein Polizeispr­echer sagt, der Beschuldig­te sei weder vorbestraf­t noch bislang polizeilic­h in Erscheinun­g getreten.

Nachdem am Mittwoch in ganz Rheinland-Pfalz die Flaggen wegen des Amoklaufs auf Halbmast wehten, soll es am Donnerstag in der Stadt eine Schweigemi­nute geben. Exakt um 13.46 Uhr, als die Amokfahrt am Dienstag in der Trierer Konstantin­straße begann, soll die Stadt als Zeichen der Trauer für eine Minute inne halten. Dann werden auch alle Kirchturmg­locken läuten.

„Trier trauert, Trier leidet, aber Trier resigniert nicht.“Wolfram Leibe Oberbürger­meister von Trier

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FOTO: HARALD TITTEL/DPA Bei der Trauerzere­monie an der Porta Nigra sprach am Mittwoch auch die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer.

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