Saarbruecker Zeitung

Briten lassen Impfstoff zu

Als erstes Land hat Großbritan­nien den Wirkstoff von Biontech und Pfizer zugelassen. Die EU will sich davon nicht unter Druck setzen lassen.

- VON KATRIN PRIBYL UND DETLEF DREWES

(afp) Als erstes westeuropä­isches Land erlaubt Großbritan­nien die Impfungen gegen das neuartige Coronaviru­s. Die britische Gesundheit­sbehörde MHRA erteilte am Mittwoch die Notfallzul­assung für den Impfstoff von Biontech und Pfizer. Die Arzneimitt­elbehörde für die EU strebt hingegen eine Zulassung frühestens Ende Dezember an.

Die EU will keinen Wettlauf um die Coronaviru­s-Impfstoffe. Wenige Stunden, nachdem die britische Regierung am Mittwochvo­rmittag angekündig­t hatte, dem Impfstoff BNT162b2 des deutsch-amerikanis­chen Hersteller­s Biontech/Pfizer eine Notfallzul­assung zu erteilen, lehnten die Gesundheit­sminister der Union einen ähnlichen Schritt ab. „Es geht nicht darum, Erster zu sein, sondern sichere Impfstoffe zu haben“, betonte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), der als Vertreter der deutschen Ratspräsid­entschaft das virtuelle Treffen leitete. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA, der am Dienstag der Antrag auf Zulassung zugegangen war, hatte betont, sie werde ihre Entscheidu­ng zu dem Biontech-Präparat bis zum 29. Dezember und bis Mitte Januar über die Entwicklun­g von Moderna bekanntgeb­en. Unmittelba­r danach würde die EU-Kommission auf der Grundlage des Urteils das Präparat für alle Mitgliedst­aaten freigeben.

Die Briten waren dagegen schon am Mittwoch mit „fantastisc­hen

Nachrichte­n“aufgewacht, wie Premiermin­ister Boris Johnson die Entwicklun­g am Morgen feierte: Das Vereinigte Königreich hat als weltweit erstes Land den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer zugelassen. Die Impfung sei ein Schritt in Richtung Normalität, so der konservati­ve Regierungs­chef. Gleichzeit­ig rief er die Bevölkerun­g auf, vorsichtig zu bleiben und sich nicht zu früh Hoffnungen zu machen. Der Impfstoff sei keineswegs das Ende des Kampfes gegen Corona, sagte Johnson und verwies auf logistisch­e Herausford­erungen, zu denen etwa zählt, dass das Mittel bei minus 70 Grad gelagert werden müsse. Schon ab nächster Woche stünden die ersten 800 000 Dosen zur Verfügung, verkündete Gesundheit­sminister Matt Hancock.

Die US-Pharmafirm­a Pfizer und das Mainzer Unternehme­n Biontech haben nach eigenen Angaben mit London eine Gesamtlief­erung von 43 Millionen Impfstoffd­osen vereinbart, womit 20 Millionen Menschen versorgt werden könnten, da das Vakzin doppelt verabreich­t werden muss. Für den Impfstart stehen laut Regierung 50 Krankenhäu­ser sowie Impfzentre­n bereit, das Militär soll bei der Logistik helfen. Ab Anfang nächster Woche werde man beginnen, zunächst die Bewohner von Altenund Pflegeheim­en sowie deren Personal zu impfen.

Warum aber erteilte die britische Regulierun­gsbehörde für Arzneimitt­el und Gesundheit­sprodukte (MHRA) noch vor der EU und den

„Es geht nicht darum, Erster zu sein, sondern sichere Impfstoffe zu haben.“Jens Spahn (CDU) Bundesgesu­ndheitsmin­ister

USA die Notfallzul­assung für den Impfstoff? Bei der MHRA handele es sich „aufs Schärfste um eine unabhängig­e Regulierun­gsbehörde“, versichert­e Hancock. Er zeigte sich zuversicht­lich, dass es Großbritan­nien „ab dem Frühjahr, ab Ostern besser gehen“werde.

Das britische Vorpresche­n hinterläss­t Spuren im Kreis der Union. So wächst der Druck auf die EMA, das Verfahren zu beschleuni­gen. „Ich bin mir sicher, dass die EMA nicht trödelt“, betonte der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der SPD-Europafrak­tion, Tiemo Wölken. Spahn wurde noch deutlicher: „Die Ärzte und Pfleger arbeiten rund um die Uhr. Wir erwarten nun auch von der Zulassungs­behörde, dass Tag und Nacht sowie an den Wochenende­n durchgearb­eitet wird.“

Die Darstellun­g der britischen Regierung, die zügige Notfallzul­assung sei unter anderem dem Brexit geschuldet, traf in Brüssel auf Unverständ­nis.

Der CDU-Europaabge­ordnete und Arzt Peter Liese nannte dies „gelogen“. „Jedes Land kann einen Impfstoff für sich zulassen. Die EU-Regierunge­n haben sich allerdings darauf verständig­t, die gründliche Prüfung der EMA-Experten abzuwarten.“Die Chefin der MHRA, June Raine, betonte dagegen, die Zulassung habe angesichts der Übergangsp­hase, in der sich Großbritan­nien bis zum 31. Dezember noch befindet, gemäß den Regelungen des EU-Rechts stattgefun­den.

In Brüssel wurde das Vorpresche­n Londons als sehr „gewagter Schritt“bezeichnet. Während nach einer offizielle­n Genehmigun­g durch die EMA beziehungs­weise die EU-Kommission die Hersteller für eventuelle Nebenwirku­ngen oder Fehler haften, liege bei einer Notfallzul­assung, wie sie London nun verfügt hat, die Verantwort­ung für eventuelle­n Schadenser­satz allein bei der Regierung.

 ?? FOTO: BIONTECH SE/DPA ?? Ein Mitarbeite­r des Mainzer Unternehme­ns Biontech hält ein Fläschen mit dem neuen Corona-Impfstoff in der Hand.
FOTO: BIONTECH SE/DPA Ein Mitarbeite­r des Mainzer Unternehme­ns Biontech hält ein Fläschen mit dem neuen Corona-Impfstoff in der Hand.

Newspapers in German

Newspapers from Germany