Wir brauchen jetzt keinen Wettlauf um den Impfstoff
Großbritannien erteilt Notfallzulassung
Die Ungeduld ist verständlich, die mangelnde Vorsicht nicht. Erst vor wenigen Tagen musste ein Impfstoff-Hersteller sein Zulassungsverfahren aussetzen, weil es Probleme mit den Daten gab. Die Verantwortlichen in Brüssel und in den Mitgliedstaaten tun deshalb gut daran, ihre ohnehin hohen Anforderungen an einen zertifizierten Impfstoff nicht um jeden Preis auszusetzen. Was auch immer den von den Lockdowns frustrierten Bürgern als verlässlicher Schutz angeboten wird – es muss sicher sein, das Vertrauen rechtfertigen und darf nicht ein ganzes Volk zu Versuchskaninchen machen. Dass die britische Regierung ihr Vorpreschen mit einer weiteren Lüge begründet – tatsächlich hat die Notfallzulassung rein gar nichts mit dem Ausscheiden aus der EU zu tun –, entlarvt den Schritt als Propaganda, um das eigene Versagen im Kampf gegen die Pandemie vergessen zu machen.
Wir brauchen jetzt keinen Wettkampf, sondern einen kühlen Kopf – und eine Atemschutzmaske. So wichtig die Impfungen langfristig auch sein mögen, sie werden nicht garantieren, dass die EU-Bürger und die Menschen in allen anderen Staaten dieser Welt schon bald so frei und unbeschwert leben und reisen können, wie dies vor der Pandemie möglich war. Zu viele Fragen sind offen und ungeklärt, können erst im Laufe der Schutzimpfungen evaluiert werden. Selbst die EU wird den Herstellern nach einer gründlichen Prüfung lediglich eine „bedingte Zulassung“erteilen. Das heißt: Es dauert noch ein weiteres Jahr, bis genügend Daten vorliegen, um ein Präparat ohne Einschränkungen freizugeben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nur so Probleme beseitigt werden können. Wer diese notwendigen Schritte glaubt überspringen zu können, spielt denen in die Hände, die von Impfungen ohnehin nichts wissen wollen. Dies wäre fatal, weil es keine Alternative zwischen Impfung und Gesundheit geben darf. Es ist gut, dass sich die EU-Staaten gegen eine Impfpflicht entschieden haben. Sie wird trotzdem de facto kommen, weil die erhoffte Freiheit, etwa beim Reisen, künftig an einem Stempel im Impfpass hängen könnte.
Die Mitgliedstaaten können schon jetzt viel für einen möglichst effizienten Kampf gegen das Virus tun. Sie sollten sicherstellen, dass die in wenigen Wochen nötigen Impfzentren funktionieren. Da geht es um eine Infrastruktur mit ausreichend Medizinern und medizinischem Personal. Da geht es um eine digitalisierte Terminvergabe und nicht zuletzt um die Klärung zahlreicher offener Fragen wie beispielsweise der, ob ein Arzt zunächst selbst geimpft werden soll oder der von ihm betreute Angehörige einer Risikogruppe. Die Vorbereitung auf die größte Impfaktion in der Geschichte der Menschheit ist mindestens so bedeutsam wie die sichere Zulassung der Vakzine, von denen zum Teil noch nicht einmal klar ist, ob sie nur den Geimpften schützen oder auch die Übertragung des Erregers durch eine Person stoppen, die den Pieks bereits hinter sich hat. Die Verantwortung ist zu groß, als dass man ungeklärte Fragen einfach übergehen dürfte. Jedes Risiko, das im Vorfeld ausgeschlossen werden kann, rettet im Nachhinein ein Leben mehr.